Essen + Zürich

Federico Fellini – Von der Zeichnung zum Film

Federico Fellini: Frau Carla, 1961–62, Zeichnung zu Achteinhalb Faserstift, 28 x 22 cm, Sammlung Jakob und Philipp Keel. © VG Bild-Kunst, Bonn 2021
Die Geburt von Kinoklassikern aus dem Geist der Karikatur: Federico Fellini, Schöpfer von vielschichtig sinnlichen Ausstattungsorgien, bereitete seine Filme mit zahllosen Zeichnungen vor. Eine Auswahl von 200 Exemplaren wird im Museum Folkwang und Kunsthaus Zürich anschaulich präsentiert.

Früh kritzelt, wer eine Filmlegende werden will: Bevor Federico Fellini (1920-1993) einer der berühmtesten Regisseure des 20. Jahrhunderts wurde, war er Witzbildzeichner. Schon als Schüler zeichnete er gern und viel. Als 17-Jähriger eröffnete er mit einem Freund ein kleines Studio in ihrer Heimatstadt Rimini, das auf Bestellung gezeichnete und kolorierte Porträts lieferte.

 

Info

 

Federico Fellini -
Von der Zeichnung zum Film

 

12.11.2021 - 20.2.2022

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr,

donnerstags und freitags bis 20 Uhr

im Museum Folkwang, Museumsplatz 1, Essen

 

Katalog 28 €

 

Weitere Informationen

 

24.06.2022 - 04.09.2022

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr,

mittwochs und donnerstags bis 20 Uhr

im Kunsthaus Zürich, Heimplatz, Zürich

 

Weitere Informationen

 

Ein Kinobesitzer ließ das Duo Karikaturen von Darstellern aktueller Filme anfertigen, die in den Schaukästen als Reklame ausgehängt wurden. Dafür bekamen der junge Federico, sein Bruder und ein Freund jederzeit freien Eintritt. Wer weiß, ob Fellini ohne diese kostenlosen Kinobesuche je auf die Idee gekommen wäre, Filme machen zu wollen?

 

Wie heimlich Rauchen oder ins Bordell

 

1938 ging er nach Rom; vom Folgejahr an belieferte er die Zeitschrift „Marc’ Aurelio“, die zweimal wöchentlich erschien, mit humoristischen Grafiken und Fortsetzungsgeschichten. Im repressiven Klima des Faschismus empfand er dieses Satireblatt als ungeheuer gewagt: „Den ‚Marc’ Aurelio’ zu kaufen hatte den gleichen Reiz des Verbotenen wie heimliches Rauchen oder der Versuch, sich am Rockzipfel eines schon volljährigen Freundes ins Bordell einzuschleichen“, erzählte er 1983 im Interview.

 

Über seine (bild-)journalistische Arbeit fand Fellini zum Radio, dann zum Film; bis 1950 hatte er an 19 Drehbüchern im Stil des italienischen Neorealismo mitgewirkt. Als er begann, selbst Regie zu führen, bereitete er das ausgiebig mit dem Zeichenstift vor. Rund 200 solcher Handzeichnungen werden nun im Museum Folkwang ausgestellt; ab Mai sind sie im Kunsthaus Zürich zu sehen.

Impressionen der Ausstellung


 

Kollektion der Diogenes-Verlagserben

 

In der Schweizer Metropole sind die Werke auch zuhause: Sie stammen aus der Sammlung von Jakob und Philipp Keel, den Söhnen von Daniel Keel. Der Gründer des Diogenes Verlags kaufte 1973 die Weltrechte an Fellinis Schrifttum und veröffentlichte sämtliche Skripte seiner Filme als Taschenbücher.

