Nach dem autobiografisch eingefärbten Bilderbogen „Leid und Herrlichkeit“ (2019) kehrt Pedro Almodóvar mit „Parallele Mütter“ scheinbar zurück in seine Komfortzone. Wieder erzählt er parallel die Geschichte mehrerer Frauen, wieder passen deren Kleider in jeder Einstellung zur Gestaltung der Innenräume, und wieder liegt der ganze Film gewissermaßen der Hauptdarstellerin Penelopé Cruz zu Füßen.
Info
Parallele Mütter
Regie: Pedro Almodóvar,
123 Min., Spanien 2021;
mit: Penélope Cruz, Milena Smit, Israel Elejalde
Weitere Informationen zum Film
DNA-Test bringt abrupte Wendung
Als sich die beiden Frauen wenig später wieder begegnen, erfährt Janis, dass Ana ihr Kind schon bald durch plötzlichen Kindstod verloren hat. Daraufhin holt sie die junge Frau als Haushaltshilfe und Kindermädchen für ihre eigene Tochter in ihre Wohnung. Auch mit Arturo gibt es ein Wiedersehen. Als dieser jedoch behauptet, sich in Janis’ Kind nicht wiederzuerkennen, und die verstörte Mutter dazu bringt, einen DNA-Test anzufordern, nimmt die Handlung eine abrupte Wendung.
Offizieller Filmtrailer
Nie am Rande des Nervenzusammenbruchs
Sie wird nicht die letzte bleiben. Der Film folgt streng Almodóvars eigenen Gesetzen von Zufall, Synchronizität und Schicksalserfüllung. Darin ist immer auch Platz für einen Gastauftritt seiner alten Gefährtin Rossy de Palma. Entsprechend verwickelt ist der Erzählfaden; wenn sich in Janis’ Leben eine Tür öffnet, kann das in der Zeit Monate vor oder zurück führen.
Dabei bewegen sich die Frauen und der Mann eben gerade nicht dauernd am Rande des Nervenzusammenbruchs. Insbesondere Janis ist zwar oft schockiert, wütend oder traurig, bleibt aber immer souverän; sie zeigt sich mit jeder Entscheidung als Feministin. Auch die Nebenfiguren – etwa Aitana Sánchez Gijón als Anas egoistische, aber nicht herzlose Mutter Teresa – spielen wichtige Rollen, in denen sie Stärken und Schwächen zeigen dürfen.
Massengrabes aus Franco-Ära
Ohne miteinander verwandt zu sein, verhalten sich wie eine Familie: Es wird oft gestritten, aber auch vergeben. Das war schon immer das Mittel des Regisseurs, um das Publikum für seine Figuren einzunehmen; diese menschliche Wärme einer Zweckfamilie hat er aus seiner eigenen queeren Adoleszenz mitgenommen. Sie verbindet auch die gereiften Figuren seiner jüngeren Filme, auch wenn diese nun mehr oder weniger in die Mitte der Gesellschaft gerückt sind.
Nachdem Almodóvar all das in den nötigen Pastellfarben und Großaufnahmen ausgebreitet hat, öffnet sich noch eine Tür. Diesmal auf ein weites Feld, das am Anfang des Films angedeutet wurde: Außer der mutmaßlichen gemeinsamen Tochter verbindet Janis und Arturo, dass sie sich gemeinsam für die Öffnung eines Massengrabes aus der Zeit der Franco-Diktatur engagieren. Janis vermutet dort ihren Großvater; sie will ihn endlich würdig bestatten.
100.000 unidentifizierte Opfer
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Leid und Herrlichkeit" – berührende Rückschau auf das Leben eines alternden Künstlers von Pedro Almodóvar
und hier eine Besprechung des Films "Julieta" – ergreifendes Mutter-Tochter-Drama von Pedro Almodóvar
und hier einen Beitrag über den Film "Fliegende Liebende" – Sommer-Komödie über sexuelle Enttabuisierung mit Penélope Cruz von Pedro Almodóvar
und hier einen Beitrag über den Film "Mad Circus – Eine Ballade von Liebe und Tod" – groteske Parabel über Spanien in der Endphase der Franco-Diktatur von Alex de la Iglesia.
Der Preis für Spaniens Demokratisierung war damals eine umfassende Amnestie; daher wurden zahllose Verbrechen bis heute nicht aufgeklärt. Man vermutet, dass in rund 2000 Massengräbern im ganzen Land circa 100.000 Regimeopfer verscharrt wurden, die bisher unidentifiziert geblieben sind. Erst seit wenigen Jahren ist es Angehörigen möglich, auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen.
Von Mutterschaft zu Gesellschaftspanorama
Bei einer solchen Unternehmung wird Janis von Arturo unterstützt; nach Jahren voller Verwicklungen kommt auch dieser Erzählstrang zu einem Abschluss. So endet die im Grunde private Geschichte um zwei Mütter wider Willen mit einem kritischen Panoramablick auf die spanische Gesellschaft. Obwohl beides auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben scheint, gelingt es Almodóvar, beide Ebenen zu einem schillernden Möbiusstreifen zu verbinden.