Würzburg

Landschaften im Licht – Der Impressionist Ludwig von Gleichen-Rußwurm

Die große Bleiche: 1889; Ölhaltige Farben auf Gewebe; 85 x 127 cm Privatbesitz © Foto: VAN HAM Kunstauktionen / Saša Fuis
Der erste deutsche Impressionist ist heute weitgehend vergessen: Dass Ludwig von Gleichen-Rußwurm schon ab 1889 in hell leuchtenden Farben malte, wissen nur Spezialisten. Dem zu Unrecht Verkannten widmet das Museum im Kunstspeicher die erste Werkschau seit fast 40 Jahren.

Mit dem Prädikat, der erste Künstler einer neuen Stilrichtung der klassischen Moderne gewesen zu sein, ist es so eine Sache. Gewiss haben Pablo Picasso und Georges Braque gemeinsam den Kubismus erfunden. Doch wer malte das erste expressionistische Bild? Und die Auffassung, Wassily Kandinsky habe 1912 das erste rein abstrakte Gemälde geschaffen, darf als Legende gelten: Schon Jahre zuvor füllten andere Maler Leinwände mit Ungegenständlichem.

 

Info

 

Landschaften im Licht -
Der Impressionist Ludwig
von Gleichen-Rußwurm

 

05.02.2022 - 15.05.2022

täglich außer montags 11 bis 18 Uhr,

dienstags ab 13 Uhr

im Museum im Kulturspeicher, Oskar-Laredo-Platz 1, Würzburg

 

Katalog 30 €

 

Weitere Informationen

 

Insofern ist die vollmundige Behauptung ein wenig mit Vorsicht zu genießen, Ludwig von Gleichen-Rußwurm (1836-1901) sei der erste deutsche Impressionist gewesen. Die Kuratoren dieser Werkschau berufen sich auf den meinungsfreudigen Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe, der 1904 Gleichen-Rußwurm mit den Worten pries, er habe „zuerst ganz allein die Einführung des Impressionismus in die deutsche Malerei vollbracht“.

 

Monet regt 1889 Weimar auf

 

Für diese These ist eine Schlüsselszene überliefert. 1889 lud die Weimarer Kunstschule den Hamburger Kunstkritiker Emil Heilbut ein, Vorträge über französische Kunst im 19. Jahrhundert zu halten. Dafür brachte Heilbut aus seiner Sammlung drei kleine Bilder von Claude Monet mit. Der malte zwar schon seit Anfang der 1870er Jahre impressionistisch, doch nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/1 war die grenzüberschreitende Rezeption nahezu eingeschlafen. Daher erregten Heilbuts Beispiele „grosses Aufsehen wegen ihrer Farbigkeit und Fleckentechnik“, notierte der anwesende Maler-Kollege Christian Rohlfs.

Impressionen der Ausstellung


 

Stammsitz-Schloss in Truppenübungsplatz

 

Gleichen-Rußwurm war davon so beeindruckt, dass er seine künstlerische Praxis grundlegend umstellte. Hatte er zuvor detailreich realistische Landschaften mit ausgewogenen Hell-Dunkel-Kompositionen gemalt, änderte er nun seine Palette völlig: Fortan wählte er nur noch leuchtende Farben, die er locker auf die Leinwand auftrug. Allerdings blieb er seinem bisherigen Motivspektrum treu – ohnehin war sein Lebenslauf von großer Beständigkeit gekennzeichnet.

 

Der Sohn eines Freiherrn und der jüngsten Tochter von Friedrich Schiller wuchs auf Schloss Greifenstein auf; der Stammsitz des Adelsgeschlechts am Rand des Dorfes Bonnland in Mainfranken ist heute nicht mehr zugänglich, weil das Areal 1937 in einen immer noch genutzten Truppenübungsplatz umgewandelt wurde. Seine Ausbildung bereitete Gleichen-Rußwurm darauf vor, künftig das Rittergut im Familienbesitz zu führen.

 

Wohnung + Atelier in Weimar

 

Nach dem frühen Tod seiner Frau – nur einen Monat nach der Geburt ihres Sohnes 1865 – entschied sich der Witwer, seinen künstlerischen Neigungen zu folgen. 1869 begann er ein Studium an der erst neun Jahre zuvor gegründeten Kunstschule in Weimar. Eine Wohnung mit Atelier hatte ihm der Großherzog zur Verfügung gestellt; beides behielt Gleichen-Rußwurm bis ans Lebensende. Hier arbeitete er in den Wintermonaten Skizzen und Studien zu Gemälden aus, die er im Sommerhalbjahr in den Hügeln um Bonnland angefertigt hatte.

