Ein denkbar ungleiches (Stief-)Brüderpaar: Kaum jemand würde wohl Will (Yahya Abdul-Mateen II) und Danny Sharp (Jake Gyllenhaal) für Geschwister halten. Während Will als Kriegsveteran mit kleinem Kind und kranker Frau bemüht ist, sich allen Widrigkeiten zum Trotz stets korrekt zu verhalten, ist Danny in die kriminellen Fußstapfen ihres gemeinsamen Vaters getreten.
Info
Ambulance
Regie: Michael Bay,
136 Min., USA 2022;
mit: Jake Gyllenhaal, Yahya Abdul-Mateen II, Eiza González
Weitere Informationen zum Film
Noch ein Plan für den perfekten Bankraub
Als Will nicht weiß, woher er das Geld für die notwendige Behandlung seiner Frau nehmen soll, bittet er seinen Bruder um Hilfe. Der bietet ihm stattdessen die Chance ihres Lebens: Er hat den Plan für einen perfekten Bankraub ausgeheckt, nach dem beide für immer ausgesorgt haben werden. Wenn Will bereit ist, kann es sofort losgehen. Dass alle anderen Spießgesellen höchst zweifelhafte Charaktere sind, stört Will zwar, doch gegen die Kombination aus Geldsorgen und Überzeugungskraft seines Bruders kommt er nicht an.
Offizieller Filmtrailer
Mal eben durchbohrtes Mädchen retten
In einem parallelen Erzählstrang begleitet der Film den Arbeitsalltag der Rettungssanitäterin Camille „Cam“ Thompson (Eiza González). Sie und ihr Partner sind darauf trainiert, stets als erste den jeweiligen Unfallort zu erreichen. Am Tag des Banküberfalls ist ein Autounfall in der Innenstadt von Los Angeles ihr letzter Einsatz vor der Mittagspause. Hier müssen mehrere ineinander verkeilte Wagen auseinandergesägt und ein kleines Mädchen gerettet werden, das von einer Metallstange durchbohrt wurde und darob zurecht panisch ist.
Letzteres gelingt Cam mit Bravour und psychologischem Geschick; was kaum der Rede wert gewesen sei, wie sie beim anschließenden Sushi-Essen meint. Das ist bei aller Wucht und Kalkuliertheit recht lebensnah erzählt, wenn man darüber hinwegsieht, wie schön und sauber die in den Unfall verwickelten Autos trotz ihrer Zerstörung im Rauch glänzen und blinken.
Kinosaal als Achterbahn-Wagen
Bereits der Überfall auf die Bank ist dann aber in seinem Ablauf kaum noch nachvollziehbar – was Regisseur Michael Bay sichtlich nicht wichtig ist. Im Gegenteil: Von nun an setzt er ganz auf bombastische Soundeffekte und eine entfesselte, meist hoch fliegende Kamera. Sie soll den Kinosaal eher in Wagen einer unendlichen Achterbahnfahrt verwandeln, anstatt Orientierung über Schauplätze und Handlung zu bieten.
Diese Strategie bemühen sonst vor allem Kriegsfilme, die dem Publikum die Drastik der Ereignisse weniger vor Augen führen als um die Ohren hauen wollen. Hier muss man nur verstehen, dass der eigentlich fast schon geglückte Überfall aus dem Ruder läuft, weil ein verliebter Cop, der am Bankschalter seine Herzensdame einladen will, dem Abgang der Gangster in die Quere kommt.
Notoperation via Videokonferenz
Also nehmen die Brüder den Mann als Geisel, während ihre Kompagnons unkoordiniert aus der Bank rennen; draußen werden sie von heranrückenden Polizisten unter Beschuss genommen. Angeschossen wird auch die Geisel, und zwar von Will. Es gelingt den Brüdern jedoch, den ebenfalls zum Ort des Geschehens geeilten Krankenwagen von Cam und ihrem Kollegen zu kapern.
Anschließend fliehen sie mit ihr und dem halbtoten Polizisten; er muss auf der Fahrt nach Konsultation von Experten via Videokonferenz mehrfach wiederbelebt und operiert werden. Damit nicht genug: Knapp zwei Stunden flieht der Rettungswagen vor motorisierten Polizeieinheiten über Stadtautobahnen, durch Geschäftsviertel, suburbane Ghettos und den Los Angeles River, der das Stadtgebiet in Nordsüdrichtung durchrinnt.
Verschrottung wie bei „Blues Brothers“
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "13 Hours: The secret Soldiers of Benghazi" - Dokudrama über US-Militäreinsatz in Libyen von Michael Bay
und hier eine Besprechung des Films "21 Bridges" - Action-Thriller über die Abriegelung von Manhattan von Brian Kirk
und hier einen Beitrag über den Film "Demolition – Lieben und Leben" – eigentherapeutische Zerstörungsorgie von Jean-Marc Vallée mit Jake Gyllenhaal
und hier einen Bericht über den Film "Nightcrawler – Jede Nacht hat ihren Preis" - brillantes Porträt eines Katastrophen-Paparazzo von Dan Gilroy mit Jake Gyllenhaal.
Zwischendurch wird eine Latino-Gang, die zunächst gefährlich anmutet, sich aber dann als ungeschickt erweist, als Kollateralschaden einfach niedergemäht. Aber gegen Rassismusvorwürfe glaubt der Film wohl durch sein divers zusammengestelltes Protagonisten-Trio gefeit zu sein. Oder durch seinen Schluss-Gag: Danny sagt zu seinem Bruder, sie seien keine Bösewichte, sondern nur zwei Jungs, die nach Hause wollen.
Für elf „Goldene Himbeeren“ nominiert
Die Filme von Action-Spezialist Michael Bay sind an der Kinokasse oft erfolgreich; dagegen selten bei Cineasten und Kritikern. Sein umfangreiches Werk wurde seit 1999 elf Mal für „Goldene Himbeeren“ – die Anti-Oscars – in den Kategorien „schlechtester Film“ und „schlechteste Regie“ nominiert. Darunter waren Action-Kracher wie „Armageddon“ (1998), „Pearl Harbour“ (2001) oder die „Transformers“-Reihe (seit 2007). „Ambulance“ ist ein würdiger Kandidat für die nächste Preisverleihung.