Kenneth Branagh

Tod auf dem Nil

Simon Doyle (Armie Hammer) und Linnet Ridgeway (Gal Gadot). Foto: Rob Youngson. Fotoquelle: © 2020 Twentieth Century Fox Film Corporation. All Rights Reserved.
(Kinostart: 10.2.) Krimiklassiker-Modernisierung, zweiter Teil: Regisseur Kenneth Branagh verfilmt abermals einen Roman von Agatha Christie. Mit guten Schauspielern in schönen Kostümen und malerischem Dekor – doch diese reine Studio-Produktion ohne Ägypten-Flair wirkt etwas steril.

Wie die Flusskreuzfahrt in Agatha Christies klassischem Krimi „Tod auf dem Nil“ stand auch der Kinostart von Kenneth Branaghs Neuverfilmung des Abenteuers von Meisterdetektiv Hercule Poirot unter keinem guten Stern. Mit eineinhalb Jahren Verzögerung kommt der Film endlich doch noch auf die Leinwand. Er hält ein, was das Werbeplakat verspricht: Glamour und Stars in schönen Kostümen.

 

Info

 

Tod auf dem Nil

 

Regie: Kenneth Branagh,

134 Min., USA 2020;

mit: Kenneth Branagh, Armie Hammer, Gal Gadot

 

Weitere Informationen zum Film

 

Bereits in seiner ersten Agatha-Christie-Adaption „Mord im Orient-Express“ (2017) setzte Regisseur Branagh sehr auf die Segnungen der Studiotechnik; das tut er auch hier. Die erste, sehr werkgetreue Verfilmung von 1974 bestach durch den Charme der Original-Schauplätze wie dem ägyptischen Karnak, Einrichtungen aus der Art-Deco-Epoche und Mitwirkenden wie Bette Davis oder Ingrid Bergman, die den Nimbus des alten Hollywood mitbrachten. Damit kann der Nachfolger nicht aufwarten.

 

Fahruntauglicher Raddampfer

 

Dennoch überzeugt „Tod auf dem Nil“ visuell, wie schon der Vorgänger „Mord im Orient-Express“, etwa durch opulente Kamerafahrten. Das Setting eines Raddampfers ist ebenso mondän, wobei dieses Glaspalast-Schiff kaum fahrtauglich sein dürfte. Bevor der Film aber auf die Reise geht, beginnt er in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs, wo ein digital verjüngter Poirot (Kenneth Branagh) dank ausgeprägter Beobachtungsgabe seine Einheit vor dem Verderben rettet.

Offizieller Filmtrailer


 

Aus Schund-Autorin wird Jazz-Sängerin

 

Nebenbei wird auch die Herkunft des Schnurrbarts und Poirots indifferentes Verhältnis zur Damenwelt ansatzweise erläutert. Danach macht der Film noch einen Abstecher in einen Nachtclub, wo die wichtigsten Protagonisten bereits versammelt sind. Sie treffen sich kurze Zeit später auf dem Dampfer Richtung Assuan wieder.

 

Wie bei Agatha Christie üblich werden nicht alle lebend das Ziel der Flussfahrt erreichen. Dabei hält sich das Drehbuch nicht ganz an die vorgegebene Mordopfer-Reihe, was auch an der zeitgeistigen Umdeutung einiger Figuren liegt. So verwandelt sich die dauerbeschwipste, tragikkomischen Groschenroman-Autorin Salome Otterbourne in eine coole, schwarze Nachtclubsängerin (Sophie Okonedo) à la Billie Holiday. Sie muss natürlich überleben, damit Poirot sie subtil anschmachten und sich mit „se bluesy music“ anfreunden kann.

 

Irrwege der Liebe auf Schiffsdeck

 

Als Sidekick steht Poirot der jungsmarten Bouc (Tom Bateman) zur Seite. Die exzentrische Künstlerin gibt schön schlagfertig Annette Bening. Außerdem haben britische Stars wie Jennifer Saunders oder der Komiker Russell Brand als erfolgloser Möchtegern-Liebhaber ihre Auftritte. Im Zentrum der Personenkonstellation steht Gal Gadot als Linnet Doyle. Das spätere Mordopfer hat zuvor viel Gelegenheit zum Strahlen, was ihre Figur sympathischer macht, als sie es eigentlich verdient.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Mord im Orient Express" - Neuverfilmung des Krimi-Klassikers von Kenneth Branagh

 

und hier eine Besprechung des Films "Dunkirk" – monumentales Echtzeit-Epos über die Evakuierung britischer Truppen im Zweiten Weltkrieg von Christopher Nolan mit Kenneth Branagh

 

und hier einen Besprechung der Ausstellung "Lawrence von Arabien – Genese eines Mythos" - facettenreiches Porträt des legendären Orient-Experten im Rautenstrauch-Joest-Museum, Köln

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Wegbereiter der Ägyptologie: Carl Richard Lepsius 1810-84" im Neuen Museum, Berlin.

 

Andererseits wird das an ihr verübte Verbrechen aus Leidenschaft aber auch verständlicher. Es geht um Irrwege der Liebe: unerfüllte, heimliche, rasende und auch erkaltete, mit der sich die Figuren allesamt herumschlagen. Die möglichen personellen Querverbindungen breitet der Film sowohl auf dem Schiff als auch in Rückblenden genüsslich aus – was im Mord resultiert, der aufgeklärt werden muss.

 

Papp-Kulissen + Doku-Sonnenuntergänge

 

Liebhaber der alten Verfilmung von 1974 dürften mit dieser modernisierten Fassung etwas fremdeln: Als reines, künstliches Studioprodukt vermittelt der Film wenig vom Flair südlicher Gestade, dem eigentlichen Anlass für die Flusskreuzfahrt. Die spärlichen Außenaufnahmen fanden ausnahmslos in England vor Kulissen aus Pappmaché statt. Da wirken dazwischen geschnittene Bilder von Sonnenuntergängen über dem Nil sogar etwas deplaziert – als seien sie aus irgendeiner Landschafts-Doku übernommen worden.

 

Wem solche Ungereimtheiten nichts ausmachen, kann sich am blendend harmonierenden Ensemble sowie am hervorragend opulent inszenierten Dekor erfreuen; auch die wunderschönen Kostümen haben enormen Schauwert. Zudem spielt Hauptdarstellerin Gadot ebenso gut wie ihre Kollegen. Als Regisseur und Darsteller in Personalunion hält sich Branagh diesmal wohltuend zurück, was der Story zugute kommt. Dennoch kann seine recht artifiziell erscheinende Version der alten von 1974 das Wasser nicht reichen.