Majid Majidi

Sun Children

Kinder der Sun School, darunter Ali (Rouhollah Zamani, mi.) und Abolfazl (Abolfazl Shirzad, 2.v.re.). Fotoquelle: © Majidi Film Production
(Kinostart: 5.5.) Schatzsuche mit doppeltem Boden: Regisseur Majid Majidi lässt Straßenkinder in Teheran nach Kostbarem graben – in ihrer Schule. Sie finden nicht, was sie suchen; doch dieses rasante und mitreißende Sozialdrama ist voller authentischer Einblicke in den iranischen Alltag.

Das iranische Kino ist hierzulande vor allem bekannt für komplexe moralische Dramen wie zuletzt „A Hero“ von Regisseur Asghar Farhadi oder mehr oder weniger explizite politische Kritik wie bei Jafar Panahi („Taxi Teheran“ 2015). Dagegen kommen Filme aus Vorderasien über und für Kinder und Jugendliche hierzulande selten auf die Leinwand.

 

Info

 

Sun Children

 

Regie: Majid Majidi,

99 Min., Iran 2020;

mit: Rouhollah Zamani, Shamila Shirzad, Javad Ezzati

 

Weitere Informationen zum Film

 

Der selbst aus bescheidenen Verhältnissen stammende Filmemacher Majid Majidi zeigt seit mehr als zwanzig Jahren ungeschminkt die Lebenswirklichkeit von Kindern im Iran – mit einigem internationalen Erfolg. Dabei thematisiert er auch absolute Armut wie in „Kinder des Himmels“ (1997), Behinderung wie in „Die Farben des Paradieses“ (1999) oder die Ausgrenzung von Minderheiten wie in „Regen“ (2001). Diesem sozialen Impetus bleibt er auch in seinem neuen Werk „Sun Children“ treu; darin schickt er seine jungen Protagonisten auf eine ungewöhnliche Schatzsuche mit doppeltem Boden.

 

Stehlen, um zu überleben

 

Bereits die ersten Szenen bieten einen ungefilterten Blick auf die harten Seiten von Teheran: In einem Armenviertel hält sich eine Clique um den 12-jährigen Ali (Rouhollah Zamani) mit kleinen Diebstählen, Handlanger-Arbeiten in Werkstätten oder als Straßenhändler über Wasser. Alis Mutter kann sich nicht um ihn kümmern, weil sie wegen seines gewalttätigen Junkie-Vaters im Krankenhaus gelandet ist; im Nachbarland von Afghanistan ist mehr als eine Million Menschen heroinabhängig. Daher muss sich der Junge allein durchschlagen. Sein Freund Abofazl (Abofazl Shirzad) wird als afghanischer Flüchtling nur geduldet; dabei muss er zum Lebensunterhalt seiner Familie beitragen.

Offizieller Filmtrailer


 

Auftrag vom Unterweltkönig

 

In ihrem heruntergekommen Viertel kennen sich die Heranwachsenden aus; die engen Gassen, schäbigen Kleinbetriebe, unübersichtlichen Ladenzeilen und der malerisch unaufgeräumte Schrottplatz des lokalen Unterweltkönigs sind ihr Revier. Er hat einen verlockenden Auftrag für die Jungen: Sie sollen einen Schatz für ihn heben, der in einem Tunnel unter der gemeinnützigen „Sun School“ versteckt ist.

 

Um an ihn heranzukommen, müssen sich die Straßenkinder in der Schule anmelden – gesagt, getan. Damit fangen ihre Schwierigkeiten aber erst an: Sie müssen sich unbemerkt zu den vermeintlichen Preziosen durchgraben. Dieses gefährliche Unterfangen stellt allmählich auch die Freundschaft der Jungen auf die Probe. Umso größer ist ihre Enttäuschung, als sie die wahre Natur des Schatzes erkennen.

 

Gangsterfilm der gemütlichen Art

 

Ihre Schatzsuche inszeniert Majidi wie einen Gangsterfilm der gemütlichen Art – gedreht wurde an Originalschauplätzen. Das gibt ihm eine dokumentarische Anmutung und entwirft ein präzises Bild der kargen Lebensumstände seiner Protagonisten. Majidi beschönigt sie nicht; aber die lichtdurchfluteten, mitunter traumhaften Bilder machen sie für die Zuschauer erträglicher.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Untimely" - eindrucksvoll stilisiertes Sozialdrama über Unterschichts-Kindheit im Iran von Pouya Eshtehardi

 

und hier eine Besprechung des Films "Yalda" - packendes iranisches Reality-TV-Drama von Massoud Bakhshi

 

und hier ein Beitrag über den Film "Eine moralische Entscheidung (No Date, No Signature)" - intensives Schuld-und-Sühne-Drama im Iran von Vahid Jalilvand

 

und hier einen Bericht über den Film "Teheran Tabu" – iranisches Gesellschafts-Panorama als Animationsfilm von Ali Soozandeh.

 

Nicht nur die Drehorte sind echt. Seine jungen Darsteller hat der Regisseur unter tausenden Bewerbern quasi von der Straße weg gecastet. Entsprechend natürlich ist ihr Spiel in der zwischen märchenhafter Schatzsuche und realistischem Sozialdrama schwebenden Geschichte. Dramaturgisch ist sie nicht immer stimmig, besticht dafür aber durch große Authentizität.

 

Am Ende ein leeres Haus

 

Die Sympathien liegen eindeutig bei den Kindern, die in der Schule neue Perspektiven für ihre Zukunft entwickeln oder alte Ambitionen wieder entdecken – dank des Umstands, dass ihre Lehrer sich ehrlich darum bemühen, jeden Schüler zu fördern. Einen der Freunde, der offenbar ein Mathe-Talent ist, wollen sie sogar auf eine weiterführende Schule schicken. Darüber hinaus thematisiert der Film beiläufig auch gesellschaftliche Probleme wie das Elend von Straßenkindern, Ressentiments gegen afghanische Flüchtlinge oder Drogenkriminalität.

 

Die raue Realität bricht auch über die Schule selbst herein: Sie ist für ihren Betrieb auf Spenden angewiesen, die aber zu spärlich tröpfeln. Daran ändert auch ein Schulfest für mögliche Mäzene nichts, dass die Kinder mit viel Herzblut ausrichten. Sie wollen alles dafür tun, dass dieser Ort, an dem sie sich sicher und verstanden fühlen, erhalten bleibt –  was man ihnen sehnlich wünscht. Die letzte Einstellung jedoch zeigt das leere Schulhaus: Dieser stumme, bittere Kommentar transportiert mehr als nur das traurige Ende der Handlung.