Nanni Moretti

Drei Etagen

Renato (Paolo Graziosi, li.) wird von Lucio (Riccardo Scamarcio) im Krankenhaus gewürgt, weil der ihn der Pädophilie verdächtigt. Foto: Sacher Film Fandango Le Pact
(Kinostart: 17.3.) Männer sind Schweine: Im römischen Mietshaus herrschen Misstrauen, Gefühlskälte und blanker Hass. Das bekommt dem Episodenfilm von Regisseur Nanni Moretti schlecht – sein Sammelsurium aus Schuldzuweisungen wirkt willkürlich und dürftig konstruiert.

Rom als Jammertal: Im ersten Stock eines gutbürgerlichen Wohnhauses wohnen Lucio (Riccardo Scamarcio) und Sara mit der siebenjährigen Francesca. Wenn die Eltern außer Haus sind, geben sie ihre Tochter zur Beaufsichtigung beim greisen Nachbarn-Paar gegenüber ab. Der leicht demente Renato (Paolo Graziosi) schäkert gern mit der Kleinen herum. Als sich beide bei einem Spaziergang verlaufen und im Dunkeln warten, bis Lucio sie findet, schöpft der Vater Verdacht, Renato könne seiner Tochter etwas angetan haben.

 

Info

 

Drei Etagen

 

Regie: Nanni Moretti,

117 Min., Italien/ Frankreich 2021;

mit: Margherita Buy, Riccardo Scamarcio, Alba Rohrwacher

 

Weitere Informationen zum Film

 

Sein Argwohn wird manisch: Er geht jeder Spur nach, um den vermeintlichen Kinderschänder zu überführen. Als dessen Enkelin Charlotte ihm bei einem Besuch in Aussicht stellt, ihn die Email-Korrespondenz ihrer Oma lesen zu lassen, lässt sich Lucio von der frühreifen Lolita verführen. Dummerweise ist sie noch Jungfrau und minderjährig – diese Affäre endet vor Gericht.

 

Papa ist auf Dienstreise

 

In der zweiten Etage desselben Hauses lebt Monica (Alba Rohrwacher) mit ihrer kleinen Tochter Beatrice. Deren Entbindung musste sie allein organisieren, weil ihr Mann Giorgio unterwegs war. Als Ingenieur arbeitet er ständig auf wechselnden Baustellen; ihr Eheleben beschränkt sich auf Skype-Telefonate. Monica ist seelisch instabil; die anhaltende Isolation macht ihr zu schaffen. Eines Tages taucht Giorgios gehasster Bruder Roberto auf – der windige Finanzjongleur muss vor Gläubigern fliehen. Allerdings bietet er Monica, was ihr fehlt: Aufmerksamkeit und Zuwendung.

Offizieller Filmtrailer


 

Fahrt + Film scheitern krachend

 

Im dritten Stock ist eine Richter-Familie zuhause: Der schon erwachsene Sohn Andrea fühlt sich von seinem Vater Vittorio (Nanni Moretti) und Dora (Margherita Buy) gegängelt. Eines Abends überfährt er betrunken mit seinem Auto eine Passantin, die stirbt. Sein Vater weigert sich, ihn durch seine Justiz-Kontakte vor einer Gefängnisstrafe zu bewahren; Andrea muss fünf Jahre Haft absitzen. Was zum endgültigen Bruch mit seinen Eltern führt: Vittorio zwingt seine Frau Dora, sich zwischen ihm und ihrem Sohn zu entscheiden.

 

Misstrauen, Ranküne, Gefühlskälte und blanker Hass, wohin man schaut: Dass sich hinter gutbürgerlichen Fassaden unmenschliche Abgründe auftun, ist ein alter Topos der Literatur. Ihn hat der israelische Autor Eshkol Nevo 2015 in seinem Roman „Über uns“ auf nahöstliche Verhältnisse angepasst; diesen sich über zehn Jahre hinziehenden Stoff verlegt Regisseur Nanni Moretti in die italienische Hauptstadt. Was literarisch als Geisterbahn durch die postmoderne Bourgeoisie taugen mag, scheitert als Film genauso krachend wie Andreas Unfallfahrt im Erdgeschoss des Wohnhauses.

