Corinna Harfouch

Alles in bester Ordnung

Probeliegen im Bettenhaus - Marlen (Corinna Harfouch), der Verkäufer (Steffen Will) und Fynn (Daniel Sträßer). Fotoquelle: ©Filmwelt, Foto: Lichtblick/Niklas Lindschau
(Kinostart: 26.5.) Memorabilia-Liebhaberin trifft Jung-Asketen: Sie füllt ihre Wohnung mit Erinnerungen an ihr bewegtes Leben, er will mit 100 Dingen auskommen. Die leise Culture-Clash-Komödie von Natja Brunckhorst kontrastiert zwei Daseinsentwürfe – teils harmonisch, teils zu konstruiert.

Behauptet jemand, alles sei in bester Ordnung, sind oft Zweifel angebracht – es sei denn, diese Person neigt ohnehin zu Übertreibungen. Davon sind die Hauptfiguren der leisen Komödie von Natja Brunckhorst weit entfernt. Falls Ihnen dieser Name vertraut vorkommt: Sie verkörperte vor mehr als vierzig Jahren die Titelfigur in Ulrich Edels Verfilmung des Junkie-Reports „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ (1981) und wurde damit schlagartig berühmt.

 

Info

 

Alles in bester Ordnung 

 

Regie: Natja Brunckhorst,

96 Min., Deutschland 2021;

mit: Corinna Harfouch, Daniel Sträßer, Joachim Król 

 

Weitere Informationen zum Film

 

Seither hat Brunckhorst Schauspiel studiert, wirkte in etlichen TV-Filmen mit und schrieb Drehbücher, etwa für „Amelie rennt“ (2017). „Alles in bester Ordnung“, ihr spätes Debüt als Regisseurin, steht in der Tradition von Culture-Clash-Komödien, in denen zwei gegensätzliche Charaktere mit unterschiedlichen Lebensstilen sich einander annähern. Dabei geht es hier nicht um Ethnien oder Religionen, sondern um verschiedene Auffassungen von Ordnung, die gleichsam die Pole der zeitgenössischen Wegwerfgesellschaft symbolisieren.

 

Weltreisende vs. Digital-Nomade

 

Marlen (Corinna Harfouch) lebt zurückgezogen in ihrer mit Gegenständen vollgestopften Wohnung. Sie ist weit gereist, hat manches erlebt und dabei Allerlei angesammelt, das viel Platz einnimmt. Ihr neuer Nachbar Fynn (Daniel Sträßer) ist hingegen ein digitaler Nomade: Er arbeitet, wo er gebraucht wird, und hängt der Theorie an, dass 100 Dinge zum Leben ausreichen.

Offizieller Filmtrailer


 

Willkommen in der anderen Hälfte!

 

Ein Heizungsschaden bringt beide zusammen. Fynns Wohnung lässt sich zeitweise nicht benutzen, und alle Hotels sind ausgebucht. Aus einer Laune heraus nimmt Marlen den jungen Mann bei sich auf – und beschert ihm damit einen gehörigen Schock. Als er den Sinnspruch zitiert, dass Ordnung das halbe Leben sei, entgegnet sie ihm: „Willkommen in der anderen Hälfte!“.

 

Obwohl Marlen so viel angehäuft hat, ist sie kein Messie im herkömmlichen Sinn. Alle Gegenstände sind sauber; ihre Anordnung hat eine – allerdings nur ihr bekannte – Struktur. Sie hat auch ihr Leben und ihre Arbeit im Griff; Marlen kann nur nichts wegwerfen, was für sie eine Bedeutung hat oder noch brauchbar wäre. Fynn dagegen will keinen Ballast sammeln oder eine feste Bindung aufbauen, schon gar nicht zu Objekten. In seinem unsteten Leben haben aber auch Menschen keinen bleibenden Platz.

