Berlin

Iran – Kunst und Kultur aus fünf Jahrtausenden

„Wein trinkende Dame“, sig. Von Mu’in Musawir, Papier, Tinte, Farbpigmente, Gold, Isfahan, Iran, dat. 1672, Foto: © The Sarikhani Collection / C. Bruce
In Persien steht nicht nur eine der Wiegen der Weltzivilisation – die Region verband auch Jahrtausende lang Einflüsse aus Europa mit solchen aus Fernost. Das zeigt eine brillante Ausstellung in der James-Simon-Galerie; sie versammelt tatsächlich 5000 Jahre auf engstem Raum.

Wohl keine der großen Hochkulturen der Welt ist hierzulande so wenig bekannt wie die des Iran. Seit der Revolution von 1979 wird das Land fast nur als aggressive Großmacht wahrgenommen, dessen schiitische Kleriker-Diktatur das südliche Mittelasien dominieren will. Dass die persische Zivilisation Jahrtausende älter ist als die muslimische Welt und auch nach der Islamisierung im 7. Jahrhundert ihr eigenes Gepräge bewahrt hat, wird dabei ignoriert.

 

Info

 

Iran – Kunst und Kultur
aus fünf Jahrtausenden

 

04.12.2021 - 20.03.2022

täglich außer montags 10 bis 18 Uhr

in der James-Simon-Galerie, Museumsinsel, Bodestr., Berlin

 

Katalog 39 €

 

Weitere Informationen

 

Insofern gleicht diese Ausstellung der Entdeckung eines versunkenen Kultur-Kontinents – als erste Schau über klassische Kunst aus Persien in Deutschland seit mehr als zwei Jahrzehnten. Zwar gab es 2017 in der Bonner Bundeskunsthalle eine Ausstellung über archäologische Funde aus dem Iran, doch sie behandelte nur den Zeitraum bis zur Gründung des ersten Großreichs 550 v. Chr..

 

Wichtiger Weltpolitik-Akteur

 

Mit der Entstehung des Achämeniden-Reichs wurde der Iran jedoch zu einem bedeutenden Akteur der Weltpolitik. Anstelle von Regionalfürsten regierten ihn fortan meist Monarchen, die riesige Gebiete von Kleinasien und der Levante bis zum Indus-Tal kontrollierten. Sie rivalisierten mit anderen großen Reichen im Westen und Osten, mit denen sie zugleich Handel und Austausch pflegten. So wurde der Iran zu einer Art „Kulturautobahn“ für unzählige Einflüsse aus allen Himmelsrichtungen.

Impressionen der Ausstellung


 

Alle 200 bis 400 Jahre neue Dynastie

 

Die 5000-jährige Kulturgeschichte dieses Raums in einer Schau darzustellen, scheint schier unmöglich – man stelle sich vor, eine Ausstellung sollte die Entwicklung ganz Europas seit der Bronzezeit nachzeichnen. Dem Museum für Islamische Kunst und der Sarikhani-Stiftung gelingt es trotzdem: mit einer exzellenten Auswahl von rund 360 Exponaten aus der Kollektion, die das deutsch-iranische Sammler Ali und Ina Sarikhani Sandmann aufgebaut haben, ergänzt um hauseigene Bestände.

 

In der James-Simon-Galerie werden sie in einem dunkelblau gehaltenen Rundgang präsentiert, der in viele Vitrinen und Nischen unterteilt, doch zugleich übersichtlich gehalten ist. So wird der Parcours der turbulenten politischen Geschichte des Iran gerecht, in dem alle zwei bis vier Jahrhunderte eine Dynastie die vorhergehende ablöste. Zugleich macht er Kontinuitäten deutlich: Manche Formensprachen und Techniken überdauerten viele Herrscherwechsel.

 

Straßennetz + lingua franca

 

Angefangen mit eigentümlichen Varianten der Figuration: Einzigartige weibliche Figurinen mit so genannten „Zottengewändern“ oder ein „Narbenmann“ mit Schuppenkörper aus Chlorit sind uralt – rund 4000 Jahre. Rund ein Jahrtausend jünger, aber ebenso rätselhaft erscheinen die so genannten Luristan-Bronzen, die in der gleichnamigen westiranischen Landschaft gefunden wurden: höchst fantasievolle, organisch geformte Bronze-Artefakte wie Waffenteile, Pferdetrensen oder Schnabelkannen.

 

Den Achämeniden gelangen in ihrem „ersten Weltreich der Geschichte“ bis 330 v. Chr. vorher unbekannte Innovationen: ein flächendeckendes Straßennetz mit Raststationen; eine Verwaltungssprache – das Aramäische – als lingua franca für alle unterworfenen Völker. Und eine glanzvolle Hauptstadt: Persepolis, seit 1979 UNESCO-Weltkulturerbe, wurde mit monumentalen Statuen und Reliefs geschmückt. Solche wichtigen, aber immobilen Artefakte werden in der Ausstellung auf Monitoren mit kurzen Dokumentarfilmen vorgeführt.

