François Ozon

Alles ist gut gegangen

Emmanuèle (Sophie Marceau) und Pascale (Géraldine Pailhas) besuchen ihren Vater (André Dussollier) nach der ersten Nacht im Krankenhaus. Foto: © 2022 Carole BETHUEL Mandarin Production Foz / Wild Bunch Germany
(Kinostart: 14.4.) Tabu Sterbehilfe: Regisseur François Ozon porträtiert einen Greis, der von seinen Töchtern verlangt, dass sie seinem Leben ein Ende setzen. Eine unsentimentale und gleichzeitig berühende Reflexion über die Frage nach einem guten Tod, nüchtern und realistisch inszeniert.

Es ist paradox: Menschen sterben – zumindest in Industriegesellschaften – meistens da, wo sie auch geboren wurden. An einem unpersönlichen, funktionalen Ort: im Krankenhaus. Dort spielen sich öfter solche Szenen ab: Ein Mann liegt nachts im Krankenbett. Seine Augen sind weit aufgerissen, die Unterlippe ist nach außen gestülpt, das rechte Augenlid hängt runter. Er schreit, windet sich, reißt Schläuche aus seiner Nase heraus. Ein Gerät fiept. Krankenpflegerinnen eilen herbei und geben dem Mann eine Spritze; er verstummt

 

Info

 

Alles ist gut gegangen

 

Regie: François Ozon,

114 Min., Frankreich 2022;

mit: Sophie Marceau, André Dussollier, Géraldine Pailhas, Charlotte Rampling 

 

Weitere Informationen zum Film

 

In „Alles ist gutgegangen“ von Regisseur François Ozon wiederholt sich diese Szene in Variationen; jedes Mal bleibt sie schwer erträglich. Nicht etwa, weil sie schockieren würde, sondern weil sie so alltäglich ist. Erleben doch unzählige betagte Menschen das Gleiche wie der 84-jährige André (André Dussollier) im Film. Der Greis hatte einen Schlaganfall; nun kann er nicht mehr richtig sprechen oder gehen, nicht allein essen oder trinken. Kurzum: Er ist komplett von der Hilfe anderer abhängig.

 

Termin für den Tod

 

Seine Töchter Emmanuèle (Sophie Marceau) und Pascale (Géraldine Pailhas) besuchen ihn regelmäßig. Die ältere Emmanuèle ist täglich bei ihrem Vater. Sie füttert ihn, unterhält ihn und verbringt ganze Nächte auf dem Stuhl vor seinem Bett. Eines Tages bittet André sie darum, „es zu beenden“. Schockiert verweigert sich Emmanuèle zunächst seinem Wunsch, doch ihr Vater beharrt darauf. Also kontaktiert sie einen Schweizer Verein für Sterbehilfe. Dessen Bedingungen sind eindeutig: Der Sterbewillige muss selbst nach Bern kommen, um den Gifttrunk eigenhändig zu sich zu nehmen. Die Tochter vereinbart einen Termin; die weitere Handlung gleicht einem Countdown vor dem Tag X.

Offizieller Filmtrailer


 

Ein letztes Aufblühen

 

Dem französischen Regisseur gelingt es, das traurige Thema weitgehend unsentimental darzustellen. Sein Protagonist ist dabei in seiner herrischen Art nicht gerade sympathisch. So etwa befiehlt er seinen Töchtern, ihn auf keinen Fall neben seinen „schrecklichen Schwiegereltern“ zu begraben. Wenn bisweilen doch Pathos die Oberhand zu gewinnen droht – etwa durch arg viel melancholische Klaviermusik von Brahms – retten harte Schnitte den Film davor, in Gefühligkeit abzugleiten. Beispielsweise weinen die Schwestern gemeinsam in einem Restaurant. Kurz darauf sind blutige Szenen eines Splatterfilms zu sehen, den sich Emmanuèle auf dem heimischen Sofa anschaut.

 

Angesichts seines festgelegten Todesdatums lebt André noch einmal richtig auf. So bittet er seine Töchter um Besuche seines Lieblingsrestaurants oder eines Konzerts seines Enkels. Doch seine neue Lebenslust ist in Wirklichkeit eine Todessehnsucht. Der Kranke genießt bewusst die Dinge zum letzten Mal, statt krampfhaft am Leben festzuhalten. In diesem Sinne ist der Film auch ein Plädoyer gegen die Verpflichtung der Schulmedizin, Leben um jeden Preis zu erhalten. Er legt nahe, dass Sterbehilfe auch einen Rückgewinn von Autonomie bedeutet.

 

Kranke als Kunden

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Sommer 85" - tragische Romanze über erste Jugendliebe von François Ozon

 

und hier eine Besprechung des Films "Frantz" - subtiles Kammerspiel über Hinterbliebene des Ersten Weltkriegs von François Ozon

 

und hier einen Beitrag über den Film "Am Ende ein Fest" - warmherzige Sterbehilfe-Tragikomödie aus Israel von Sharon Maymon + Tal Granit

 

und hier einen Bericht über den Film "Halt auf freier Strecke" - drastisch-realistisches Porträt eines unheilbar Krebskranken von Andreas Dresen.

 

Diese Autonomie kommt oft zu kurz, wie Ozon beiläufig mit einem Kameraschwenk auf Andrés Handgelenk zeigt: Er trägt ein Armband mit Strichcode – Kranke sind immer auch Kunden, Buchhaltungs-Nummern, die verwaltet werden. Es ist typisch für Ozon, dass er eher zu solchen filmischen Mitteln greift, anstatt die Debatte über Pro und Contra von Sterbehilfe in langatmigen Dialogen abzuhandeln.

 

Der französische Regisseur, der manchmal mit einer gewissen Künstlichkeit wie in „Swimming Pool“ (2003) oder bittersüßer Romantik wie in „Sommer 85“ (2020) inszeniert, setzt in seinem jüngsten Werk auf nüchternen Realismus. Sowohl bei der Bildgestaltung als auch dem schnörkellos authentischen Spiel seiner Darsteller – allen voran Schauspiel-Veteran André Dussollier und Sophie Marceau, die beide seit mehr als 40 Jahren vor der Kamera stehen.

 

Was ist ein guter Tod?

 

Die zeitlosen Fragen, die der Regisseur stellt, legen den Finger in eine offene Wunde unserer Gesellschaft: Wie lässt sich gut sterben, wenn man den Tod tabuisiert? Ozons Film zeichnet ein ambivalentes Bild; sein Titel ist gut gewählt. Denn am Ende bleibt unklar, was eigentlich gut gegangen ist: Das Leben? Das Sterben? Oder beides zusammen?