Kann man über Max Liebermann (1847-1935) noch Neues sagen? Über den berühmtesten deutschen Maler der Zeit um 1900, dessen Popularität bis heute ungebrochen ist? Man kann, versichern die Macher dieser großen Retrospektive, die vom Kunstpalast gemeinsam mit dem Hessischen Landesmuseum Darmstadt auf die Beine gestellt worden ist und dort zuvor zu sehen war.
Info
Ich. Max Liebermann –
Ein europäischer Künstler
03.02. - 08.05.2022
täglich außer montags 11 bis 18 Uhr,
donnerstags bis 21 Uhr
im Kunstpalast, Ehrenhof 4, Düsseldorf
Katalog 29,80 €
120 Gemälde auch von Zeitgenossen
Illustriert wird seine zu Beginn durchaus unstete Laufbahn mit rund 120 Gemälden: neben etlichen Haupt- und Nebenwerken von Liebermann selbst auch mit zahlreichen Bildern seiner Zeitgenossen. Klug ausgewählt, zeigen sie anschaulich, woher er Anregungen und Motive bezog, wie er sich sichtlich von anderen beeinflussen ließ – bevor er selbst zu einem Referenzkünstler seiner Epoche wurde, der viele andere beeinflusste.
Impressionen der Ausstellung in Darmstadt; © German Ji Jinhee
Eisenbahnkönig kauft Gänserupferinnen
Bis auf zwei, drei thematische Räume ist der Parcours chronologisch angeordnet. So beginnt er mit einer Überraschung: Für den jungen Liebermann war eine der ihn am stärksten prägenden Begegnungen die mit Mihály Munkácsy (1844-1900); er sollte später zum Inbegriff eines Malerfürsten werden, der opulenten Schwulst pinselte. 1871 wohnte der Ungar in Düsseldorf. Im Vorjahr war seine dramatische Genreszene „Der letzte Tag eines Verurteilten“ im Pariser Salon mit einer Goldmedaille prämiert worden, was seinen künstlerischen Durchbruch bedeutete.
Mit seinem Weimarer Kunstprofessor Theodor Hagen besuchte Liebermann Munkácsy und war begeistert von dessen Bild „Charpiezupferinnen“, auf dem arme Frauen Fetzen zu Mull verarbeiteten. Davon inspiriert, malte Liebermann seine „Gänserupferinnen“: Als sie 1872 auf der Hamburger Kunstausstellung gezeigt wurden, löste das prosaische Sujet heftige Debatten aus. Der „Eisenbahnkönig“ Bethel Henry Strousberg kaufte es aber an – und sein Schöpfer war mit einem Schlag berühmt.
Sommers in die Niederlande
Vom Erlös finanzierte Liebermann 1873 seine Übersiedlung nach Paris. Doch so kurz nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 wurden deutsche Exilanten vom Kunstbetrieb der Metropole geschnitten. Liebermann freundete sich mit anderen Ausländern an und machte gemeinsam mit ihnen Mal-Ausflüge zur Künstlerkolonie in Barbizon – die Köpfe der dortigen Freiluftmalerei-Schule wie Jean-François Millet und Camille Corot zählten zu seinen großen Vorbildern.
Ab 1876 verbrachte Liebermann zudem fast jeden Sommer in die Niederlande: um Werke alter Meister wie Rembrandt und Frans Hals zu kopieren, aber auch wegen der Vielfalt rustikal-agrarischer Motive. Bald knüpfte er Kontakte zur Haager Schule um Anton Mauve und Jozef Israëls, die ähnlich wie die französischen Barbizon-Maler die Mühsal des bäuerlichen Landlebens ungeschönt einfingen.
German Grobe als kleiner Liebermann
Beispiele der Haager Schule werden in der Schau ebenso gezeigt wie Werke von Düsseldorfer Maler, die ihnen nacheiferten. Etwa eine kontrastreich leuchtende „Heuernte“ (1890) von Olof Jernberg oder Kleinformate von German Grobe, der wegen verblüffender ähnlicher Motivwahl und Maltechnik der „kleine Liebermann“ genannt wurde.
Dem naturalistischen Ansatz blieb Liebermann bis weit in die 1880er Jahre hinein verpflichtet – obwohl er mit städtischen Szenen etwa aus Armen- und Waisenhäusern seinen Motivkreis zusehends erweiterte. Mit Erfolg: Adolph von Menzel lobte Liebermann als „den einzigen, der Menschen macht und keine Modelle“.
Skandal-Jesus mit Schläfenlocken
Das sah nicht jeder so. 1878 zog Liebermann nach München um und fertigte dort das lebensgroße Gruppenbild „Der zwölfjährige Jesus im Tempel“ an. Es entzündete einen heftigen Streit: Antisemiten störten sich an einem barfüßigen Erlöser-Jungen mit Schläfenlocken. Liebermann übermalte sie und fügte Sandalen hinzu – die entschärfte Version ist gleichfalls in der Schau zu sehen.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Max Liebermann und Lesser Ury: Zweimal Großstadt Berlin" in der Liebermann-Villa, Berlin
und hier eine Besprechung der Ausstellung "London 1938 - Mit Kandinsky, Liebermann und Nolde gegen Hitler" mit Werken von Max Liebermann in der Liebermann-Villa, Berlin
und hier ein Beitrag über die Ausstellung "Max Liebermann und Paul Klee: Bilder von Gärten" in der Liebermann-Villa, Berlin
und hier ein Bericht über die Ausstellung "Camille Corot: Natur und Traum" - beeindruckende Retrospektive in der Staatlichen Kunsthalle, Karlsruhe
und hier eine Kritik der Ausstellung "Malerfürsten" mit Werken von Mihály Munkácsy in der Bundeskunsthalle, Bonn.
Eine Ehrung nach der anderen
1889 stieg Liebermann endgültig in den Künstler-Olymp auf. An der Pariser Weltausstellung zur 100-Jahr-Feier der Revolution beteiligte sich das Deutsche Reich nicht, doch inoffiziell wurde zeitgenössische deutsche Malerei in der französischen Hauptstadt präsentiert –und Liebermann zählte zum dreiköpfigen Auswahlkomitee. Frankreich dankte mit einer Ehrenmedaille und der Aufnahme in die „Société Nationale des Beaux-Arts“.
Fortan zählte Liebermann auch daheim zur ersten Garde. Mit der Goldmedaille der Großen Berliner Kunstausstellung 1897 erhielt er eine Professur an der Kunstakademie. Im Folgejahr gründete er die „Berliner Secession“ mit, deren Präsident er zwölf Jahre blieb. Nun entstanden die impressionistischen Bilder in leuchtenden Farben mit idyllischen oder mondänen Szenen von Sport- und Freizeitvergnügen, für die Liebermann bis heute geschätzt wird.
Beliebig blühende Gartenbilder
Bis hin zur berühmten Serie seiner Gartenansichten aus der Wannsee-Villa, die er 1909 erbauen ließ: Auch diese Ausstellung bietet eine Reihe davon auf – in dieser Häufung vermitteln sie den Eindruck einer gewissen Beliebigkeit. Das macht nichts: Wenige Maler des 19. Jahrhunderts haben so häufig stilistisch neue Wege beschritten wie Liebermann. Wie sehr ihn dazu Impulse aus halb Europa motivierten, zeigt diese Schau mustergültig auf.