Heidi Specogna

Stand up my Beauty

Nardos Wude Tesfaw ist eine Azmari-Sängerin aus Addis Abeba. Fotoquelle: © déjà-vu film
(Kinostart: 19.5.) Kaffeeklatsch in Addis Abeba: Regisseurin Heidi Specogna lässt eine äthiopische Sängerin mit anderen Frauen über Zwangsverheiratung und Unterdrückung palavern. Die wortreiche Doku mit Musikeinlagen und Bauwut-Impressionen gerät zum beliebigen Bildersalat.

Es beginnt viel versprechend: In den ersten Minuten führt Nardos Wude Tesfaw vor, wie sie Kaffeebohnen fachmännisch auf einer Pfanne röstet, mahlt und für ein duftendes Heißgetränk aufgießt. Äthiopien gilt als das Ursprungsland des Kaffees; seine Zubereitung hat sich in Jahrhunderten, vielleicht Jahrtausenden kaum verändert.

 

Info

 

Stand up my Beauty 

 

Regie: Heidi Specogna,

110 Min., Äthiopien/ Schweiz/ Deutschland 2021;

mit: Nardos Wude Tesfaw, Gennet Hiale, Baharde Gelaye

 

Weitere Informationen zum Film

 

Wie manches andere in diesem Hochland am Horn von Afrika, das einer uneinnehmbaren Festung gleicht. Seit Menschengedenken bauen äthiopische Bauern das Urgetreide Teff an, verarbeiten es zum Injera-Fladenbrot, das Crêpes ähnelt und fremde Zungen an sauren Schwamm erinnert, imkern reichlich Honig – aber nur, um ihn zu Tej-Wein zu vergären.

 

Bürgerkrieg nach Friedensnobelpreis

 

Äthiopien wurde bereits im 4. Jahrhundert christianisiert – doch dortige Gottesdienste wirken in europäischen Augen wie bizarr exotische Rituale. Zugleich wird der Vielvölkerstaat, eines der bevölkerungsreichsten und ärmsten Länder der Welt, immer wieder von blutigen Machtkämpfen zerrissen, die Hunderttausende in Hunger und Elend stürzen. Seit November 2020 führt die Zentralregierung von Abiy Ahmed Ali einen brutalen Bürgerkrieg gegen die Regionalregierung im Bundesstaat Tigray – im Vorjahr hatte Abiy noch den Friedensnobelpreis für seine Aussöhnung mit dem nördlichen Nachbarn Eritrea erhalten.

Offizieller Filmtrailer


 

Sängerinnen-Porträt als Verlegenheitslösung

 

Von all diesen eigen- und einzigartigen Eigenheiten Äthiopiens erfährt man in „Stand up my Beauty“ fast nichts. Obwohl die Schweizer Regisseurin Heidi Specogna daran fünf Jahre lang gearbeitet hat: Anfänglich wollte sie einen Film über Ethiojazz machen, erzählte sie der „Berner Zeitung“. Diese äthiopische Spielart des Jazz erlebte Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre eine kurze, intensive Blütezeit – 1975 wurde sie von der sozialistischen Militärdiktatur unter Mengistu abgewürgt.

 

Als ihr klar geworden sei, dass sich der längst vergangene Jazz-Boom nicht mehr in Bilder fassen lasse, so Specogna, habe sie sich Nardos Wude Tesfaw zugewandt. Wie zu erwarten, gleicht das Ergebnis einer Verlegenheitslösung: Die Kamera folgt ihr auf Schritt und Tritt durch den Alltag. Nardos ist eine Azmari-Sängerin: Allabendlich unterhält sie das Publikum eines Musikclubs in Addis Abeba mit teils bekannten, teils improvisierten Liedern. Sind die Zuhörer davon angetan, stecken sie ihr Geldscheine in den Ausschnitt.

 

Mädchen als Baustellen-Tagelöhner

 

Das reiche für ihre vierköpfige Familie nicht, weil ihr Musiker-Gatte die Einkünfte verschwende, beklagt Nardos gegenüber anderen Frauen; also rät sie einer Bäuerin, ihrem Mann die Taschen zu leeren, während er schlafe. Wie man sich trickreich durchschlägt, lernte sie auf ihrem steinigen Weg nach oben: Um sie vor verfrühter Verheiratung im Dorf zu bewahren, wurde Nardos als Siebenjährige von ihrer Mutter zu einer Tante in die Hauptstadt geschickt. Die war von ihrer Sangesfreude nicht begeistert – daher riss sie nach mehreren Jahren aus und verdingte sich zeitweise am Bau.

 

Junge Mädchen, die als Tagelöhner auf Baustellen Zementsäcke schleppen? Dazu fällt der Regisseurin nur ein, drei Teenager stumm am Objektiv vorbeilaufen zu lassen. Die Bauwut in der Hauptstadt – chinesische Konzerne verwandeln zurzeit Addis in eine Betonwüste – fängt Specogna ein, indem sie im Vorher-Nachher-Schema Aufnahmen von Baugruben mit solchen von Stahl-Glas-Kästen überblendet. Eine oberflächlichere Darstellung derartiger Rabiatmodernisierung scheint kaum denkbar.

 

Dinge zeigen, nicht bereden

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Das Mädchen Hirut - Difret" – fesselndes Brautraub-Drama aus Äthiopien von Zeresenay Berhane Mehari

 

und hier eine Besprechung des Films "Ephraim und das Lamm" – facettenreiches Coming-of-Age-Drama über Landflucht in Äthiopien von Yared Zeleke

 

und hier einen Beitrag über den Film "Félicité" – ergreifendes Sozialdrama über eine Sängerin im Kongo von Alain Gomis, prämiert mit dem Silbernen Bären 2017

 

und hier ein Beitrag über den Film "Pepe Mujica – Der Präsident" – Doku über Uruguays Staatschef von Heidi Specogna.

 

Zurück zu Nardos: Damit der Film eine Art roten Faden erhält, begleitet er die Sängerin bei ihren langwierigen Versuchen, ihr erstes eigenes Lied zu schreiben. Und damit der Faden gesellschaftliche Relevanz hat, soll es Zwangsverheiratung im Kindesalter anprangern. Also trifft Nardos auf die obdachlose Gennet, die mit ihren Kindern in einem Verschlag haust und Gebrauchslyrik schreibt. Das Feilen an Liedzeilen, Vertonen, Proben und Auftritte füllen langatmige Szenen.

 

Die wichtigste Regel für Tonfilme lautet: Sie sollen über Dinge nicht reden, sondern sie zeigen. Über das skandalöse Unrecht der tefela – die traditionelle Entführung, Vergewaltigung und Zwangsverheiratung – hat die äthiopische Regisseurin Zeresenay Berhane Mehari 2014 den fesselnden Spielfilm „Das Mädchen Hirut – Difret“ gedreht. Bei Heidi Specogna palavern die Protagonistinnen nur wort- und tränenreich darüber.

 

Sitzengelassen + ratlos

 

Es gibt Dokus, denen es gelingt, im Stil des Direct Cinema durch kluge Abfolge von Einstellungen ohne Kommentar alle nötigen Informationen zum Verständnis der Zusammenhänge zu vermitteln. Andere rühren nur einen beliebigen Bildersalat an; zu ihnen zählt „Speak up my Beauty“. Am Ende steht Nardos mit einer neugeborenen Tochter, aber ohne Ehemann da – genauso ratlos wie der Zuschauer ihres Filmporträts.