Joe Wright

Cyrano

Vor der Kathedrale von Noto: Roxanna (Haley Bennett) und Cyrano (Peter Dinklage). Foto: Peter Mountain. © 2021 Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Inc. All Rights Reserved
(Kinostart: 3.3.) Mit Fake-Briefen ein liebend Herz gewinnen: Die Musicalfassung des Bühnenklassikers „Cyrano de Bergerac“ adaptiert Regisseur Joe Wright für die Leinwand. Statt großer Nase plagt den Titelhelden sein kleiner Wuchs – in einem schön inszenierten, aber unharmonischen Musik-Drama-Mix.

Die Musical-Industrie hat wenig Respekt vor literarischen Klassikern; wenn diese Pathos, unerfüllte Liebe und weiteres Kitschpotential bieten, schlägt sie gern zu. Insbesondere populäre französische Literatur scheint es den Schöpfern musikalischer Lustspiele angetan zu haben. So eroberten bereits die „Drei Musketiere“ von Alexandre Dumas die Musical-Bühnen; ebenso „Les Misérables“ nach dem Monumentalroman von Victor Hugo.

 

Info

 

Cyrano

 

Regie: Joe Wright,

124 Min., Großbritannien/ USA/ Kanada 2021;

mit: Peter Dinklage, Haley Bennett, Ben Mendelsohn

 

Website zum Film

 

Von Edmond Rostands romantisch-komödiantischem Versdrama „Cyrano de Bergerac“ (1897) über einen unglücklich verliebten Poeten mit Riesennase gibt es auch schon eine Musical-Fassung. Ohne Nachnamen, aber mit einigen Änderungen kommt nun die zweite musikalische Cyrano-Adaption ins Kino. Sie war zuvor bereits als Off-Broadway-Stück erfolgreich.

 

Mega-Nase nur bei Marionette

 

Die Leinwandversion liefert nun Regisseur Joe Wright. Er verfilmte 2012 den Klassiker „Anna Karenina“ von Leo Tolstoi furios neu. Auch ansonsten hat Wright ein Händchen für literarische Vorlagen, die er ernst nimmt, aber dem Stoff modern begegnet. Bei „Cyrano“ interpretiert er die Hauptfigur um, indem er sie mit dem kleinwüchsigen Peter Dinklage besetzt. Einzige Reminiszenz an die ursprüngliche Merkmal der Hauptfigur, sein Gesichtserker, ist eine Deko-Marionette mit ausgeprägtem Riechkolben in den Kulissen des Theaters, das Cyranos leidenschaftlich liebt.

Offizieller Filmtrailer


 

Soldat als Inkognito-Postbote

 

In einer verschwenderisch ausgestatteten und furios choreografierten Eröffungsszene stellt Cyrano den Publikumsliebling der örtlichen Bühne als untalentierten Popanz bloß, der es nicht verdient, auf diesen Brettern zu stehen. Theater, Dichten, Wort- und reale Gefechte sind Cyranos Leidenschaft. Tiefe Gefühle hat der kampflustige und trinkfeste Zyniker ansonsten nur noch heimlich für seine Jugendfreundin Roxanne (Haley Bennett). Zu seinem Leidweisen sieht diese in ihrem ehemaligen Spielkameraden nur einen Seelenverwandten; ohnehin muss sie sich zahlreicher Avancen erwehren.

 

Als der schneidige junge Rekrut Christian (Kelvin Harrison Jr.) in die Stadt kommt, ist es um Roxanne geschehen. Bald erhält sie von diesem Jüngling poetische Briefe – allerdings ahnt sie nicht, dass diese eigentlich von Cyrano formuliert worden sind. Diese Grundstruktur der Handlung behält Regisseur Wright bei, bis zum bitteren Ende.

 

Songs von „The National“-Mitgliedern

 

Als Kulissen dienen die sonnendurchfluteten Straßen der südsizilianischen Barock-Stadt Noto. Ihr warmer, honigfarbener Sandsteinton sorgt für entsprechende Stimmung und malerische Anmutung, vor denen Cyranos Seelenpein noch melodramatischer zur Wirkung kommt. Der Feingeist in verwachsener Gestalt hadert mit seinem physischen Ungenügen; er ringt mit sich, ob und wie er Roxanne seine Gefühle offenbaren kann, wozu er lieber einen Avatar mit hübschem Gesicht benutzt.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Die dunkelste Stunde" – packendes Biopic über Winston Churchill mit Gary Oldman von Joe Wright

 

und hier eine Besprechung des Films "The Woman in the Window" - Mystery-Psychothriller-Adaption von Joe Wright mit Amy Adams + Julianne Moore

 

und hier einen Beitrag über den Film "Les Miserables" - opulente Musical-Adaption von Tom Hooper nach dem Roman-Klassiker von Victor Hugo

 

und hier einen Bericht über den Film "Anna Karenina" von Joe Wright mit Keira Knightley nach dem Klassiker von Leo Tolstoi.

 

Das alles spielt Dinklage nuancenreich; mal still, mal großmäulig und immer glaubhaft. Allerdings nicht beim Singen: Die Songs aus der Feder von Bryce und Aaron Dessner, Mitglieder der Indierock-Band „The National“, sind kaum so eingängig sind, wie man es von Musicalnummern erwartet. Haley Bennett als Roxanne hingegen überzeugt mit ihrer Stimme wie mit schwärmerischer Bühnenpräsenz, während Kelvin Harrison wenig Gelegenheit hat, zu glänzen.

 

Mit Musik zu melodramatisch

 

Wie immer in seinen Filmen verwendet Regisseur Joe Wright viel Sorgfalt auf die Ausstattung. Sie lässt burleskes Theater von einst wieder aufleben, erinnert auch sehr an klassische Literaturverfilmungen wie „Romeo und Julia“ (1968) von Franco Zeffirelli oder auch Richard Lesters Adaption der „Drei Musketiere“ von 1973. Ihnen folgend versucht auch Wright, Ernst und Albernheit, Drama und Komik miteinander zu verbinden, was nicht immer gelingt; vor allem in den arg plötzlich einsetzenden Gesangseinlagen.

 

In den Dialog-Passagen hat der Film sehr schöne, auch intensive oder komische  Momente. Doch das ist vorbei, sobald Gesang anhebt; dann wird es oft zu melodramatisch. Dagegen können auch die schön inszenierten Bilder nicht viel ausrichten. Auf der Bühne mag dieser Mischmasch von Drama und Musical harmonieren, im Kino eher nicht.