 

Figuren gehen in Problemen auf

 

Nicht nur, weil die Querverbindungen zwischen den Personen und Episoden sehr dürftig konstruiert sind. Sondern vor allem, weil die Figuren völlig in ihren Problemen aufgehen: Bei rund 40 Minuten pro Episode bleibt kaum Zeit, ihre Charaktere zu entwickeln und ihnen Eigenschaften zuzusprechen, die mehr wären als Auslöser für verhängnisvolle Fehltritte. Was diese widersprüchlich bis absurd wirken lässt: Lucio ist von Pädophilie-Ängsten besessen, schläft aber mit der Nachbars-Enkelin – sind seine Befürchtungen Ausdruck von Selbsthass?

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Glücklich wie Lazzaro" - fantastische Ausbeutungs-Parabel von Alice Rohrwacher mit Alba Rohrwacher

 

und hier eine Besprechung des Films "Meine Tochter – Figlia Mia" - provokantes italienisches Familien-Drama von Laura Bispuri mit Alba Rohrwacher

 

und hier ein Bericht über den Film "Die Einsamkeit der Primzahlen" - Drama über unerfüllte Jugendliebe von Saverio Constanzo mit Alba Rohrwacher

 

und hier ein Beitrag über den Film "La Grande Bellezza – Die große Schönheit" - herrliche Rom-Hommage von Paolo Sorrentino, prämiert mit dem Auslands-Oscar 2014.

 

Die von Einsamkeit geplagte Monica hat ausgerechnet einen Mann geheiratet, der dauernd auf Montage ist. Deshalb öffnet sie seinem Bruder, einem gesuchten Betrüger, die Tür. Später hat sie Halluzinationen, die sie veranlassen, aus heiterem Himmel zu verschwinden. Ebenso unvermittelt werden Szenen eingestreut, die irgendwie zeitgenössische Relevanz suggerieren sollen.

 

Müder Abklatsch früherer Erfolge

 

Als Dora die Kleider ihres verstorbenen Mannes in einer Sammelstelle abgibt, protestiert ein fremdenfeindlicher Mob gegen dort beschäftigte Immigranten. Der Sammelstellen-Leiter nimmt sie mit auf eine Exkursion, bei der im Autoradio über spontane Tango-Tanzvergnügen gesprochen wird – zehn Minuten danach zieht zufällig eine Tango-Parade durch die Straße.

 

Seit seinem Cannes-Überraschungserfolg „Die Nichtstuer“ (1978) zählt Regisseur Nanni Moretti zum Urgestein des italienischen Autorenkinos. Mehrfach drehte er Episodenfilme mit autobiographischem Einschlag, die international gut ankamen, etwa „Liebes Tagebuch…“ (1993). Doch „Drei Etagen“ erscheint wie ein müder Abklatsch einstiger Erfolge: Morettis frühere Sensibilität für Seelennöte im liberal-urbanen Akademiker-Milieu ist hölzernen Schuldzuweisungen gewichen.

 

Frauen gehen eigene Wege

 

Wenn man in diesem formlosen Episoden-Einerlei irgendeinen Zusammenhang ausmachen will, dann am ehesten, was das Presseheft zum Film mundgerecht vorformuliert: „Während die Männer in ihrem Eigensinn wie gefangen erscheinen, versuchen die Frauen, die familiären Brüche zu kitten und ihren eigenen Weg zu gehen.“ Das passt zum Neofeminismus-Furor des aktuellen Zeitgeistes. Den Song „Männer sind Schweine“ hat die deutsche Punkpop-Band „Die Ärzte“ allerdings schon 1998 komponiert – und viel witziger betextet.