Eskil Vogt

The Innocents

Beim Schaukeln findet Ida (Rakel Lenora Fløttum) zu sich und vergisst sie die Welt um sich herum. Foto: © capelight pictures / Mer Film
(Kinostart: 14.4.) Kleine Monster unter sich: Vier Grundschulkinder in einer norwegischen Siedlung haben übernatürliche Kräfte – das kann nicht gut ausgehen. Trotz subtiler Arrangements fehlt es dem lakonischen Alltags-Horror von Regisseur Eskil Vogt an durchgehender Spannung.

Unschuldig? Nur weil es sich um Grundschulkinder handelt? Nein: Die kleinen Protagonisten im Film des norwegischen Regisseurs Eskil Vogt lehren das Fürchten. Nicht nur durch Taten, sondern auch, weil sie zeigen, wie undurchdringlich ihre Gemüter sein können. Jeder Erwachsene, der glaubt, sich darin einfühlen zu können, was Kinder empfinden oder wünschen, wird von „The Innocents“ eines Besseren belehrt. Wer vor dem Ansehen kein Kinderfreund war, wird es danach nicht mehr werden.

 

Info

 

The Innocents

 

Regie: Eskil Vogt,

117 Min., Norwegen 2021;

mit: Rakel Lenora Fløttum, Alva Brynsmo Ramstad, Sam Ashraf

 

Weitere Informationen

 

Nun übernehmen Kinder in Horrorfilmen öfter tragende Rollen. Meist werden sie von bösen Geistern besessen, die durch sie Unfug anstellen; die Gören selbst bleiben also eigentlich „unschuldig“. Anders verhält es sich in „The Innocents“: Diese Kinder handeln weitgehend aus freiem Willen. Darin liegt die Originalität des Ansatzes.

 

Auftakt mit schrägem Xylophon

 

Auch formal hebt sich der Film von konventionellem Horrorkino ab, etwa in Bezug auf die Tonspur. Noch vor dem ersten Bild erklingen dumpfe Töne, die von einem verstimmten Xylophon stammen könnten und eine unangenehme Atmosphäre verbreiten. Das Akustische spielt für die Wirkung des Films eine entscheidende Rolle – auch wenn man darauf vorbereitet ist, fahren einem manche Geräusche durch Mark und Bein.

Offizieller Filmtrailer


 

Viele Aspekte bleiben zu vage

 

In der ersten Einstellung ruht die Kamera auf dem Sommersprossen-Gesicht der neunjährigen Ida (Rakel Lenora Fløttum), die im Auto schläft. Friedlich sieht sie aus, fast schon engelsgleich mit ihrem blonden Haar. Dann wacht sie auf, blickt ihre ältere Schwester auf dem Rücksitz neben ihr an – und kneift sie in den Oberschenkel. Anna (Alva Brynsmo Ramstad) reagiert nicht: Sie leidet an Autismus und kann ihre Gefühle nicht wie andere mitteilen.

 

Idas Verhalten darf noch als harmlos gelten; der gleichaltrige Ben (Sam Ashraf), den sie am neuen Wohnort kennenlernt, ist ungleich bösartiger. Dazu kommt noch die kleine Aisha (Mina Yasmin Bremseth Asheim), die als einzige mit Anna kommunizieren kann – ein sehr eigenartiges Quartett, von den Kindern beeindruckend gespielt. Zwar zeichnet der Film ihre Charakter nicht schematisch als gut und böse, doch es fehlt ihnen an Tiefe. Viele Aspekte bleiben vage, was irritiert: Über die Ursachen für die übernatürlichen Kräfte der Kinder würde man gern mehr erfahren.

 

Kein mitreißender Spannungsbogen

 

Lakonie und eher kühle Filmästhetik sind im nordischen Kino häufig. Doch beides verhindert in diesem Fall, dass der Zuschauer emotional beteiligt wird; stattdessen hält es ihn künstlich auf Distanz. Dabei könnte die gewählte Kulisse ihn durchaus in die Handlung hineinziehen: Die Familie von Ida und Anna zieht in eine Hochhaussiedlung, die in viel Grün und einen künstlichen See eingebettet ist.

 

Hintergrund

 

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Auch diese Idylle trügt. Neben gut einsehbaren Flächen wie Spielplätzen und weiten Wiesen gibt es viele verwinkelte Ecken, lange Kellergänge und einen angrenzenden Wald; da lässt sich manches Geheimnis verstecken. Leider nutzt der Film den Kontrast zwischen beiden Areal-Varianten nur unzureichend aus. Zudem wechseln Schockmomente, die nicht sonderlich überraschend auftreten, mit Längen ab, die dem gemächlichen Erzählrhythmus des Films geschuldet sind. Da bleibt ein mitreißender Spannungsbogen aus.

 

Inflationär genutzter Autismus

 

Stattdessen stellt Regisseur Vogt die Frage, inwieweit sich Kinder der Interpretation und dadurch der Kontrolle von Erwachsenen entziehen können. Dazu führt er das Motiv von Annas Autismus ein. Kein ganz neuer Gedanke: Diese Krankheit wird im Fantasy- und Horrorgenre derzeit fast inflationär genutzt, um den Betroffenen übersinnliche Fähigkeiten zuzuschreiben. Andererseits taugt Autismus gut als treffende Metapher für die eigene Welt, in die ein Kind sich verkriecht, während den Erwachsenen der Zugang verwehrt ist.

 

Doch der Film betrachtet auch, wie sich solche Fähigkeiten aufs Soziale auswirken. Nach einer Weile zerbröckelt der Zusammenhalt der Viererbande; Freundschaften verkehren sich ins Gegenteil. Und nun kommt es zu gefährlicher Rivalität: Was anfangs harmloser Zeitvertreib unter Spielkameraden war, wird zu tödlichem Ernst unter Dreikäsehochs.