 

Heiligenfigur aus Christen-Kirche

 

Herrscher sahen sich am liebsten kraftstrotzend in Silber oder Bronze, mit wallender Bart- und Lockenpracht. Daneben kommt auch Alltägliches vor: Weingenuss spielte bei allen vorislamischen Dynastien, also auch den Parthern (250 v. – 224 n. Chr.) und den Sasaniden (224 – 651 n. Chr.), eine große Rolle. Davon zeugen silberne Trinkhörner mit Tierköpfen, so genannte Rhytone, und fein ziselierte Trinkschalen. Alabaster-Figuren und Silberschalen stellten nackte Gottheiten in sinnlichen Posen dar; etwa Anahita, Göttin des Wassers und der Fruchtbarkeit.

 

Zwar erhoben die Sasaniden den Zoroastrismus zur Hauptreligion, doch im Großreich herrschte religiöse Toleranz: Gezeigt wird eine lebensgroße Figur aus einer christlichen Kirche des 6. Jahrhunderts in der damaligen Hauptstadt Ktesiphon. Diese Toleranz endete 100 Jahre später mit der arabischen Eroberung des Iran. Dafür brachten die Moslems eine neue Schriftkultur und chemische Kenntnisse mit: Glas- und Keramikherstellung erfuhren einen enormen Aufschwung.

 

Invasoren ab dem 11. Jahrhundert

 

Die Ausstellung verblüfft mit einer langen Galerie sagenhaft gestalteter Exemplare: Teller und Schalen mit stilisierten Figuren in mehrfarbiger Malerei. Kannen mit kühn reliefierten und durchbrochenen Oberflächen, als Vögel oder Blumengebinde geformt – solch exzentrisches Design wirkt heute noch sehr verwegen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Iran: Frühe Kulturen zwischen Wasser und Wüste" - große Überblicksschau bis Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr. in der Bundeskunsthalle, Bonn

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Gandhāra" zur antiken graeco-indischen Mischkultur im heutigen Afghanistan im Museum DKM, Duisburg

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Uruk: 5000 Jahre Megacity" über eine der ältesten Kulturen im Zweistromland in Berlin + Herne

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Margiana - Ein Königreich der Bronzezeit in Turkmenistan" über eine 4000 Jahre alte Hochkultur nördlich des Iran in Berlin, Hamburg + Mannheim.

 

Die „iranische Renaissance“ ab dem späten 9. Jahrhundert endete im frühen 11. Jahrhundert: Fortan sollten fremde Herrscher die Geschicke des Reiches bestimmen. Invasoren wie die Seldschuken, Mongolen und Timuriden brachten aber nicht nur Verderben und Unterdrückung, sondern auch neue kulturelle Einflüsse mit, etwa aus China.

 

Bild von Paar auf Liebeslager

 

Die Literatur erlebte eine Blütezeit, ebenso die berühmte persische Miniaturmalerei. Um das Jahr 1000 entstand das Shahname, das „Buch der Könige“: Darin rühmt der Dichter Firdausi in Versen die Ruhmestaten vorislamischer Helden. Nicht nur dieses Epos wurde verschwenderisch illustriert: Eine Handschrift von 1420 der Romanze „Naurus und Gul“ erfreut den Leser mit einer vielfarbigen Abbildung des Paares auf dem Liebeslager.

 

Mit der Machtübernahme der Safawiden 1501 erhielt der Iran bis heute prägende Züge: Das Schiitentum wurde Staatsreligion. Isfahan im zentralen Hochland wurde zur neuen Kapitale ausgebaut; die Pracht ihrer Bauten beeindruckt bis heute. Im 17. Jahrhundert übernahmen zudem Künstler europäische Maltechniken, wie etwa zur gleichen Zeit im Osmanischen Reich: Nun wandeln Scheich und Gefolge durch einen Renaissance-Garten. Auf einem barock drapierten Diwan räkelt sich eine unbekleidete Venus, gestört von einem Satyr.

 

Enzyklopädischer Katalog

 

Heute wären solche Darstellungen im Iran undenkbar – vor 300 Jahren war man deutlich aufgeschlossener. Daran zu erinnern, ist eines der vielen Verdienste dieser fulminanten Ausstellung. Die ein großartiger Katalog begleitet: Er bietet auf knapp 400 Seiten nicht weniger als eine enzyklopädische Kulturgeschichte Persiens; kompetent, anschaulich und prächtig bebildert.