David Kross

Leander Haußmanns Stasikomödie

Stasi Spitzel Ludger (David Kross) wird in der Szene als Untergrund-Poet gefeiert. © UFA Fiction / Constantin Film Verleih, Foto: Nik Konietzny
(Kinostart: 19.5.) Back in the GDR: Nach „Sonnenallee“ und „NVA“ komplettiert Regisseur Leander Haußmann seine DDR-Trilogie. Mit einem unbedarften Nachwuchs-Spitzel, der Gefallen am wilden Leben im Prenzlauer Berg findet – die biedere und vorhersehbare Story schlägt kaum witzige Funken.

Als zehn Jahre nach der Wende „Sonnenallee“ 1999 in die Kinos kam, Leander Haußmanns komödiantische Erinnerung an seine Jugend im Ostberlin der 1970er Jahre, wurde der Film trotz seines Kassenerfolgs kontrovers aufgenommen. Viele bezweifelten, dass man die Realität in der DDR so respektlos verulkend schildern könne. Ähnliche Reaktionen provozierte 2005 „NVA“: Darin versuchte der Regisseur, den Wehrdienst-Alltag in der DDR-Armee völlig zu veralbern – die Klamotte war ein Flop.

 

Info

 

Leander Haußmanns Stasikomödie

 

Regie: Leander Haußmann,

114 Min., Deutschland

mit: David Kross, Henry Hübchen, Jörg Schüttauf, Antonia Bill, Tom Schilling

 

Weitere Informationen zum Film

 

Mit 17 Jahren Abstand folgt nun „Leander Haußmanns Stasikomödie“; sie stellt schon im Titel alles klar. Wie in seinen früheren DDR-Lustspielen geht es auch hier um die ganz persönliche Sicht des Regisseurs: diesmal auf Erich Mielkes Spitzelverein, die sonst meist als dämonische Krake dargestellt wird. Reflexartige oder scheinheilige Entrüstung ist da vorprogrammiert – sowie müßige Bedenken, ob man über etwas derart Böses Witze reißen dürfe.

 

Auffällig unauffällig herumstehen

 

Ältere Ostdeutsche erinnern sich noch an Schnauzbart-Typen in praktischen Blousons, die bei den meisten Veranstaltungen auffällig unauffällig herumstanden. Die häufig überforderten Gestalten wurden von der intellektuellen DDR-Elite mit distanziertem Blick spöttisch betrachtet. Ihre Attitüde prägt auch die Perspektive, aus der Haußmann seine Geschichte erzählt, die in der Gegenwart beginnt.

Offizieller Filmtrailer


 

Sinnesfroher Brief in Stasi-Akte

 

Ludger Fuchs (Jörg Schüttauf) hat sich überreden lassen, endlich seine Stasi-Akte in Augenschein zu nehmen. Da er ein bekannter Schriftsteller ist, darf er sie unter Aufsicht des Archivars (Tom Schilling) mit nach Hause nehmen, um in Ruhe darin zu schmökern. Daraus wird aber nichts, denn seine Frau und die erwachsenen Kinder warten schon mit Häppchen und Wein auf ihn – in freudiger Erwartung absurd minutiöser Überwachungsprotokolle.

 

Der Riesenspaß für die ganze Familie schlägt aber schnell um, denn zwischen langweiligem Gewäsch klemmt ein zusammengeklebter Brief voller sinnlicher Details, der nicht von Mutti stammt. Ludger ist nun in Erklärungsnot und tritt die Flucht nach draußen an. Dort taucht er in die Vergangenheit ab, als er noch kein gefeierter Autor war, sondern ein unbedarfter Jüngling, der sich vom DDR-System bis zu einem gewissen Punkt instrumentalisieren ließ – was er nach der Wende ganz schnell vergaß.

 

Zaungast beim wilden Leben

 

Damals ließ er sich als junger Mann (David Kross) von der Stasi anwerben, um die berühmte Bohème vom Prenzlauer Berg auszuspionieren und möglichst zu infiltrieren. Er erlag aber schnell den Verlockungen des ideellen Freiraums, der sich ihm eröffnete. Da wurde heftig auf der Straße geknutscht; die Frauen waren schön und unkonventionell, lasen westliche Philosophen und kümmerten sich nicht um Moraldiktate.

