Nicole Kidman + Ethan Hawke

The Northman

Mit seiner Horde von Berserkern terrorisiert Amleth (Alexander Skarsgård) das Land der Rus. Foto: Aidan Monaghan / © 2021 Focus Features, LLC.
(Kinostart: 21.4.) Historienfilm als Heldensage: Regisseur Robert Eggers verfilmt einen nordischen Mythos, der schon Shakespeare zu „Hamlet“ inspirierte. Mit sorgfältigem Zeitkolorit, drastischen Schocks und mitreißendem Erzählfluss vergegenwärtigt er die vorchristliche Welt der Wikinger.

Mit zwei Independent-Filmen hat sich Regisseur Robert Eggers einen Ruf als neues Talent im US-Kino erarbeitet. Die thematisch weit auseinander liegenden Dramen „The Witch“ und „Der Leuchtturm“ haben eine individuelle Handschrift gemeinsam: Psychische Grenzerfahrungen spielen sich in den Großaufnahmen der Gesichter der Darsteller ab. Zudem werden Naturgewalten und Landschaften als Teil der Handlung etabliert. Überdies gilt Eggers’ besonderes Interesse der Sphäre der Mythen, des Übersinnlichen und des Wahnsinns.

 

Info

 

The Northman 

 

Regie: Robert Eggers,

136 Min., USA  2022;

mit: Alexander Skarsgård, Nicole Kidman, Ethan Hawke, Willem Dafoe

 

Weitere Informationen zum Film

 

In seinem dritten und bisher teuersten Film bleibt er seinem hypnotischen Stil treu. Dabei verlässt er erstmals New England als Schauplatz der Handlung und begibt sich ins historische Skandinavien und nach Island – die Heimat der seefahrenden Nordmänner, die heute als Wikinger bekannt sind.

 

Onkel ermordet Vater

 

Das blutige Rachedrama „The Northman“ ist inspiriert von der Sage des Prinzen Amleth, die auch William Shakespeare als Vorlage seiner Tragödie „Hamlet“ diente. Amleth ist zu Beginn des Films ein Teenager und Sohn des Inselkönigs Königs Aurvandil (Ethan Hawke) von Hrafsney. Kurz nachdem der Vater seinen Sohn in einer halluzinatorischen Szene bei der Initiation zum Mann begleitet hat, wird er ermordet – als Opfer einer Intrige seines eigenen Bruders Fjölnir.

Offizieller Filmtrailer


 

Odins Raben als ständige Begleiter

 

Amleth entkommt, und eine archetypische Heldenreise nimmt ihren Lauf. Im Exil erringt er als Teil einer Bande von Berserkern Achtung als ein Mann, der niemals weint. Mechanisch beteiligt er sich an Überfällen und Plünderungen im Land der Rus, bis ihn eine Seherin an seinen eigenen Schwur erinnert: den Vater zu rächen, die Mutter zu retten und den Onkel zu töten.

 

Dafür muss er inkognito nach Island reisen, denn Fjölnirs Regentschaft auf Hrafnsey dauerte nicht lange. Der Brudermörder lebt nun selbst im Exil und herrscht nur noch über einen größeren Bauernhof. Als Sklave und damit als Fjölnirs Eigentum getarnt, bereitet Amleth seine Rache vor, wobei er die Götter auf seiner Seite weiß: Zwei schwarze Raben, Odins persönliche Boten, weisen ihm immer wieder den Weg.

 

Zwischen Fügung + freiem Willen

 

Andererseits erweist sich sein Onkel nicht als der Tyrann, den er erwartet hat, und seine Mutter (Nicole Kidman) nicht als das Opfer, für das Amleth sie all die Jahre hielt. Dann ist da noch seine Mitgefangene Olga (Anya Taylor-Joy), die ihm erstmals Perspektiven für eine Zukunft nach dem Racheakt eröffnet. Wie ihm prophezeit wurde, muss sich Amleth entscheiden zwischen seiner Bestimmung und seiner verbliebenen Familie.

 

Es ist der alte Konflikt des Menschen zwischen göttlicher Fügung und freiem Willen. Für die Aufhebung dieses Gegensatzes steht exemplarisch ein anderer Inselkönig: Odysseus. Im Gegensatz zum listenreichen Griechen gelingt es dem schlichter gestrickten Amleth jedoch nicht, Herz und Verstand miteinander zu versöhnen und das Schicksal auszutricksen. Als seine Stunde der Rache kommt, ist er bereits wahnsinnig; die Blutspur seines Feldzugs zieht sich quer durch seine Familie.

 

Feuer als hellster Farbton

 

Gewiss: In diesem Film spritzt viel Blut, und Knochen bersten im Dolby-Surround-Sound, wenn die Handlung es verlangt. Doch die Ästhetik des Gemetzels ist nur ein Faden im Bildteppich, den Eggers hier aufzieht. Der hellste Ton in der Farbpalette ist dem Feuer vorbehalten: Inmitten schroff düsterer Landschaften steht das warme Rot von Bränden je nach Situation für den heimischen Herd, für den rituellen Austausch mit dem Übersinnlichen oder in Form von Lava für die Kraft der Natur und des Göttlichen.

 

Auch das Zeitkolorit wird sorgfältig mit eingewoben: von Kleidung, Schmuck und Bewaffnung über Bauweise damaliger Hütten und Schiffe bis zum zeitgenössischen Ballsport – einer Mischung aus Hockey, Rugby, Eierlaufen und Stockkampf. Dabei gelingt es Eggers glaubhaft, das vorchristliche Weltbild des Protagonisten heraufzubeschwören.

 

Christengott als fernes Gerücht

 

Hintergrund

 

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Die isländische Popsängerin Björk mit einem Kurzauftritt als Seherin; Star-Schauspieler Willem Dafoe als Narr und Schamane; lange halluzinatorische Sequenzen; Wolfsgeheul der Männer und stilles Wissen der Frauen: sie alle dienen dazu, sich eine Welt zu vergegenwärtigen, in der irdische Wirklichkeit und göttliche Sphäre noch eng miteinander verbunden sind – und der Gott der „Blut trinkenden“ Christen nur ein fernes Gerücht.  

 

All das taugt mühelos für gut zwei Stunden hochklassigen Eskapismus. Dazu trägt auch das amerikanisch-skandinavische Ensemble bei, allen voran Nicole Kidman und Hauptdarsteller Alexander Skarsgård, der unter Dauerspannung am besten aussieht. Obwohl manche Schockmomente seiner Heldenreise recht drastisch ausfallen, sind es doch eher die suggestive Montage und die auch in Momenten der Ruhe starken Bilder, die für den mitreißenden Erzählfluss sorgen.

 

Warten auf Comic-Blockbuster

 

Robert Eggers kam vom Theater zum Film; mit „The Northman“ empfiehlt er sich als Regie-Individualist vom Format eines Denis Villeneuve oder David Fincher. Das dürfte ihn für Hollywood interessant machen; der Tag mag kommen, an dem Eggers den relaunch irgendeines Marvel-Comic-Superschurken inszeniert. Bis dahin sind seine Filme Grund zur Vorfreude.