
William Tell (Oscar Isaac) ist ein Mann der Karten, nicht der großen Worte. Wenn er nicht am Spieltisch zockt, sitzt er im Auto auf dem Weg von einem Casino zum nächsten. Oder er schreibt Tagebuch, ein Whiskeyglas neben sich; in einem beliebigen Motelzimmer, das er zuvor sorgfältig mit weißen Laken über der Einrichtung komplett spurensicher gemacht hat.
Info
The Card Counter
Regie: Paul Schrader,
112 Min., USA 2021;
mit: Oscar Isaac , Willem Dafoe, Tiffany Haddish
Weitere Informationen zum Film
Folterknecht in Abu Ghuraib
Der versierte Pokerspieler war während des zweiten Irak-Kriegs ab 2003 als Soldat im berüchtigten Gefängnis von Abu Ghuraib für das Foltern von Kriegsgefangenen zuständig. Als das ruchbar wurde und aus der Haftanstalt geschmuggelte Belege international Empörung hervorriefen, wurde Tell verurteilt. Zehn Jahre saß er hinter Gittern, um für seine Taten zu büßen.
Offizieller Filmtrailer
Antiheld mit Schuldgefühlen
Das Kartenzählen hat er im Gefängnis gelernt, aber nicht nur das. Auch die Disziplin rührt daher, mit der Tell routiniert seinen Alltag bewältigt. Der Typ mit den streng zurück gekämmten Haaren ist kein Draufgänger, kein gambler. Ihm geht es auch nicht ums Gewinnen.“Warum spielst du, wenn nicht für Geld?“ fragt ihn die Poker-Agentin La Linda (Tiffany Haddish). „Um mir die Zeit zu vertreiben,“ antwortet Tell; seine müden Augen verraten, dass er in diesem Moment nicht blufft.
Paul Schrader macht kein Geheimnis daraus, dass sein Protagonist ein von Schuldgefühlen und Gewissenskonflikten getriebener Antiheld ist. Wie fast alle seiner Figuren bisher: Die erste war Robert De Niro als Travis Bickle in „Taxi Driver“ (1976) von Martin Scorsese; für diesen Klassiker schrieb Schrader das Drehbuch. Zuletzt war es Ethan Hawke in „First Reformed“ (2017) als kranker Pastor voller Glaubenszweifel, dessen Sohn im Irakkrieg starb.
Sohn will Vater rächen
Auch Tell kann den Dämonen seiner Vergangenheit nicht entkommen; die Schreckbilder seiner Erinnerung holen ihn immer wieder ein. Sie mehren sich, als er auf den jungen Cirk (Tye Sheridan) trifft, der am Selbstmord seines Vaters leidet. Der war ebenfalls Soldat in Abu Ghuraib gewesen, wo er das Folterhandwerk vom damaligen Befehlshaber John Gordo (Willem Dafoe) gelernt hatte. An ihm will Cirk sich nun rächen und dafür Tell als Komplizen gewinnen – doch der hat seine Lektion gelernt.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Mishima – Ein Leben in vier Kapiteln" - brillantes Biopic über den japanischen Autor Yukio Mishima von Paul Schrader
und hier eine Besprechung des Films "Molly`s Game - Alles auf eine Karte" - komplexer Thriller im Glücksspiel-Milieu von Aaron Sorkin
und hier einen Beitrag über den Film "A Most Violent Year" - faszinierender Wirtschaftskrimi im New Yorker Heizöl-Großhandel (!) von JC Chandor mit Oscar Isaac
und hier einen Bericht über den Film "A Most Wanted Man" – nüchterner Thriller über Geheimdienst-Überwachung von Anton Corbijn mit Willem Dafoe.
Szenen laufen ins Leere
Doch trotz seiner Versiertheit kann er die nachlässig komponierte Handlung und die zunehmend schale Inszenierung nicht überspielen. Die optischen Tricks, mit denen der Regisseur Spannung und Atmosphäre zu erzeugen versucht, sind dabei noch das geringste Problem. Wesentlich störender sind die Szenen, die Schrader einfach ins Leere laufen lässt – etwa der überflüssige Besuch in einem Militärgefängnis, zu dem Tell seinen neuen Schützling einlädt.
Am besten ist „The Card Counter“ immer dann, wenn er sich auf das Pokerspiel und die Profis am Spieltisch konzentriert; sie versuchen, einander in „die Seele zu blicken“, wie es Tell einmal formuliert. Ein höherer Einsatz und mehr Mut zum Risiko hätten dem ganzen Film gut getan.