Joel Basman

Abenteuer eines Mathematikers

Als das Grübeln noch geholfen hat: Stan Ulam (Philippe Tlokinski, mi. stehend) streitet mit Edward Teller (Joel Basman, 3. v. re., stehend) über den richtigen Weg zur Wasserstoffbombe. Foto: Dragonfly Films
(Kinostart: 30.6.) Wiedersehen mit der Wasserstoffbombe: Zu ihren Vätern zählt Stanisław Ulam, jüdischer Mathematiker aus Polen. Seinen Werdegang schildert Regisseur Thor Klein – als papiernes Kammerspiel ohne Dramaturgie, aber voller Tekkie-Talk und Ethik-Räsonnement für die Mittelstufe.

Was ist eigentlich aus der Wasserstoffbombe geworden? Am 31. Oktober 1952 zündeten die USA im Pazifik den ersten Sprengsatz mit einem beträchtlichen Anteil von Kernfusion anstelle von –spaltung wie zuvor: „Ivy Mike“ zerstörte eine 500 Meter lange Insel im Eniwetok-Atoll vollständig. Im Folgejahr zog die Sowjetunion mit ihrem ersten H-Bomben-Versuch nach. 1957 folgte Großbritannien, 1967 China, 1968 Frankreich.

 

Info

 

Abenteuer eines Mathematikers

 

Regie: Thor(sten) Klein,

92 Min., Polen/ Deutschland/ Großbritannien 2020;

mit: Philippe Tlokinski, Fabian Kociecki, Joel Basman

 

Weitere Informationen zum Film

 

Und seither? Geht es um Abrüstungsverhandlungen, ist von Wasserstoffbomben nie die Rede. Lagern sie noch in den Arsenalen der Atommächte, wurden sie abgeschafft oder durch noch zerstörerische Sprengköpfe ersetzt? Das Schweigen über diese Waffenklasse mag ein Grund dafür sein, warum ihre Erfinder ebenfalls wenig Beachtung finden – anders als das „Manhattan-Projekt“ und sein Leiter J. Robert Oppenheimer, das die ersten US-Atombomben konstruierte.

 

Jede H-Bombe hat Teller-Ulam-Design

 

Am bekanntesten ist Andrej Sacharow (1921-1989), der Vater der sowjetischen Wasserstoffbombe – doch vor allem als Doyen der Menschenrechtsbewegung und Friedensnobelpreisträger. Dagegen sind Edward Teller (1908-2003) und Stanisław Ulam (1909-1984) nur wenigen geläufig – obwohl nach ihnen das Teller-Ulam-Design benannt wurde. Aus dieser Konfiguration von zwei separaten Sprengsätzen besteht jede H-Bombe.

Offizieller Filmtrailer


 

Von Harvard nach Los Alamos

 

Ulam verfasste 1976 unter dem Titel „Abenteuer eines Mathematikers“ seine Autobiographie. Auf ihr beruht der Film von Regisseur Thorsten Klein, der sich inzwischen Thor Klein nennt; er schrieb auch das Drehbuch. Das Resultat ist jedoch kaum geeignet, Ulams Bekanntheitsgrad zu erhöhen: Diese verfilmten Erinnerungen können allenfalls Schreibstuben-Gelehrte abenteuerlich finden, deren Dasein sich zwischen Büro und Hörsaal abspielt.

 

Wie das von Ulam (Philippe Tłokiński) selbst: Anfang der 1940er Jahre lehrt der gebürtige Pole als Gastdozent Mathematik in Harvard. 1943 überredet ihn sein Freund John von Neumann (1903-1957; gespielt von Fabian Kociecki), der später das bis heute gültige Referenzmodell für Computer erfinden wird, gemeinsam nach New Mexico zu gehen, um in der Forschungsstadt Los Alamos am Manhattan-Projekt mitzuarbeiten. Ulam, dessen jüdische Familie in seiner Heimatstadt Lemberg unter NS-Verfolgung leidet, willigt ein.

 

Im Wüstensand steckenbleiben

 

Nicht ohne vorher die adrette Französin Françoise (Esther Garrell) zu heiraten, damit sie eine Aufenthaltsgenehmigung bekommt. Geburt und Aufzucht ihres gemeinsamen Kindes sorgen für die einzigen human interest-Momente des Films. Ansonsten spielt er ausschließlich unter schlaksigen Naturwissenschaftlern in Anzügen und Krawatte; anfangs noch halbwegs beschwingt mit Partys und Pokerrunden im Uni-Milieu von Neuengland.

