Léa Seydoux + Benjamin Biolay

France

France (Léa Seydoux, Mitte) bei einer Reportage mit Übersetzer (Amine Halim) und Warlord (Younnes Moahmmed). Foto: R. Arpajou © 3B Productions
(Kinostart: 9.6.) Fernsehen ist gaga, die Realität auch: Seine Satire auf den zeitgenössischen Medienbetrieb garniert Regisseur Bruno Dumont mit brachialem Klamauk und altbackenen Klischees. Das Sammelsurium unausgegorener Ideen kann auch Léa Seydoux in der Hauptrolle nicht retten.

Regisseur Bruno Dumont gilt seit seinen Anfängen als enfant terrible des französischen Kinos. Ob in anarchischen Grotesken wie „Die feine Gesellschaft“ (2016) oder in seinen zwei mit Musicalelementen durchsetzten Filmen über die Nationalheldin Johanna von Orléans (2017 und 2019): Der frühere Philosophiedozent und Werbefilmer macht keine Kompromisse und spaltet das Publikum. Wild mischt er Filmgenres, wobei er Gewalt und Hässlichkeit mit Bildern erhabener Schönheit kombiniert.

 

Info

 

France

 

Regie: Bruno Dumont,

130 Min., Frankreich/ Deutschland/ Belgien/ Italien 2021;

mit: Léa Seydoux, Juliane Köhler, Benjamin Biolay, Blanche Gardin 

 

Weitere Informationen zum Film

 

Mit „France“ hat Dumont nun eine Mediensatire vorgelegt, die mit einem großen Coup – einer Pressekonferenz mit Staatpräsident Emmanuel Macron – beginnt. Sie macht überdeutlich, worum es geht. Léa Seydoux spielt die Fernsehjournalistin France de Meurs, eine nationale Berühmtheit. Mit ihren Sendungen und Live-Berichterstattungen aus Kriegsgebieten ist sie auf der Mattscheibe dauerpräsent. Macron ruft sie bei Pressekonferenzen beim Vornamen, auf der Straße möchten Passanten Selfies mit ihr knipsen.

 

Herablassung für alles + alle

 

Selbst gefällt sich France jedoch am besten, wenn sie sich mit ihrer taffen Assistentin Lou (Blanche Gardin) mit albern anzüglichen Gesten über die Mächtigen lustig macht. Oder über Bürgerkriegsflüchtlinge und alle anderen, über die sie berichtet. Dabei flirtet sie beständig mit der Möglichkeit, dass die Herablassung öffentlich bekannt wird, mit der sie auf die Objekte ihrer Reportagen herabblickt. Aber wie Lou einmal sagt: Jede Niederlage ist nur der Ausgangspunkt für den nächsten Triumph.

Offizieller Filmtrailer


 

Tanz der schwerbewaffneten Warlords

 

Was mitunter durchaus das Zeug hätte, mit brachialem Nachdruck fragwürdige Mechanismen des Medienbetriebs und insbesondere des Fernsehens bloßzustellen, kippt allerdings immer wieder in Klamauk um. Wenn France etwa in einem nordafrikanischen Bürgerkriegsland bis an die Zähne bewaffnete Warlords als tanzende Schießbudenfiguren inszeniert und sich dabei selbst das Lachen nicht verkneifen kann, lässt auch der Regisseur alle Plausibilität fahren.

 

In den beiden Jeanne-d’Arc-Filmen hatte er eigentlich unvereinbare Elemente – kindlichen Starrsinn und ritualisierte Sprechakte – zusammengebracht; dadurch wurde deutlich, wie die Kommunikation zwischen Andersdenkenden zum Scheitern verurteilt war. Das gelingt hier nicht. Um ähnliche Reibungsmomente herzustellen, müsste Dumont seine Protagonistin und ihre prominente Stellung in der Öffentlichkeit ernster nehmen.

 

Hysterische Übertreibungen

 

Da er aber nur die plumpe Selbstgefälligkeit des Fernsehens vorführen will, reproduziert der Film kaum mehr als sattsam bekannte Klischees – und erreicht dabei nicht einmal das Niveau des Gegenstands, den er parodiert. Hauptfigur France tänzelt arrogant und ständig unter Strom durch die kulturelle Elite von Paris und das Elend der Welt. Nichts von dem, was sie sieht, kommt bei ihr an. Erst als sie selbst zum Gegenstand der Schlagzeilen wird, erleidet sie einen Nervenzusammenbruch.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Jeanne d'Arc" – Historien-Drama über Frankreichs Nationalheilige von Bruno Dumont

 

und hier eine Besprechung des Films "Die feine Gesellschaft" – Historien-Groteske in Slapstick-Ästhetik von Bruno Dumont

 

und hier ein Beitrag über den Film "Die Augen des Engels" – intelligentes Medien-Psychodrama von Michael Winterbottom

 

und hier ein Bericht über den Film "Spotlight"brillanter Medien-Thriller von Tom McCarthy, mit Oscar für den besten Film 2016 prämiert.

 

Anstatt irgendwelche weiterführenden Schlüsse daraus zu ziehen, dichtet der Film France nun Dramen in allen Lebensbereichen an. In immer neuen Volten zelebriert Dumont den Fall und Wiederaufstieg seiner Heroine. Dabei entfacht er ein Dauerfeuer aus Übertreibungen und Wechselbädern der Gefühle, das immer hysterischer wird.

 

Heiligenbilder der Hauptfigur

 

Selbstverständlich ist dem Regisseur lustiger trash allein nicht genug – um im medialen Überbietungswettbewerb zu bestehen, braucht es mehr. Ein ums andere Mal versucht er auch in diesem Film, einprägsame Bilder zu komponieren, die in Erinnerung bleiben. Vor allem in den überlebensgroßen, an Heiligenbilder angelehnten Nahaufnahmen der Hauptfigur spielt er auf klassische Einstellungen der Filmkunst an.

 

Damit erlaubt er immerhin Léa Seydoux, die zuletzt in Wes Andersons „The French Dispatch“ einen Auftritt als unbewegte Körper-Statue hatte, das überzeugende Repertoire ihrer Mimik und Gestik vorzuführen. Doch solche Momente des Innehaltens werden gleich darauf durch pathetische Vogelperspektiven von Traumlandschaften bei süßlicher Musik, ausgewalzte Schreckmomente und wenig motivierte Wendungen der Handlung verwässert. Dadurch verliert der Zuschauer bald das Interesse am Auf und Ab von Frances Karriere-Achterbahnfahrt. Dieses Sammelsurium ist ein unbekömmlicher Mix unausgegorener Ideen.