Bastian Günther

One of these Days

Lenny (Chris Gann) interviewt den Familienvater Kyle (Joe Cole). Foto: © Flare Film / Michael Kotschi
(Kinostart: 19.5.) Mit Handauflegen ein Auto gewinnen: Dafür harrt eine Gruppe von Texanern tagelang schlaflos aus. Über ihren Ausdauer-Wettbewerb in Leidensfähigkeit dreht Regisseur Bastian Günther ein stimmiges Gesellschafts-Paranoma der US-Unterschicht.

Vom Wirtschaftsboom des letzten Jahrzehnts haben nicht alle Staaten und Gesellschafts-Gruppen gleichermaßen profitiert. Vielen Angehörigen der US-Mittelschicht geht es nicht besser, eher schlechter als vor der Weltfinanzkrise 2008. Zugleich blicken Amerikaner laut Umfragen generell optimistischer in ihre Zukunft als etwa Europäer. Das Versprechen, dass jeder Tellerwäscher zum Millionär werden kann, wenn er sich anstrengt, ist in den USA immer noch glaubwürdig.

 

Info

 

One of these Days

 

Regie: Bastian Günther,

120 Min., USA/ Deutschland 2020;

mit: Joe Cole, Carrie Preston, Callie Hernandez, Bill Callahan 

 

Weitere Informationen zum Film

 

Kyle (Joe Cole) will gar nicht so hoch hinaus. Der junge Familienvater sieht seine Chance gekommen, als er per Los an einem Wettbewerb teilnehmen darf. Als Gewinn lockt ein Pickup-Truck. Ein eigenes Auto ist in seiner texanischen Kleinstadt nicht nur Verkehrsmittel, sondern auch Vorbedingung für gesellschaftliche Teilhabe. Das illustriert eine Szene, in der Kyle zu Fuß nach Hause geht – und allein dadurch die Polizei auf sich aufmerksam macht.

 

Für Frau + Sohn gewinnen

 

Kyle wirkt dabei so ausgeglichen, als sei er Derartiges gewöhnt. Trotzdem kratzt die Armut an seinem Ego; er will respektierter Versorger seiner Familie sein. Derzeit jobbt er im Schnellimbiss seines Schwagers. Nun will – nein: muss – er den Ausdauer-Wettbewerb für sich entscheiden; vor allem seiner Frau und ihrem kleinen Sohn zuliebe.

Offizieller Filmtrailer


 

15 Minuten Pause alle 6 Stunden

 

Das verlangt allerdings ihm und den anderen Teilnehmern einiges ab: Wer am Ende nicht am Steuer sitzt, ist möglicherweise im Krankenhaus gelandet. Bei schwülheißem Wetter sollen alle ausharren, mit einer Hand stets das Fahrzeug berührend; anlehnen ist nicht erlaubt. Zudem gilt es, die psychologische Kriegsführung der anderen zu ertragen. Stündlich gibt es eine kurze Pinkelpause – alle sechs Stunden darf man sich eine Viertelstunde lang erholen. Gewonnen hat, wer am längsten durchhält.

 

Diese absurde Spektakel gab es mehr als ein Jahrzehnt lang wirklich. Davon handelt der Dokumentarfilm „Hands on a Hardbody“ (1997) von Regisseur S. R. Bindler; 2012 entstand auch ein Musical über diesen Stoff – mit Happy End. Allein das macht die US-amerikanische Perspektive auf das Event deutlich; es wurde als Unterhaltung für die ganze Familie inszeniert und als Beweis für Willenskraft gefeiert.

 

Altman schrieb an Script darüber

 

Bereits bei der Premiere 1992 dauerte der Wettstreit mehr als 72 Stunden; bald wurde die Marke von 100 schlaflosen Stunden geknackt. 2005 führte dann der Selbstmord eines Teilnehmers nach drei Tagen zum Abbruch und Ende des Wettbewerbs. Regie-Altmeister Robert Altman soll an einem Drehbuch über einen Spielfilm zum Thema gearbeitet haben, als er 2006 starb.

 

Nun widmet sich der deutsche Regisseur Bastian Günther, der zwischen Berlin und dem texanischen Austin pendelt, dieser grenzwertigen Show-Veranstaltung. Bevor sie beginnt, blickt er 20 Minuten lang mit Empathie und allenfalls milder Ironie auf die Ausgangssituation – obwohl sie auch als Vorlage für eine bitterböse Satire taugen könnte.

 

Dauerlächelnde PR-Managerin

 

Die Sonne scheint ununterbrochen, die Protagonisten sind einander zugewandt. Beispielhaft für den Geist in der beschaulichen Kleinstadt ist die mütterlich-zupackende Joan (Carrie Preston), PR-Managerin des Events. Sie hat derart verinnerlicht, jeder Situation mit breitem Lächeln zu begegnen, dass sie gar nicht merkt, wie unglücklich sie eigentlich ist.

 

Gelungen wirken auch die Bilder von einer Landschaft in flirrender Hitze; der reglose Anschein täuscht jedoch. Kyles Konkurrenten lernen die Zuschauer nur flüchtig kennen – nämlich erst, als sie sich am Pickup-Truck einfinden: angefangen mit einer bibeltreuen Christin, die stets auf der Seite des Guten stehen will.

 

Längen in Wettbewerb + Film

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Nomadland" über Überlebenskünstler in der US-Unterschicht von Chloé Zhao, prämiert mit drei Oscars 2021

 

und hier eine Besprechung des Films "Three Billboards outside Ebbing, Missouri" – schwarzhumoriges US-Outsider-Drama von Martin McDonagh, ausgezeichnet mit zwei Oscars 2018

 

und hier einen Beitrag über den Film "Lucky Logan" - gelungene Gaunerkomödie über US-Hinterwäldler von Steven Soderbergh.

 

Zwei Beavis- und Butthead-Typen sind zu verpeilt, um durchzuhalten. Ein Psychopath begreift sich als geborener Sieger; er nimmt nicht um des Preises willen teil, sondern weil er unbedingt gewinnen will. Obwohl die Charakterschilderungen oberflächlich bleiben, wirken sie weder plakativ noch eindimensional. Nicht zuletzt dank einer guten Besetzung bietet Regisseur Günther ein stimmiges Gesellschafts-Paranoma.

 

Sein Erzählrhythmus gerät aber auf halber Strecke ins Stocken; fortan der Film weist einige Längen auf – analog zum geschilderten Event. Obwohl noch eine dramatische Wendung auf den Zuschauer wartet, ist die eigentliche Handlung nach rund 90 Minuten fertig erzählt. Im Anschluss folgt eine knapp halbstündige Coda, die auf Kyles Leben vor dem Wettbewerb blickt – diese im Prinzip interessante Idee geht jedoch nicht richtig auf. Überraschende Einblicke erhält man nicht.

 

Mit Stolz Demütigungen begegnen

 

Trotzdem eröffnet diese zu lang geratene Schluss-Passage neue Sichtweisen auf die Story: weg von den Individuen, hin zu den sozialen Rollen, in denen sie gefangen sind. Damit wird die Geschichte universeller, als es ein bloßer Abgesang auf den American Dream wäre. Im Grunde geht es in diesem bemerkenswerten Film darum, wie lange Menschen fähig sind, Demütigungen ertragen – um ihr Selbstwertgefühl zu verteidigen.