 

Mit einer Blütenlese von Fellinis Karikaturen beginnt die Schau; anschließend werden zwölf seiner bedeutendsten Filme nach einem simplen, aber wirkungsvollen Schema präsentiert. Neben dem Filmplakat hängen Zeichnungen, die zur Vorbereitung entstanden; darunter liegen Szenenbilder-Fotos in Schaukästen aus. So wird unmittelbar anschaulich, wie diese von jenen inspiriert wurden. Zusätzlich frischen Projektionen von Ausschnitten oder Werbetrailern das Kinogedächtnis der Besucher auf.

 

Scheich schaukelt zwischen Palmen

 

Bereits beim ersten Film, den Fellini allein verantwortet, wird die Bedeutung seiner Zeichnungen deutlich: „Der weiße Scheich“ (1952; deutsch auch: „Die bittere Liebe“) ist eine lächerliche Gestalt, die er mit wenigen Strichen skizziert. In dieser Tragikomödie über die naive Verehrerin eines Fotoroman-Helden klingen schon einige Motive seines Gesamtwerks an: sinnliche Exotik, die Macht von Illusionen und die Oberflächlichkeit der Massenmedien. Eine besonders alberne Zeichnung – der Scheich schaukelt zwischen Palmen – findet sich sogar eins zu eins im Film wieder.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "La Grande Bellezza - Die große Schönheit” – herrliche Hommage an Fellinis "La Dolce Vita" von Paolo Sorrentino, prämiert mit dem Auslands-Oscar 2014

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Il deserto rosso now" mit Fotografie zu Antonionis Filmklassiker 'Die rote Wüste' in der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur, Köln

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Gemalter Film – Plakate von Renato Casaro" – große Retrospektive des italienischen Plakatkünstlers mit Werken u.a. für Sergio Leone und Bernardo Bertolucci im Museum Folkwang, Essen.

 

Solche direkten Entsprechungen bilden aber die Ausnahme. Fellinis Zeichnungen sind keine storyboards, also Szenen-Vorlagen zur Verfilmung, sondern Augenblicks-Einfälle: meist für Figuren, seltener für Kulissen oder Einstellungen. Oft hebt der Regisseur Einzelheiten mit Strichen und Pfeilen hervor, oder er kritzelt Bemerkungen an den Rand. Er betrachtet sie nur als graphische Notizen, schnell aufs Papier geworfen, morgen vielleicht schon überholt. Passenderweise geht Fellini achtlos damit um: Er gibt sie an seine Mitarbeiter weiter oder wirft sie einfach weg, sobald sie ihren Zweck erfüllt haben.

 

Pointierte Einblicke in Gedankenwelt

 

Zu glauben, man könne anhand dieser Blätter Fellinis Arbeitsprozess nachvollziehen, wäre verfehlt: Dafür sind sie zu dürftig und flüchtig. Erst die Zeichnungen zu überbordenden Ausstattungsorgien seiner reifen Werkphase, etwa „Satyricon“ (1969) oder „Casanova“ (1976), liefern ausgefeiltere Entwürfe für einzelne Filmpassagen. Stattdessen bieten diese Grafiken pointierte Einblicke in seine Gedankenwelt: seine Lust an grotesken Details und komischen Konstellationen, absurdem Pomp und zirzensischen Spektakeln.

 

Und natürlich seine Obsession für schwellende Körperformen aller Art: wogende Busen, ausladende Hüften, pralle Hintern, aber auch erigierte Glieder. So unbekümmert, wie Fellini sich derlei ausmalt, hat das nichts Zotiges. Wie kaum ein anderer Regisseur bekannte er sich – der 1943 seine langjährige Hauptdarstellerin Giulietta Masina ehelichte und mit ihr verheiratet blieb, bis der Tod sie schied – zu seinen erotischen Begierden und Träumen, über die er jahrzehntelang Tagebuch führte. In unserer neopuritanischen Epoche, in der dauernd Filme wegen vermeintlich sexistischer Worte oder Bilder geschmäht werden, wünscht man sich einen so unbefangenen Umgang des Kinos mit allen Erscheinungsformen der Libido zurück.