 

Bloß keine Handwerker im Haus

 

Da haben beide Gemeinsamkeiten; sie sind im Grunde gar nicht so gegensätzlich. Beide haben sich in ihrem Dasein ohne Andere eingerichtet und sehnen sich nicht wirklich nach Anschluss. So weist Marlen freundlich, aber bestimmt die Annäherungsversuche ihres Chefs (Joachim Król) zurück. Sie konzentriert ihr Leben ganz auf ihre Wohnung, die für sie wie ein eigenständiger Organismus zu sein scheint.

 

Als auch in ihr Reparaturen ausgeführt werden sollen, erscheint Marlen das völlig unmöglich; mit allen Mitteln versucht sie, den Vermieter davon abzubringen. In dieser Lage sollte ihr ein junger Nachbar, der notorisch ausmistet und wegwirft, eigentlich willkommen sein. Nachdem Marlen alle Formen von hinhaltendem Widerstand ausgereizt hat, nimmt sie Fynns Angebot an, ihre Wohnung in einen zugänglichen Zustand zu versetzen. Zugleich öffnet sie sich dem seltsamen jungen Mann, der ihr Sohn sein könnte; beide haben zunehmend Spaß am Wortgeplänkel.

 

Umgang mit Überfluss + Mangel

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Das Mädchen mit den goldenen Händen" – Drama über ostdeutsche Powerfrau von Katharina Marie Schubert mit Corinna Harfouch

 

und hier eine Besprechung des Films "Zimmer 212 - In einer magischen Nacht"  – musikalische Tragikomödie über Ehebrecherin, die junge Liebhaber bevorzugt, von Christophe Honoré mit Chiara Mastroianni

 

und hier einen Bericht über den Film "Vom Ordnen der Dinge" – amüsant abwechslungsreiche Doku über Ordnungsfanatiker + Statistik-Freaks von Jürgen Brügger + Jörg Haaßengier

 

und hier einen Beitrag über den Film "Die schönen Tage" – leichthändiges Liebesdrama von Marion Vernoux mit Fanny Ardant + jungem Liebhaber.

 

Dieser Film ist kein Abfallprodukt des monatelangen Corona-Shutdowns und der dabei grassierenden Aufräumwut: Die Dreharbeiten begannen schon im März 2020. Eher geht es um den Umgang mit Überfluss – auf den etliche Ratgeber mit dem simplen Vorschlag reagieren, alles in säuberlich beschriftete Kästchen zu packen, als seelische Anker in einer unübersichtlichen Welt.

 

Dem widersetzt sich Marlen erfolgreich: Mit ihrem kreativen Chaos behauptet sie ihre Eigenart. Währenddessen glaubt Fynn, mit seinem mageren Besitz aus wenigen normierten, meist grauschwarzen Dingen die Kontrolle über sein Leben behalten zu können. Das kommt sowohl dramaturgisch als auch optisch etwas zu konstruiert daher.

 

Farblich geordneter Krimskrams

 

Der Film reizt auch das komödiantische Potential nicht wirklich aus, das im ungleichen Gespann aus eigenwilliger, erfahrener Frau und rastlosem Jungspund steckt. Es ist aber immerhin in manchen Dialogen zu erahnen, wobei die Hauptdarsteller sehr gut miteinander harmonieren – ihr Verhältnis bleibt bis zum Schluss in der Schwebe. Offenbar orientiert sich Regisseurin Brunckhorst an französischen Komödien, bekommt aber nur selten deren Leichtigkeit hin.

 

So bleibt vor allem der originelle Schauplatz von Marlens Wohnung im Gedächtnis. Ihr Tohuwabohu aus Büchern und Schnickschnack enthält zwar am Ende nicht weniger Krimskrams, doch der wird dank Fynns Ordnungssinn zu einer farblich abgestuften Installation. Also ein kreativ bearbeitetes Chaos, gleichsam eine Symbiose beider Ordnungsvorstellungen. Schön, wenn das auch sonst so einfach wäre.