Berlin

Das Kleine Grosz Museum – Neueröffnung

George Grosz: Passanten, 1926. © Estate of George Grosz, Princeton/VG Bild-Kunst, Bonn 2022. Foto: Hanna Seibel
Statt Zapfsäulen nun Zeichnungs-Galerie: Das neue Museum für den giftigsten und schonungslosesten Künstler der Weimarer Republik bezieht Quartier in einer ehemaligen Tankstelle. Zum Auftakt zeigt es sein Frühwerk von ersten Skizzen bis zu furiosen Motiven voller Wut und Weltekel.

Unscheinbar, aber liebevoll gestaltet: Die Relieftafel für George Grosz (1893-1959) am Berliner Savignyplatz zeigt den Künstler im Profil mit Pfeife im Mund, während er eine Gruppe typischer Grosz-Figuren zeichnet. „In diesem Hause starb George Grosz“, steht auf der Bronzetafel. Daneben blickt man durch ein Glasfenster in den Hausflur, wo der Künstler nach einer durchzechten Nacht am frühen Morgen des 6. Juli 1959 zusammenbrach.

 

Info

 

Schreiben Sie doch bitte Grosz statt Gross

 

13.05.2022 - 17.10.2022

täglich außer dienstags + mittwochs 11 bis 18 Uhr,

freitags bis 20 Uhr

im Kleinen Grosz Museum, Bülowstr. 18, Berlin

 

Katalog 30 €

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Was diese Tafel an der Adresse Savignyplatz 5 nicht verrät: Im Haus seiner Schwiegereltern überdauerten Tausende von Werken des Künstlers versteckt im Keller und auf dem Dachboden das Dritte Reich, vor dem er sich Anfang Januar 1933 ins US-amerikanische Exil rettete. Darunter auch das Gemälde „Stützen der Gesellschaft“; es ist heute in fast jedem Schulbuch zur Geschichte der Weimarer Republik abgebildet und zählt in der Neuen Nationalgalerie zu den zentralen Werken der Sammlung.

 

Spießiges, Schrilles + Schräges

 

Auf halbem Strecke zwischen Savignyplatz und Nationalgalerie hat im Mai ein neues Ausstellungshaus eröffnet; es nennt sich augenzwinkernd „Das kleine Grosz Museum“. Der Weg dorthin führt an Dönerbuden, Spielhallen und billigen Bars vorbei in die Bülowstraße. Spießiges, Schrilles und Schräges wohnen hier dicht beieinander, wie auf Grosz’ Berliner Straßenbildern aus der Vorkriegszeit.

Diaschau mit Werken von George Grosz © LearnFromMasters


 

Shell-Tankstelle im 1950er-Design

 

Die landeseigene Wohnhausbausgesellschaft Gewobag als größter Vermieter in dieser Gegend lässt manche mehrstöckige Fassaden von Street-Art-Künstlern bemalen. Sie steht auch hinter der Stiftung, die das Street-Art-Museum „Urban Nation“ in der Bülowstraße betreibt. Gentrifizierung auf die ästhetische Tour: Langsam mausert sich das Areal mit dem traditionellen Straßenstrich zwischen Potsdamer Straße und Nollendorfplatz zur Kunstmeile.

 

In diese Straßenzüge passt das neue Grosz-Museum gut hinein. Es ist Nachmieter einer Shell-Tankstelle im beschwingten Design der 1950er-Jahre, die lange auf einem Eckgrundstück leer stand und vor sich hin gammelte. Vor ein paar Jahren erwarb der Galerist und Grosz-Liebhaber Juerg Judin die Ex-Tankstelle und ließ sie denkmalgerecht zur Privatvilla mit Garten aufmöbeln. Nun ist Judin umgezogen und hat die Immobilie an den Verein „George Grosz in Berlin“ vermietet, der schon seit geraumer Zeit nach passenden Räumen suchte.

 

Strafarbeiten aus Schulheften

 

Den Zirkel der Grosz-Verehrer leitet Ralph Jentzsch, der Nachlassverwalter des Künstlers; er hat 2018 eine Grosz-Retrospektive im Berliner Bröhan-Museum kuratiert. Arbeiten auf Papier aus allen Schaffensperioden begegnet man nun in der kleinen Dauerausstellung wieder, die das Erdgeschoss eines ehemaligen Anbaus füllt: von den giftigen Lithografien der „Kleinen Grosz-Mappe“ von 1917, auf die das Kleine Grosz Museum mit seinem Namen anspielt, bis zu schrillen Fotomontagen, mit denen der Künstler nach dem Zweiten Weltkrieg die US-Konsumkultur verspottete.

