Wolfsburg

Checkpoint – Grenzblicke aus Korea

Noh Suntag: Red-House I #BFK009, 2005, Inkjet Pigmentdruck, 72 x 108 cm, Foto: © NOH Suntag, Courtesy der Künstler
Wo die Mauer noch steht: Die Grenze zwischen Nord- und Südkorea gilt als die unüberwindlichste der Welt. Mit den Folgen beschäftigen sich Werke von 19 Künstlern im Kunstmuseum – leider fast ohne dringend nötige Erläuterungen, so dass Langnasen meist nur Chinesisch verstehen.

Die Älteren unter uns erinnern sich: Bis vor 33 Jahren zog sich eine stark befestigte Grenze quer durch Deutschland. Sie war auf östlicher Seite mit Beobachtungstürmen, Autosperren, Stacheldraht und Selbstschussanlagen versehen; Fluchtversuche in den Westen endeten häufig tödlich. Zugleich entstand auf diesem Geländestreifen ein einzigartiges Biotop, weil Flora und Fauna sich selbst überlassen blieben. Nach dem Ende der deutschen Teilung wurde es zum Naturschutzgebiet „Grünes Band Deutschland“.

 

Info

 

Checkpoint – Grenzblicke aus Korea

 

21.05.2022 - 18.09.2022

täglich 11 bis 18 Uhr

im Kunstmuseum Wolfsburg, Hollerplatz 1

 

Katalog 19 €

 

Weitere Informationen

 

Auch die koreanische Halbinsel ist durch eine stark befestigte Grenze geteilt – damit enden allerdings die Parallelen. Das stalinistische Nord- und das demokratische Südkorea stehen sich unversöhnlich gegenüber; Hoffnungen auf Wiedervereinigung sind reine Rhetorik. Allerdings blieb die Lage in den 69 Jahren seit Ende des Koreakriegs nicht unverändert: Phasen von Konfrontation und Kriegsdrohungen wechselten mit solchen von Entspannung und Kooperation ab.

 

Grenze läuft durch drei Baracken

 

Seit der Waffenstillstands-Vereinbarung von 1953 schneidet eine 248 Kilometer lange und vier Kilometer breite „Demilitarisierte Zone“ (DMZ) den 38. Breitengrad. Am westlichen Ende in Panmunjeon liegt die „Joint Security Area“ (JSA): drei blaue Baracken, durch deren Mitte die Grenze zwischen beiden Staaten verläuft. In der Nähe befindet sich einer von vier Tunnel, die vom Norden aus durch die DMZ gegraben wurden; vermutlich zur Vorbereitung einer Invasion des Südens.

Interview mit Ko-Kurator Dino Steinhoff + Impressionen der Ausstellung


 

Kaesong-Arbeiter schuften für Süden

 

Sie waren nicht die einzigen Versuche, den Status Quo zu unterhöhlen: In den 1960er bis 1980er Jahren unternahm der nordkoreanische Geheimdienst manche Angriffe, bis hin zu Mordanschlägen auf südkoreanische Staatschefs. Der 1998 gewählte südkoreanische Präsident Kim Dae-Jung setzte auf „Sonnenscheinpolitik“, wofür er 2000 den Friedensnobelpreis erhielt: Nach dem Vorbild der deutschen Ostpolitik in den 1970er Jahren sollten Kontakte und Handel zu Öffnung und Entspannung führen.

 

Nun durften sich erstmals durch die Teilung getrennte Familien besuchen. 2003 richtete Pjöngjang nahe der Grenze in Kaesong eine Sonderwirtschaftszone ein: In ihr fertigten 53.000 nordkoreanische Arbeiter Produkte für Unternehmen im Süden; ihre Löhne strich größtenteils der Staat ein. Diese einzigartige Ausbeutung von Proletariern durch Kommunisten im Auftrag von Kapitalisten endete 2016, als Seoul gegen Atomwaffentests des Nordens protestierte. Auch die Region am Kŭmgangsan (Diamantenberg), die 1998 für Touristen aus Südkorea zugänglich wurde, ist seit einem tödlichen Zwischenfall 2008 weitgehend verwaist.

 

Wanderschau tourt um die Welt

 

Von all diesen Aspekten der innerkoreanischen Grenze, die als die am schärfsten bewachte der Erde gilt, erfahren Besucher im Wolfsburger Kunstmuseum wenig bis nichts. In den Ausstellungsräumen gibt es keinerlei Informationen über Verlauf und aktuellen Stand des Korea-Konflikts; Bildlegenden beschränken sich auf Künstlernamen und Titel der Werke. Zu ihnen liefert der vierseitige „Saalzettel“ ein paar magere Zusatzinformationen. Auch der Katalog begnügt sich mit einer handgezeichneten Skizze des Grenzverlaufs ohne jede Erklärung; im Übrigen liest er sich stellenweise holprig formuliert oder ungelenk übersetzt.

 

Dieser schmallippige Auftritt mag an der Entstehungsgeschichte der Ausstellung liegen: Sie wurde 2019 vom südkoreanischen „Real DMZ Project“ unter Leitung von Sunjung Kim konzipiert und tourt seither um die Welt. Von den beteiligten 19 Künstlern sind fünf Nichtkoreaner, deren Beiträge teils eigens für die Station in Wolfsburg mit aufgenommen wurden. Doch die Perspektive bleibt rein koreanisch: Sie setzt Vorkenntnisse und eine Vertrautheit mit der Thematik voraus, die Ausländer schwerlich mitbringen.

