Ein gewöhnlicher Tag im Wehrdienst des Soldaten Hamin (Iman Afshar): Uniform anlegen, Waffe laden, sich in der Kaserne beim Vorgesetzten (Mousa Afshar) melden. Er hat Urlaub beantragt, um an der Hochzeit seiner Schwester teilzunehmen, doch der Hauptmann lehnt ab – weil Hamin im Dienst geraucht hat. Dann muss er seinen Posten beziehen: einen rostigen Wachturm auf der Landzunge zwischen einer Bucht voller Boote und einer Steilküste.
Info
Untimely
Regie: Pouya Eshtehardi,
78 Min., Iran 2020;
mit: Shayan Afshar, Iman Afshar, Mahsa Narouyi, Awa Azarpira
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Sprunghaft + radikal subjektiv
Damit endet die so fatale wie banale Rahmenhandlung. Was folgt, sind die Bilder in Hamins Kopf: Erinnerungen an seine Kindheit mit seiner Schwester, dem Vater und ihrem Umfeld. Radikal subjektiv, sprunghaft und vage chronologisch fügen sie sich für den Zuschauer ganz allmählich zur Studie eines Milieus zusammen: der Unterschicht im trockenen Grenzland von Südostiran und Westpakistan.
Offizieller Filmtrailer OmU
Nah an Details oder auf Hüfthöhe
Der Küstenstreifen am Golf von Oman erscheint grandios unwirtlich: Meeresbrandung schäumt an Klippen, staubige Straßen schlängeln sich durch zerklüftete Gebirgsketten. Ein so lebensfeindlicher wie erhabener Anblick, in dem der Film mit ausgiebigen Drohnenflügen schwelgt. Ansonsten bleibt die Kamera sehr nah an den Personen, fast schon aufdringlich nah: Sie fixiert oft einzelne Körperteile – Hände, Füße und Augen – oder alltägliche Details wie Teegläser und Shisha-Pfeifen.
Bevor das zu manieriert und bedeutungshubernd wirken könnte, kriegt Regisseur Pouya Eshtehardi jedes Mal die Kurve. Indem er etwa die Kamera auf Hüfthöhe durch die Gegend wandern lässt, wodurch die Akteure anonym werden, aber ihre Aktionen umso prägnanter hervortreten – wie ein Kind sie sieht. Passenderweise machen Hamins Erinnerungen an sein Leben als ungefähr zwölfjähriger Junge (Shayan Afshar) den längsten Teil des Films aus.
Gesichter erzählen mehr als Sätze
Damals wuchsen er und seine jüngere Schwester Mahin als ungeliebte Ziehkinder beim Kapitän und seiner Frau auf. Anstatt wie sie zur Schule gehen zu dürfen, musste er als Hausierer Kleinkram auf dem Basar verkaufen. Eines Tages brannte er durch, um seinen Vater (Ayoub Afshar) im pakistanischen Grenzland zu suchen; der verdingte sich dort als Schmuggler, indem er Waren auf Schleichpfaden in den Iran brachte. Und bei einer dieser Touren seinem Sohn das Rauchen beibrachte – wie es sich für einen Mann gehört.
Hintergrund
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Kein weiterer Mittelklasse-Autorenfilm
Und in denen Rituale wie Glücksspiel, Hochzeit oder auch Exorzismus das kollektive Dasein bestimmen. Das zeigt der Regisseur mit Stilmitteln, die heutzutage eher selten eingesetzt werden: von Unterwasseraufnahmen über Fischaugen-Optik bis zu Mehrfach-Überblendungen. Alles vermittelt den Eindruck sinnlicher Überwältigung stärker, als Worte es je könnten – die den Beteiligten ohnehin kaum zu Gebote stehen. Bis hin zum Feuertod.
Was „Untimely“ auszeichnet: kein weiterer iranischer Mittelklasse-Autorenfilm zu sein, dessen kultivierte Protagonisten moralische Probleme in wohlgesetzten Dialogen abhandeln. Sondern ein gelungener Versuch, die Erlebniswelt des sprachlosen Prekariats auf die Leinwand zu bringen – mit faszinierenden filmischen Mitteln.
Studium in Iran + Malaysia
Dass Eshtehardi sie in seinem Spielfilmdebüt so originell wie virtuos einsetzt, könnte auch daran liegen, dass er Film im Iran und in Malaysia studiert hat, also außerhalb des konventionell westlichen Kino-Kosmos. Wir dürfen ihn uns jedenfalls als überzeugten Nichtraucher vorstellen.