 

Die junge Kunstschule in Weimar, die zur gleichen Zeit auch Max Liebermann besuchte, war fortschrittlich; ihre Lehrer orientierten sich an der Freilichtmalerei der Schule von Barbizon, vor allem an Jean-François Millet und Camille Corot. Diese Einflüsse prägen auch das Frühwerk von Gleichen-Rußwurm; das zeigen Ölgemälde wie „Kartoffelernte“ oder „Bäuerinnen auf dem Weg zur Feldarbeit“ (beide 1873). Anders als etwa Millet heroisierte er aber nicht die Figuren und ihre Tätigkeit, sondern stellte sie im Einklang mit der sie umgebenden Natur dar.

 

25 Gemälde + 80 Papier-Arbeiten

 

Dabei wählte Gleichen-Rußwurm oft betont unspektakuläre Sujets. Bemerkenswert ist sein Gespür für Valeurs, für feinste Nuancen im Blattwerk von Bäumen oder Lichtreflexen auf Wasserläufen. Sie kommen auf Ölskizzen wie dem „Dorf am Wasser (Oberweimar)“ (1873) und Aquarellen wie einem „Wiesenbach mit Pappeln“ (1884) oft noch besser zur Geltung als auf großformatigen Gemälden. Für solche Vergleiche eignet sich diese Retrospektive hervorragend, die zuvor in Weimar zu sehen war: Mit 25 Gemälden und 80 Arbeiten auf Papier ist sie die umfangreichste Werkschau seit dem Tod des Künstlers und die erste seit 39 Jahren.

 

1889 dann der scharfe Bruch: Gemälde wie „Heuernte“ oder „Herbstfeuer“ sehen völlig anders aus als das, was Gleichen-Rußwurm noch im Jahr zuvor gemalt hatte. Allerdings nur stilistisch, nicht motivisch: Bei der Wahl der Bildgegenstände beschränkte er sich vorwiegend auf ländliche Szenen aus seiner unmittelbaren Umgebung. Man kann das positiv sehen: Ähnlich wie Monets Bilder der Seerosen in Giverny oder Liebermanns Gemälde des Gartens seiner Wannsee-Villa erlaubte ihm das, Licht- und Luftveränderungen minutiös nachzuspüren.

 

Zu begütert für Breitenwirkung

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Reiselust und Sinnesfreude" - mit Werken des Trias des deutschen Impressionismus Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Monet und die Geburt des Impressionismus"im Städel Museum, Frankfurt am Main

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Impressionismus – Die Kunst der Landschaft" - erstklassige Überblicksschau im Museum Barberini, Potsdam

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Pissarro – Der Vater des Impressionismus" im Von Der Heydt-Museum, Wuppertal.

 

Man kann das aber auch kritisieren: Die in zarten Grüntönen abgestuften, von horizontalen Wald- und Hügellinien gegliederten Gemälde wirken in Serie recht monoton, fast langweilig. Wohl deshalb muss das Bild „Die große Bleiche“ als Blickfang für sämtliche Werbemittel der Schau herhalten, vom Plakat über die Broschüre bis zum Katalog: Weiß leuchtende Laken auf einer Wiese und blaue Kleider der Wäscherinnen sorgen für spannungsreiche Kontraste, die den meisten Bildern von Gleichen-Rußwurm fehlen.

 

Was einer der Gründe sein dürfte, warum sein Œuvre nach seinem Tod weitgehend vergessen wurde. Zudem starb er bereits 1901; um die Jahrhundertwende hatte sich der Impressionismus in Deutschland noch kaum durchgesetzt. Schließlich dürfte es auch an seiner sozialen Stellung liegen: Zwar reiste Gleichen-Rußwurm oft in Metropolen, um wichtige Ausstellungen zu besichtigen, doch er lebte abgeschieden in der Provinz. Als begüterter Adliger hatte er es nicht nötig, sich um den Absatz seiner Werke zu kümmern; so kamen nur wenige in Umlauf.

 

Motivwechsel überzeugt nicht

 

Dass deren Bandbreite eher begrenzt war, wollte er offenbar in den 1890er Jahren ändern: Nun malte er auch urbanes Publikum, das durch Parks lustwandelte oder an Nordsee-Stränden urlaubte. Doch ähneln solche Darstellungen kompositorisch meist seinen geläufigen Dörflern in Wald und Feld. Mit seinem letzten Gemälde, einer „Landschaft mit Windmühle“, wagte er 1901 noch einmal radikal Neues – aber die postimpressionistische Malweise eines Paul Cézanne oder Vincent van Gogh blieb ihm fremd.