Bochum

Black Gold and China – Fotografien von Lu Guang

Als Ersatz für Rinder und Schafe, die es dort immer weniger gibt, stellte die Bezirksregierung auf dem Weideland Horqin Tierplastiken auf. Holingol, Innere Mongolei, April 2012. Foto: © Lu Guang (Contact Press Images)
Von Menschen gemachte Mondlandschaften: Der Fotograf Lu Guang dokumentiert Kohle- und Industriereviere. Seine kunstvoll komponierten Aufnahmen zeigen gigantische Umweltzerstörung – diese Reise ins Herz der Finsternis präsentiert das Bergbau-Museum erstmals außerhalb Chinas.

Bei den Fotografien von Lu Guang fällt die Orientierung häufig schwer: Wo ist oben, wo unten? Wie weit reicht der Bildraum in die Tiefe – nur ein paar Meter oder etliche Kilometer? Dass diese Aufnahmen unsere Wahrnehmung so stark irritieren, liegt an ihren Motiven: Sie alle kreisen um Gewinnung von Steinkohle. Deren Abbau ist der radikalste Eingriff in die Landschaft, der sich denken lässt: Er fördert buchstäblich das Unterste zutage.

 

Info

 

Black Gold and China –
Fotografien von Lu Guang

 

10.12.2021 – 24.04.2022

täglich außer montags
9:30 bis 17:30 Uhr,

jeder erster Donnerstag im Monat
bis 20:30 Uhr

im Deutschen Bergbau-Museum,
Am Bergbaumuseum 28, Bochum

 

Katalog 40 €

 

Website zur Ausstellung

 

China ist der mit Abstand bedeutendste Steinkohle-Produzent der Welt: Es fördert und verbraucht etwa die Hälfte der jährlichen Menge von knapp sieben Milliarden Tonnen. Die beiden nächstgrößten Förderländer, die USA und Indien, haben jeweils nur einen Anteil von circa zehn Prozent. Chinas kohlereichste Provinzen Shanxi, Shaanxi und Innere Mongolei befinden sich im Norden, rund 500 bis 1000 Kilometer von der Hauptstadt Beijing entfernt.

 

60.000 Kleinbergwerke um 1995

 

In diesem Kohlegürtel wurde die Produktion auf Geheiß der Partei ab Mitte der 1980er Jahre forciert, zunächst mit primitiven Mitteln. Ein Jahrzehnt später existierten dort mehr als 60.000 Kleinbergwerke, die von kleinen Gruppen in Eigenregie betrieben wurden. 1995 begann Lu Guang, ihre Arbeit zu dokumentieren – das Thema sollte ihn mehr als ein Vierteljahrhundert beschäftigen. Seine Langzeit-Beobachtung in präzise komponierten, aber nie übermäßig ästhetisierenden Bildern gliedert diese Ausstellung zu einer Tragödie in drei Akten.

Feature mit Impressionen der Ausstellung; © Deutsches Bergbau-Museum


 

Wie Frühindustrialisierung vor 150 Jahren

 

Der erste spielt sich Mitte der 1990er Jahre ab. Aus mit den Händen gehauenen Schächten schafften Wanderarbeiter – zu diesem weitgehend rechtlosen chinesischen Proletariat sollen bis zu 300 Millionen Menschen zählen – Kohlebrocken mit Maultierkarren fort. Sie hausten in Baracken inmitten einer vegetationslosen Einöde, durchzogen von Staubschwaden. Einsturzgefährdete Stollen, schwarz gefärbte Köpfe mit selbst gebastelten Grubenlampen-Helmen, Kinder in Lumpen: Die Motive ähneln denen aus Europas Frühindustrialisierung vor 150 Jahren – oder solchen aus der heutigen Vierten Welt.

 

In dieser Pionierphase war der Abbau lebensgefährlich: In den meist illegalen Mini-Minen kam es ständig zu Grubenunglücken. Der größte dieser Unfälle ereignete sich allerdings erst in der zweiten Phase Mitte der 2000er Jahre: 2004 kam es in der Shaanxi-Provinz bei Tongchuan zu einer Schlagwetterexplosion, bei der 166 Bergleute starben und mehr als 50 zum Teil schwer verletzt wurden. Nach der tragischsten Bergwerk-Katastrophe in China seit 44 Jahren begleitete Lu Guang mit seiner Kamera die trauernden Angehörigen.

