Pedro Almodóvar

Parallele Mütter

Elena (Rossy de Palma) und Janis (Penélope Cruz) baden ihr Baby. Foto: Copyright: El Deseo / Studiocanal GmbH 2021
(Kinostart: 10.3.) Zwei Mütter wider Willen, die einander souverän beistehen – und dadurch ein Vorbild für Spaniens Umgang mit grausamen Aspekten seiner Geschichte geben: Regisseur Pedro Almodóvar verknüpft virtuos Privates mit Politischem zu einem schillernden Möbiusstreifen.

Nach dem autobiografisch eingefärbten Bilderbogen „Leid und Herrlichkeit“ (2019) kehrt Pedro Almodóvar mit „Parallele Mütter“ scheinbar zurück in seine Komfortzone. Wieder erzählt er parallel die Geschichte mehrerer Frauen, wieder passen deren Kleider in jeder Einstellung zur Gestaltung der Innenräume, und wieder liegt der ganze Film gewissermaßen der Hauptdarstellerin Penelopé Cruz zu Füßen.

 

Info

 

Parallele Mütter

 

Regie: Pedro Almodóvar,

123 Min., Spanien 2021;

mit: Penélope Cruz, Milena Smit, Israel Elejalde

 

Weitere Informationen zum Film

 

Sie spielt die erfolgreiche Fotografin Janis, die in Madrid lebt; zu Beginn des Films lässt sie sich auf einen one night stand mit dem Anthropologen Arturo ein. Resultat dieser Nacht ist ein Kind, das Janis mit großer Selbstverständlichkeit allein aufziehen will. Vor der Entbindung begegnet sie in der Klinik der jüngeren Ana (Milena Smit), die mit sich und ihrer künftigen Mutterrolle längst nicht so im Reinen ist wie Janis.

 

DNA-Test bringt abrupte Wendung

 

Als sich die beiden Frauen wenig später wieder begegnen, erfährt Janis, dass Ana ihr Kind schon bald durch plötzlichen Kindstod verloren hat. Daraufhin holt sie die junge Frau als Haushaltshilfe und Kindermädchen für ihre eigene Tochter in ihre Wohnung. Auch mit Arturo gibt es ein Wiedersehen. Als dieser jedoch behauptet, sich in Janis’ Kind nicht wiederzuerkennen, und die verstörte Mutter dazu bringt, einen DNA-Test anzufordern, nimmt die Handlung eine abrupte Wendung.

Offizieller Filmtrailer


 

Nie am Rande des Nervenzusammenbruchs

 

Sie wird nicht die letzte bleiben. Der Film folgt streng Almodóvars eigenen Gesetzen von Zufall, Synchronizität und Schicksalserfüllung. Darin ist immer auch Platz für einen Gastauftritt seiner alten Gefährtin Rossy de Palma. Entsprechend verwickelt ist der Erzählfaden; wenn sich in Janis’ Leben eine Tür öffnet, kann das in der Zeit Monate vor oder zurück führen.

 

Dabei bewegen sich die Frauen und der Mann eben gerade nicht dauernd am Rande des Nervenzusammenbruchs. Insbesondere Janis ist zwar oft schockiert, wütend oder traurig, bleibt aber immer souverän; sie zeigt sich mit jeder Entscheidung als Feministin. Auch die Nebenfiguren – etwa Aitana Sánchez Gijón als Anas egoistische, aber nicht herzlose Mutter Teresa – spielen wichtige Rollen, in denen sie Stärken und Schwächen zeigen dürfen.

 

Massengrabes aus Franco-Ära

 

Ohne miteinander verwandt zu sein, verhalten sich wie eine Familie: Es wird oft gestritten, aber auch vergeben. Das war schon immer das Mittel des Regisseurs, um das Publikum für seine Figuren einzunehmen; diese menschliche Wärme einer Zweckfamilie hat er aus seiner eigenen queeren Adoleszenz mitgenommen. Sie verbindet auch die gereiften Figuren seiner jüngeren Filme, auch wenn diese nun mehr oder weniger in die Mitte der Gesellschaft gerückt sind.

 

Nachdem Almodóvar all das in den nötigen Pastellfarben und Großaufnahmen ausgebreitet hat, öffnet sich noch eine Tür. Diesmal auf ein weites Feld, das am Anfang des Films angedeutet wurde: Außer der mutmaßlichen gemeinsamen Tochter verbindet Janis und Arturo, dass sie sich gemeinsam für die Öffnung eines Massengrabes aus der Zeit der Franco-Diktatur engagieren. Janis vermutet dort ihren Großvater; sie will ihn endlich würdig bestatten.

 

100.000 unidentifizierte Opfer

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Leid und Herrlichkeit" – berührende Rückschau auf das Leben eines alternden Künstlers von Pedro Almodóvar

 

und hier eine Besprechung des Films "Julieta" – ergreifendes Mutter-Tochter-Drama von Pedro Almodóvar

 

und hier einen Beitrag über den Film "Fliegende Liebende" – Sommer-Komödie über sexuelle Enttabuisierung mit Penélope Cruz von Pedro Almodóvar

 

und hier einen Beitrag über den Film "Mad Circus – Eine Ballade von Liebe und Tod" – groteske Parabel über Spanien in der Endphase der Franco-Diktatur von Alex de la Iglesia.

 

Dieser Handlungsfaden wird am Ende wieder aufgenommen und verknüpft die private Ebene mit dem Politischen. Es gibt kaum einen Film von Almodóvar, der nicht zumindest ein politisches Thema aufgreift. In diesem Fall handelt es sich um den Franco-Faschismus, der Mitte der 1970er Jahre endete, als Almodóvar seine Filmkarriere begann.

 

Der Preis für Spaniens Demokratisierung war damals eine umfassende Amnestie; daher wurden zahllose Verbrechen bis heute nicht aufgeklärt. Man vermutet, dass in rund 2000 Massengräbern im ganzen Land circa 100.000 Regimeopfer verscharrt wurden, die bisher unidentifiziert geblieben sind. Erst seit wenigen Jahren ist es Angehörigen möglich, auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen.

 

Von Mutterschaft zu Gesellschaftspanorama

 

Bei einer solchen Unternehmung wird Janis von Arturo unterstützt; nach Jahren voller Verwicklungen kommt auch dieser Erzählstrang zu einem Abschluss. So endet die im Grunde private Geschichte um zwei Mütter wider Willen mit einem kritischen Panoramablick auf die spanische Gesellschaft. Obwohl beides auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben scheint, gelingt es Almodóvar, beide Ebenen zu einem schillernden Möbiusstreifen zu verbinden.