 

Doch spätestens mit dem Umzug nach New Mexico bleibt der Film buchstäblich im Wüstensand stecken. Da können die Protagonisten noch so häufig durch erhabene Felsformationen wandern, den Sonnenuntergang bewundern und wortreich über ihre Verantwortung für den Sieg über Hitler oder den Erhalt der Schöpfung schwadronieren – ihre blutleeren Dialoge bleiben staubtrockenes Gerede.

 

Skript ohne Spannung

 

Obwohl alle Darsteller eine leidlich gute Figur machen; engagiert tragen sie ihre papiernen Wortwechsel vor. Der polnisch-deutsch-britischen Koproduktion mit überschaubarem Budget sollte man auch nicht vorhalten, dass sie auf spektakuläre Szenen und Schauwerte – abgesehen von Wüstenfelsen – verzichten muss. Doch ein kopflastiges Kammerspiel wie dieses lebt davon, dass ein raffiniert komponiertes Skript für Spannung sorgt – und die fehlt völlig.

 

Dass Regisseur Thor(sten) Klein die komplexen mathematischen Probleme beim Bau der Bombe weitgehend unterschlägt, ist noch am ehesten verständlich. Weniger, dass er die dramatische Lage am Ende des Zweiten Weltkriegs und zu Beginn des Kalten Kriegs nur als Radionachrichten und Stichworte vorkommen lässt. Stattdessen beharken sich Ulam und sein Teamleiter Edward Teller (Joel Basman) ausdauernd mit für Außenstehende unverständlichen Argumenten, ob und wie die H-Bombe machbar sei oder nicht.

 

Heiner Kipphardt war 1964 weiter

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films  "The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben" – Biopic über das Informatik-Genie Alan Turing im Zweiten Weltkrieg von Morten Tyldum mit Benedict Cumberbatch

 

und hier eine Besprechung des Films  "Die Poesie des Unendlichen" – Biopic über ein indisches Mathematik-Genie von Matthew Brown

 

und hier ein Beitrag über den Film "Die Entdeckung der Unendlichkeit" - Biopic über den Physiker Stephen Hawking von James Marsh

 

und hier einen Bericht über den Film "Lost Place (3D)" - Mystery-Thriller über gefährliche Energiewellen im Pfälzer Wald von Thor(sten) Klein.

 

Oder sie sinnieren gefühlt zehn Mal darüber, ob man zugleich Kinder in die Welt setzen und Kernwaffen bauen dürfe. Das ist Ethikunterricht im Nuklearzeitalter für die Mittelstufe; da argumentierte bereits 1964 das Dokudrama „In der Sache J. Robert Oppenheimer“ von Heiner Kipphardt differenzierter. Dem Drehbuch mangelt einfach jede sinnvolle Dramaturgie, die Szenenfolge wirkt beliebig; selbst Ulams geistiger Zusammenbruch nach einer Hirnhautentzündung und der Krebstod seines Freundes von Neumann plätschern matt dahin.

 

Gewiss: Biopics über Helden der Naturwissenschaft sind schwierig, weil sich ihre Großtaten schlecht veranschaulichen lassen. Indes ist das Regisseur James Marsh 2014 mit „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ über den Physiker Stephen Hawking und seinem Kollegen Morten Tyldum 2015 mit „The Imitation Game“ über den Informatik-Pionier Alan Turing glänzend geglückt.

 

Besser Teller-Bio verfilmen

 

Vielleicht hätte sich Regisseur Klein eher Ulams Chef Edward Teller vornehmen sollen, eine so geniale wie zwiespältige Persönlichkeit. Er schreckte 1954 nicht davor zurück, Robert Oppenheimer als politisch unzuverlässig zu denunzieren. Teller verkörpert den (Un-)Geist der Epoche zwischen Machbarkeitswahn und Kommunistenfurcht mehr als jeder andere Los-Alamos-Mitarbeiter. Doch Teller war gebürtiger Ungar – und wer möchte schon für ein Filmprojekt mit der Orbán-Regierung kooperieren?