Regisseur Bruno Dumont gilt seit seinen Anfängen als enfant terrible des französischen Kinos. Ob in anarchischen Grotesken wie „Die feine Gesellschaft“ (2016) oder in seinen zwei mit Musicalelementen durchsetzten Filmen über die Nationalheldin Johanna von Orléans (2017 und 2019): Der frühere Philosophiedozent und Werbefilmer macht keine Kompromisse und spaltet das Publikum. Wild mischt er Filmgenres, wobei er Gewalt und Hässlichkeit mit Bildern erhabener Schönheit kombiniert.
Info
France
Regie: Bruno Dumont,
130 Min., Frankreich/ Deutschland/ Belgien/ Italien 2021;
mit: Léa Seydoux, Juliane Köhler, Benjamin Biolay, Blanche Gardin
Weitere Informationen zum Film
Herablassung für alles + alle
Selbst gefällt sich France jedoch am besten, wenn sie sich mit ihrer taffen Assistentin Lou (Blanche Gardin) mit albern anzüglichen Gesten über die Mächtigen lustig macht. Oder über Bürgerkriegsflüchtlinge und alle anderen, über die sie berichtet. Dabei flirtet sie beständig mit der Möglichkeit, dass die Herablassung öffentlich bekannt wird, mit der sie auf die Objekte ihrer Reportagen herabblickt. Aber wie Lou einmal sagt: Jede Niederlage ist nur der Ausgangspunkt für den nächsten Triumph.
Offizieller Filmtrailer
Tanz der schwerbewaffneten Warlords
Was mitunter durchaus das Zeug hätte, mit brachialem Nachdruck fragwürdige Mechanismen des Medienbetriebs und insbesondere des Fernsehens bloßzustellen, kippt allerdings immer wieder in Klamauk um. Wenn France etwa in einem nordafrikanischen Bürgerkriegsland bis an die Zähne bewaffnete Warlords als tanzende Schießbudenfiguren inszeniert und sich dabei selbst das Lachen nicht verkneifen kann, lässt auch der Regisseur alle Plausibilität fahren.
In den beiden Jeanne-d’Arc-Filmen hatte er eigentlich unvereinbare Elemente – kindlichen Starrsinn und ritualisierte Sprechakte – zusammengebracht; dadurch wurde deutlich, wie die Kommunikation zwischen Andersdenkenden zum Scheitern verurteilt war. Das gelingt hier nicht. Um ähnliche Reibungsmomente herzustellen, müsste Dumont seine Protagonistin und ihre prominente Stellung in der Öffentlichkeit ernster nehmen.
Hysterische Übertreibungen
Da er aber nur die plumpe Selbstgefälligkeit des Fernsehens vorführen will, reproduziert der Film kaum mehr als sattsam bekannte Klischees – und erreicht dabei nicht einmal das Niveau des Gegenstands, den er parodiert. Hauptfigur France tänzelt arrogant und ständig unter Strom durch die kulturelle Elite von Paris und das Elend der Welt. Nichts von dem, was sie sieht, kommt bei ihr an. Erst als sie selbst zum Gegenstand der Schlagzeilen wird, erleidet sie einen Nervenzusammenbruch.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Jeanne d'Arc" – Historien-Drama über Frankreichs Nationalheilige von Bruno Dumont
und hier eine Besprechung des Films "Die feine Gesellschaft" – Historien-Groteske in Slapstick-Ästhetik von Bruno Dumont
und hier ein Beitrag über den Film "Die Augen des Engels" – intelligentes Medien-Psychodrama von Michael Winterbottom
und hier ein Bericht über den Film "Spotlight" – brillanter Medien-Thriller von Tom McCarthy, mit Oscar für den besten Film 2016 prämiert.
Heiligenbilder der Hauptfigur
Selbstverständlich ist dem Regisseur lustiger trash allein nicht genug – um im medialen Überbietungswettbewerb zu bestehen, braucht es mehr. Ein ums andere Mal versucht er auch in diesem Film, einprägsame Bilder zu komponieren, die in Erinnerung bleiben. Vor allem in den überlebensgroßen, an Heiligenbilder angelehnten Nahaufnahmen der Hauptfigur spielt er auf klassische Einstellungen der Filmkunst an.
Damit erlaubt er immerhin Léa Seydoux, die zuletzt in Wes Andersons „The French Dispatch“ einen Auftritt als unbewegte Körper-Statue hatte, das überzeugende Repertoire ihrer Mimik und Gestik vorzuführen. Doch solche Momente des Innehaltens werden gleich darauf durch pathetische Vogelperspektiven von Traumlandschaften bei süßlicher Musik, ausgewalzte Schreckmomente und wenig motivierte Wendungen der Handlung verwässert. Dadurch verliert der Zuschauer bald das Interesse am Auf und Ab von Frances Karriere-Achterbahnfahrt. Dieses Sammelsurium ist ein unbekömmlicher Mix unausgegorener Ideen.