 

Kalkwerk-Arbeiter voller Puderzucker

 

Solche Rückschläge hielten den rasanten Ausbau der Schwerindustrie nicht auf. Lus Aufnahmen zeigen riesige Industrieparks voller Kokereien und Hütten mit Wäldern von Schornsteinen, die ungefiltert grauen oder gelben Rauch ausspucken. Schäumende Abwässer ergießen sich in den Gelben Fluss, die Lebensader der Region. Arbeiter in Kalkwerken, darunter auch Kinder, erscheinen wie von Puderzucker bestäubt. Auf Panoramaansichten verschwimmt alles in trübem Dunst.

 

Diese massiven Umweltschäden für Symptome spezifisch chinesischer Sorglosigkeit zu halten, wäre jedoch falsch. Noch Mitte der 1990er Jahre sah es in manchen osteuropäischen Gebieten, etwa dem oberschlesischen Industrierevier um Katowice, kaum anders aus: Offene Stahlwerk-Öfen brannten lichterloh, die Luft war schwefelgelb. Mit EU-Hilfen gelangen binnen weniger Jahre Konversion und Abgasreduzierung.

 

Plastik-Tiere auf Ödflächen

 

Davon ist China in den 2010er Jahren noch weit entfernt: Aus der Vogelperspektive stehen Dutzende roter Laster wie metallene Käfer Schlange, um den Aushub aus riesigen Tagebaugruben abzutransportieren. Im Norden der Inneren Mongolei trifft Lu auf ein besonders bizarres Phänomen: Frühere Kleinzechen sind serienweise eingestürzt. Jetzt reiht sich dort ein Krater – einem Mega-Bombentrichter gleich – an den anderen. Dazwischen bleiben nur noch schmale Grate von Grasland, auf denen ein paar Rinder weiden.

 

Andernorts ist Viehzucht unmöglich geworden. Um die öden Flächen rund um Kraftwerke und Fabrikanlagen zu verschönern, stellen die Behörden Tierskulpturen aus Kunststoff auf: Nun tummeln sich Plastik-Schafe, -Kühe, -Straußenvögel und sogar -Giraffen zwischen Strommasten und Zufahrtsstraßen. Während in manchen Landstrichen Millionen Tonnen von Abraum einstiges Ackerland unter sich begraben, profitiert man andernorts vom Kohleboom.

 

Weltrekord-Umweltzerstörung

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Arbeiten in Geschichte - Zeitgenössische chinesische Fotografie und die Kulturrevolution" im Museum für Fotografie, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "What a wonderful World" – zeitgenössische Fotografie aus China in der kunst.licht gallery, Berlin

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Letzte Ölung Nigerdelta" mit Fotografien der Umwelt-Katastrophe in Nigeria im Museum für Völkerkunde, München

 

und hier einen Bericht über die Foto-Ausstellung "Edward Burtynsky – Oil" über den Kreislauf der Erdöl-Industrie in der Galerie C/O Berlin.

 

In der Stadt Ordos, einem Regionalzentrum im Südwesten der Inneren Mongolei mit rund 1,5 Millionen Einwohnern, lichtet Lu glitzernden Wohlstand ab: Luxuslimousinen am Straßenrand, ein Geschäftzentrum im Schein bunter Neonlichter, Theater- und Museums-Neubauten in biomorphen Formen. Der Wirtschaftsaufschwung hat die soziale Spaltung deutlich verschärft – nirgends auf der Welt sind Vermögen so ungleich verteilt wie in China.

 

Dass es dieses so wichtige wie schwierige Thema aufgreift, ist dem Bergbau-Museum hoch anzurechnen: „Black Gold and China“ ist nicht nur die erste Einzelausstellung von Lu Guang außerhalb seines Heimatlands. Sie macht auch anhand von mehr als 120 großformatigen Fotografien sichtbar, was sonst im Nebel von Abstraktionen und Zensur untergeht. Jede Statistik belegt, dass die chinesische Industrie der schlimmste Umweltverschmutzer der Welt ist – doch die entsetzlichen Folgen bleiben meist verborgen. Hier springen sie brachial ins Auge.

 

Sino-Kohle + -Zement entscheiden alles

 

Auch wenn die Schau mit einem Hoffnungsschimmer endet, damit der Betrachter nicht verzweifelt: Sie führt schonungslos die gigantischen Dimensionen der Problematik vor. Die Zukunft des Planeten hängt vor allem davon ab, ob China willens und in der Lage ist, Kohleverfeuerung und Zementherstellung drastisch zu drosseln – im Vergleich zu deren Treibhausgas-Emissionen ist alles andere nachrangig. Selbst der bislang für Europa wichtigste Produzent fossiler Brennstoffe: Russlands aktueller Angriffskrieg könnte sich als letztes Aufbäumen eines dahinsiechenden Dinosauriers vor der weitgehenden Deindustrialisierung erweisen.