 

Stickerei-Outsorcing nach Nordkorea

 

Das beginnt schon bei den ersten Exponaten. Kyungah Ham ließ Leinwände mit riesigen bunten Stickereien versehen: links zwei Kronleuchter, rechts Allover-Tableaus. Sie wurden von je vier Nordkoreanerinnen mit feinsten Fäden angefertigt, was rund 2000 Stunden dauerte. Wie wurde diese unglaubliche Geduldsarbeit ausgeführt?

 

Als Materialien sind u.a. „Mittelsmann, Angst, Zensur und Ideologie“ angegeben – mehr erfährt man nicht. Weder über die wohl heimliche Auftragsvergabe noch den Schmuggel der fertigen Produkte außer Landes. Ganz abgesehen vom fragwürdigen Ansatz, die Herstellung nach Kaesong-Manier für Hungerlöhne den armen Nachbarn zu überlassen; der Betrachter sieht nur vielfarbiges Augenpulver.

 

Entweder trivial oder hermetisch

 

Nebenan zeigt Noh Suntag Fotos von Massenaufmärschen in Nordkorea: sattsam bekannte Ansichten choreographierter Spektakel, bei denen Tausende lebende Bilder darstellen. Ohne jede Reflexion, wie Menschen zu Ornamenten reduziert werden, ist das reichlich voyeuristisch – und der Hinweis auf kleine Abweichungen von ihrer Dressur fast schon zynisch. Unverständlich muss Außenstehenden hingegen die Konstruktion bleiben, die Lee Bul – eine der international bekanntesten Künstlerinnen aus Südkorea – aus Stahlstreben von abgerissenen Grenzwachtürmen errichtet hat: Lichtbänder signalisieren Erratisches.

 

Auch die meisten übrigen Beiträge erscheinen entweder trivial oder hermetisch. Dass südkoreanische Soldaten, die Heinkuhn Oh ablichtet, steif und skeptisch in die Kamera blicken, versteht sich. Die Filmbilder der Drohne, die Mischa Leinkauf über den Grenzverlauf im Han-Fluß fliegen ließ, hätten überall in Ostasien entstehen können. Wie die Doku-Aufnahmen von Adriàn Villar Rojas in grenznahen Dörfern: Bauernleben zwischen Gartenarbeit und gemeinsamen Mahlzeiten.

 

Pankoreanisches Pianospiel

 

Andere Exponate könnten Interesse wecken, verstünde man sie zu entschlüsseln: Auf roten Leuchtkästen kontrastiert Jane Jin Kaisen die Fotoserie einer dänischen Journalistin 1951 mit eigenen Aufnahmen in Nordkorea 2015. Doch die Sujets der Schnappschüsse erschließen sich kaum. Sojung Jun lässt eine südkoreanische Pianistin und einen nordkoreanischen Überläufer Klavier spielen und über Musik-Traditionen in beiden Landesteilen debattieren – ein Fachgespräch für Eingeweihte.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Arbeiten in Geschichte – Zeitgenössische chinesische Fotografie und die Kulturrevolution" – Vergangenheitsbewältigung auf Chinesisch im Museum für Fotografie, Berlin

 

und hier eine Besprechung des Films "Camp 14 – Total Control Zone" – Doku von Marc Wiese über unmenschliche Haft in Nordkoreas Arbeitslagern

 

und hier einen Beitrag über den Film "Die Taschendiebin – The Handmaiden" – eleganter Erotik-Thriller aus Südkorea von Park Chan-wook

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Entdeckung Korea! – Schätze aus deutschen Museen" – Überblicksschau über Geschichte + Kultur der Halbinsel in Leipzig, Frankfurt + Stuttgart.

 

Manches wirkt beliebig: Haegue Yang, ebenfalls renommierte Star-Künstlerin, beklebt eine Wand mit einer wirren Comic-Collage aus Tech-Teilen und SciFi-Insekten, akustisch untermalt von Vogelgezwitscher – das soll auf die Biotop-Qualität der DMZ hinweisen.

 

Besserer Sex mit Marihuana

 

Anderes klingt schlicht abseitig: Im Video des Duos Young-Hae Chang Heavy Industries schwärmt eine Avatar-Frau von den Orgasmen, die sie nach Marihuana-Genuss mit einem Rastafari hatte, und beschimpft Südkoreas Männer als sexistisch. Das soll irgendwie an Äthiopiens Beteiligung am Koreakrieg erinnern.

 

Wie vieldeutig selbst vermeintlich klare Zeichen sein können, zeigt eine viertelstündige Diaschau von Park Chan-kyong. Zu sehen sind Kulissen: aus einer Geisterstadt des südkoreanischen Militärs, in der es Straßenkämpfe übt, aus einem nord- und einem südkoreanischen Filmstudio – unter anderem die blauen JSA-Baracken. Ohne Koreanisch-Kenntnisse sind Europäer völlig überfordert, wenn sie die Bilder ihren Quellen zuordnen wollen.

 

JSA im Film kennenlernen

 

Wobei es sehr wohl möglich ist, ihnen die tragischen Konsequenzen und menschlichen Dramen der brutalen Teilung Koreas nahezubringen: Das haben etliche südkoreanische Spielfilme vermocht, am eindrucksvollsten wohl „Joint Security Area“ (2000) von Regisseur Park Chan-wook. Obwohl an ein heimisches Publikum gerichtet, boten sie genügend Erläuterungen auch für Langnasen – ansonsten verstehen die nur Chinesisch.