 

Diese wilde Welt dürfen kleinkarierte Stasi-Subalterne wie er nur anschauen und fotografieren, während die Intelligenzler sie hemmungslos dazu provozieren. Was wesentlich spannender ist als öde Besprechungen mit dem Führungsoffizier und seinen todlangweiligen Kollegen. Von ihnen entfernt sich Ludger immer weiter, bis er pro forma seine Mitarbeit bei der „Firma“ beendet und sich gänzlich dem verruchten Prenzlberg-Leben hingibt. Entfernt fühlt man sich an die Biografie von Sascha Andersons erinnert, allerdings umgekehrt: Der wurde von einer Szenegröße zum Stasi-Spitzel.

 

Viel Aufwand, aber wenig subtil

 

In seinen besten Momenten spiegelt der Film die Atmosphäre im Prenzlauer Berg Ende der 1980er Jahre wider: recht autark, etwas morbide und mit geistigen Höhenflügen, wenn westliche Dichter – hier Allen Ginsberg, warum auch immer – in Altbauküchen herumsaßen und robuste DDR-Intellektuelle von der weiten Welt träumen ließen. Wobei allen klar war, dass einer von ihnen darüber später der Stasi berichten würde.

 

Dieses Lebensgefühl wird aber in „Lieber Thomas“ (2021) über den Dichter Thomas Brasch authentischer dargestellt, obwohl der Film von Andreas Kleinert sich weitgehend am Biopic-Format orientiert. Dagegen überspitzt Leander Haußmann den Prenzlberg-Alltag mit viel Ausstattungs-Aufwand, aber wenig subtil. Das ist selten witzig – außer wenn Henry Hübchen als desillusionierter, versoffener Führungsoffizier mit gelben Raucherzähnen seinem Affen Zucker gibt. Auch eine als Rokoko-Fest inszenierte Geburtstagsfeier von Erich Mielke hat grotesken Reiz.

 

Schwulenbar mit Supertranse

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Lieber Thomas" – brillant furioses Biopic über den deutsch-deutschen Dichter Thomas Brasch von Andreas Kleinert mit Albrecht Schuch

 

und hier eine Besprechung des Films "Gundermann" – gelungen facettenreiches Biopic über den DDR-Liedermacher + Stasi-Spitzel von Andreas Dresen

 

und hier ein Bericht über den Film "Anderson" – informative Doku über die Szene-Größe + Stasi-Spitzel Sascha Anderson von Annekatrin Hendel

 

und hier ein Beitrag über den Film "Das Geständnis" – fesselndes Kammerspiel über die DDR-Justiz von + mit Bernd Michael Lade.

 

Meistens bleibt die Story aber enttäuschend bieder und vorhersehbar. Nun ist Haußmann nach eigenem Bekunden nicht daran interessiert, von jedem ‚verstanden’ zu werden. Er hat von seinen Produzenten einen Blankoscheck für etwas bekommen, das nur ein gewisser Teil der Bevölkerung witzig finden dürfte; beispielsweise können seine filmischen Anspielungen und Verweise nur Kennern des späten DEFA-Schaffens auffallen.

 

Etwa eine Szene, in der sich Ludger das erste Mal unter waschechte Prenzlberg-Bewohner mischt und gleich in eine fidele Schwulenbar mit Alexander Scheer als Supertranse gerät; das erinnert verdächtig an einen Schlüsselmoment aus „Coming Out“ (1989) von Regisseur Heiner Carow – er drehte den ersten und letzten DDR-Film mit homosexueller Thematik.

 

Publikum wie Mädchen beeindrucken

 

Echter Spaß entsteht daraus aber leider nicht, zumal Haußmann kaum Klischees auslässt und sich öfter selbst zitiert. Überdies bringt er in diesem Film fast alle Schauspieler unter, mit denen er schon einmal zusammenarbeitet hat. Auch die Handlung ähnelt sehr stark derjenigen in „Sonnenallee“: Ein linkischer junger Mann will Mädchen beeindrucken und entdeckt dabei ungeahnte Energien und Talente. Das würde man auch Leander Haußmann wünschen – nur dass das Mädchen in diesem Fall das Kinopublikum wäre.