 

Eine schmale Treppe führt ins Obergeschoss, wo Platz ist für Wechselausstellungen. Hier sind etwa 50 frühe Arbeiten unter dem Motto „Schreiben Sie doch bitte Gross statt Grosz“ zu sehen. Als Georg Ehrenfried Gross wurde der Künstler 1893 in Berlin geboren, ab 1916 nannte er sich George Grosz. Die ältesten gezeigten Werke sind Karikaturen, Malaufgaben und Strafarbeiten aus den Schulheften des Elfjährigen. Ein großes Skizzenblatt von 1907/08 mit Dutzenden Figuren und Szenen zeigt seine unbändige Lust am Zeichnen und an satirischer Zuspitzung.

 

Ohrfeigen-Revanche für Ohrfeige

 

Aus derselben Zeit stammt ein Landschaftsaquarell in gedämpften Tönen – eine winterliche Industrielandschaft im pommerschen Stolp, wo der Junge zeitweise mit seiner Mutter wohnte und das Gymnasium besuchte. Dort wird er auffällig, als der 15-Jährige die Ohrfeige eines Lehrers durch eine Ohrfeige erwidert.

 

1910 druckt das Berliner Satireblatt „Ulk“ erstmals eine Zeichnung von ihm ab; nun hofft Grosz auf eine Karriere als Witzblattzeichner. Doch die Ausbildung an der konservativen Dresdner Kunstakademie ödet ihn an. 1912 wechselt Grosz an die fortschrittlichere Unterrichtsanstalt des Berliner Kunstgewerbemuseums, die von Bruno Paul geleitet wird, der selbst ein berühmter Karikaturist ist.

 

Skat spielende Frauenmörder auf Kiste

 

Als skizzierender Flaneur durchstreift Grosz die boomende Millionenstadt mit ihren Brachen und Baustellen. Dort findet er seine Motive: „Ich zeichnete Betrunkene, Kotzende, Männer, die mit geballter Faust den Mond verfluchen, Frauenmörder, die skatspielend auf einer Kiste sitzen, in der man die Ermordete sieht. Ich zeichnete Weintrinker, Biertrinker, Schnapstrinker und einen angstvoll guckenden Mann, der sich die Hände wäscht, an denen Blut klebt. […] Ich zeichnete fliehende Männchen, die einsam und wie wahnsinnig durch leere Straßen liefen.“

 

Während des Ersten Weltkriegs bringt Grosz sich autodidaktisch die Technik der Ölmalerei bei; parallel findet er zu seinem unverwechselbaren und hochaggressiven Zeichenstil. Auf die explodierende Gewalt im Alltag reagiert er mit der schonungslosen Bloßstellung von Autoritäten, Brutalität, Schäbigkeit und Armseligkeit. So messerscharf er seinen Zeichenstift handhabt, so wenig taugt er als Soldat.

 

Kunst aus Wut und Weltekel

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "George Grosz in Berlin" - große Werkschau im Bröhan-Museum, Berlin

 

und hier ein Bericht über die Ausstellung "Glanz und Elend in der Weimarer Republik" mit Werken von George Grosz in der Kunsthalle Schirn, Frankfurt am Main

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Menschliches - Allzumenschliches" - Neue Sachlichkeit im Münchener Lenbachhaus mit Arbeiten von George Grosz

 

Zweimal wird er nach einer Einberufung zum Militär sofort so krank, dass er im Lazarett statt im Schützengraben landet; danach stellt man ihn als dienstuntauglich zurück. Auf dem Rückweg von der Front hält er 1915 fest, wie unheroisch die Kriegsführung ist. Vor den Ruinen zerschossener Häuser liegen lauter Leichen auf einer Landstraße. Grosz skizziert lediglich die Umrisse der verdrehten Körper.

 

Durchaus bekannt ist, dass George Grosz kein Kind der 1920er Jahre war, in denen er berühmt wurde. Bereits die hauptstädtische Gesellschaft der Kaiserzeit hat er mit scharfem Strich demaskiert und in dieser Auseinandersetzung seine Position gefunden. Die überschaubare Ausstellung und der ausführliche Katalog fokussieren auf ein junges Talent in einer autoritären Gesellschaft vor und während des Kriegs, das seine Wut und seine Weltekel zu derart furioser Kunst verarbeitete.

 

Cappuccini unter Hochbahn-Donner

 

Das Kleine Grosz Museum soll fünf Jahre auf dem ehemaligen Tankstellengelände bleiben. In diesem Zeitraum sind zehn Sonderausstellungen zu verschiedenen Themen und Werkphasen geplant. Ein Besuch lohnt schon wegen seines Domizils: Alle paar Minuten donnert dicht am Garten auf der Hochbahn ein U-Bahnzug vorbei. Die gelben Waggons blitzen nur kurz zwischen Bambusbüscheln und den Kronen märkischer Kiefern auf. Statt Sprit schenkt die Tankstelle nun Cappuccino und Drinks aus: Dieses zauberhafte Museumscafé ist allein schon für sich eine neue Sehenswürdigkeit.