Asghar Farhadi

A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani

Dem Leben mit Liebe trotzen: Die Aussicht auf eine gemeinsame Zukunft mit seiner Freundin Farkhondeh (Sahar Goldoust) beschert Rahim (Amir Jadidi) kleine Momente des Glücks. Foto: © Neue Visionen Filmverleih
(Kinostart: 31.3.) Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert: Ein Schuldner will sich mit guten Taten aus der Haft befreien, verstrickt sich aber in ein Notlügengespinst. Regisseur Asghar Farhadi erweist sich abermals als Meister psychologisch komplexer Kino-Kammerspiele.

Ingmar Bergman im Iran: Asghar Farhadi inszeniert moralische Dilemmata so vielschichtig und gleichzeitig packend wie kein anderer zeitgenössischer Regisseur. Seine Figuren sind nie eindeutig gut oder böse, sondern ganz und gar menschlich; sie bewegen sich immer in einer ethischen Grauzone. Alle haben nachvollziehbare Gründe für ihr Handeln und oft sogar die besten Absichten, was aber ihre Konflikte nicht verhindert oder mildert – im Gegenteil.

 

Info

 

A Hero –
Die verlorene Ehre des Herrn Soltani

 

Regie: Asghar Farhadi,

127 Min., Iran/ Frankreich 2021;

mit: Amir Jadidi, Mohsen Tanabandeh, Fereshteh Sadrorafaii, Sahar Goldoust 

 

Weitere Informationen zum Film

 

Wie im Fall von Rahim (Amir Jadidi): Der stille Mann mit sanften Augen und schüchternem Lächeln sitzt im südiranischen Schiras in Schuldhaft, weil er seinem Gläubiger einen geplatzten Kredit nicht zurückzahlen kann. Doch er hat Glück im Unglück: Seine Freundin Farkondeh (Sahar Goldoust) findet an einer Bushaltestelle eine Tasche voller Goldmünzen.

 

Schuldenfrei aus dem Knast

 

Das Edelmetall will Rahim während eines Hafturlaubes zu Geld machen. Damit hofft er, seinen Ex-Schwiegervater Bahram (Mohsen Tanabandeh), bei dem er in der Kreide steht, gnädig stimmen zu können. Dann könnte er das Gefängnis verlassen und sich wieder um seinen Sohn Siavash kümmern, der bei seiner Schwester Malileh (Maryam Shahdaie) lebt.

Offizieller Filmtrailer


 

Aufstieg zum Medienliebling

 

Mehr noch: Endlich schuldenfrei, könnte Rahim seine geliebte Farkondeh heiraten. Doch im letzten Moment bekommt er Gewissensbisse und entscheidet sich, den wahren Besitzer des Goldes ausfindig zu machen. Kurz darauf meldet sich eine Frau und holt überglücklich die Münzen bei Malileh ab – Rahim sitzt derweil schon wieder hinter Gittern.

 

Als die Gefängnisleitung von der rührenden Geschichte erfährt, präsentiert sie den regionalen Medien Rahim als Musterbeispiel für einen edelmütigen Häftling. Mit diesem Schachzug will sie von den häufigen Selbstmorden im Gefängnis ablenken. Für Rahim scheint sich alles zum Guten zu wenden: Ein Wohltätigkeitsverein sammelt Spenden, um seine Schulden zu begleichen, und die Stadtverwaltung bietet ihm eine offene Stelle an.

 

Held wird vom Sockel gestoßen

 

Doch auf Rahims schnellen Aufstieg folgt sein rascher Fall: Ein übereifriger Stadtbeamter verlangt plötzlich Beweise, aber die unbekannte Frau, die ihr Gold verloren hatte, bleibt unauffindbar. Nun wird alles in Zweifel gezogen: Ist das Ganze nur eine kalkulierte Inszenierung des berechnenden Schuldners? Warum sind sein Ex-Schwiegervater und seine Ex-Frau so bitter enttäuscht von ihm? Und was hat die rechtmäßige Münzenbesitzerin zu verbergen?

 

So kommt eines zum anderen: Im Grunde kleine Notlügen und verzeihliche menschliche Schwächen lassen die für Rahim viel versprechende Lage ins Gegenteil umschlagen. Eben noch wurde er als strahlender Held gefeiert; jetzt wird er vom Sockel gestoßen, auf den man ihn zuvor gestellt hatte. Im Zeitalter der sozialen Medien hat sich jedoch die Zeitspanne zwischen „Hosianna!“ und „Kreuziget ihn!“ extrem verkürzt.

 

Traditionelle Großfamilien im Südiran

 

Heutzutage kann jeder sofort wegen vermeintlichen oder tatsächlichen Fehlverhaltens im Internet angeprangert werden. Der bequemen Sehnsucht nach moralischer Eindeutigkeit tritt Regisseur Farhadi mit Figuren entgegen, deren ambivalentes Verhalten durch den komplexen Kontext verständlich wird, in dem sie sich bewegen. Selbst die Position des verbitterten Gläubigers wird für den Zuschauer nachvollziehbar. 

 

Nach seinem etwas glatt polierten Kino-Ausflug nach Spanien mit „Offenes Geheimnis (Everybody knows)“ (2018) tut Farhadis Rückkehr in seine Heimat dem Film sichtlich gut. Trotz universeller Problemlagen ist das Geschehen deutlich in der traditionellen Gesellschaft im Südiran verortet. Dort lebt man in Großfamilien, achtet aufeinander und auf beherrschtes Auftreten.

 

Großer Preis der Jury in Cannes

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Offenes Geheimnis (Everybody Knows)" – komplexes Familien-Drama von Asghar Farhadi

 

und hier eine Besprechung des Films "The Salesman" – beklemmendes Vergewaltigungs-Drama von Asghar Farhadi

 

und hier einen Bericht über den Film „Le Passé – Das Vergangene“ – fesselndes Patchwork-Beziehungsdrama mit Tahar Rahim von Asghar Farhadi

 

und hier einen Beitrag über den Film „Nader und Simin – eine Trennung“  – mitreißende Beziehungsstudie einer Ehekrise von Asghar Farhadi, prämiert mit Auslands-Oscar 2012.

 

Die Umgangsformen unter Fremden sind geprägt von steifer Höflichkeit und demonstrativer Kultiviertheit. Ehre und Ansehen von Familien und ihren Mitglieder gilt es unter allen Umständen zu wahren. Allerdings ist diese Etikette oft mehr Schein als Sein; die Erwartungen ihrer Mitmenschen zwingen die Leute ständig, informell dieses Regelwerk zu verletzen. Unter diesen Umständen kann man nicht wirklich aufrichtig bleiben.

 

Diese – manchmal beißende– Gesellschaftskritik verpackt Farhadi offenbar subtil genug, um iranische Zensoren nicht auf den Plan zu rufen. Im Gegensatz zu vielen seiner Regiekollegen sind von ihm keine Probleme mit den Behörden bekannt; das mag an der auf den ersten Blick apolitischen Thematik seiner Filme liegen, die bei Festivals häufig prämiert werden. „A Hero“ erhielt unter anderem in Cannes den Großen Preis der Jury.

 

Wie Zug am Entgleisen hindern?

 

Doch das Private ist auch im Iran politisch: Meisterlich verwebt der Asghar Farhadi die dortigen Verhältnisse mit universellen ethischen Fragen. Deshalb schlagen seine scheinbar spröden Alltagsdramen das Publikum in ihren Bann. Unwillkürlich rätselt man stets: Was müsste geschehen, um diesen Eisenbahnzug voller heillos zerstrittener Fahrgäste daran zu hindern, krachend zu entgleisen?