Samuel Finzi

Risiken & Nebenwirkungen

Arnold (Samuel Finzi) und Kathrin (Inka Friedrich) mit Freunden im Restaurant. Foto: © Epo Film
(Kinostart: 9.6.) Wenn der Gatte keine Niere abgeben will: Verweigerte Organspende entzweit ein Wiener Paar. Die Boulevardkomödie verfilmt Regisseur Michael Kreihsl ohne platte Gags, indem er die makabren Umstände seziert – die Eheleute haben sich routiniert auseinander gelebt.

In Österreich ist der Theater- und Filmregisseur Michael Kreihsl bestens bekannt. Hierzulande kam seine Komödie „Die Wunderübung“ (2018) recht gut an, die Adaption eines Boulevardstücks über eine exzentrische Paartherapie. Diesem Erfolgsrezept folgt auch „Risiken & Nebenwirkungen“; als Vorlage diente „Die Niere“ von Stefan Vögel. Seine Boulevardkomödie wurde vor vier Jahren in der Berlin uraufgeführt; sie exerziert mit bewährten Lustspiel-Mitteln alle Stadien einer dysfunktionalen Paarbeziehung durch.

 

Info

 

Risiken & Nebenwirkungen 

 

Regie: Michael Kreihsl,

93 Min., Österreich 2021;

mit: Inka Friedrich, Samuel Finzi, Thomas Mraz, Pia Hierzegger

 

Weitere Informationen zum Film

 

In Wien leben die Best Ager Kathrin (Inka Friedrich) und Arnold (Samuel Finzi) in gut eingespielter Routine nebeneinander her. Das Paar hat sich in einem steril-modernen Würfelhaus eingerichtet. Kathrin unterrichtet Pilates in einem schicken Altbaustudio; Arnold ist erfolgreicher Architekt und gerade dabei, einen riesigen Wohnturm zu errichten. Die erwachsene Tochter Eva ist bereits ausgezogen.

 

Familienmitglied als Spender gefragt

 

Dann bricht in ihren fast harmonischen Alltag die Nachricht herein, dass Kathrins Nieren bald versagen werden. Sie braucht schleunigst ein Spenderorgan, am besten von jemandem aus der eigenen Familie. Während sie die Diagnose mit einiger Fassung trägt, sind sowohl ihr Gatte als auch die Tochter völlig überfordert; nun zeigt sich deutlich, dass es in der Beziehung zwischen den Eheleuten gehörig knirscht.

Offizieller Filmtrailer


 

Bester Freund bietet Niere an

 

Nur Arnold hat dieselbe Blutgruppe wie seine Frau; er wäre deswegen als Spender die erste Wahl. Anstatt aber sofort zuzusagen, schindet er Zeit, schiebt seine Firma vor – und sehr selten auftretende, aber mögliche Nebenwirkungen der Transplantation. Als stattdessen sein bester Freund Götz (Thomas Mraz) spontan seine Niere anbietet, ist auch noch dessen Ehe in Gefahr.

 

Kathrin setzt Arnold mit erloschenem Blick psychologisch unter Druck. Der sucht händeringend nach Alternativen, um den drohenden Verlust seiner körperlichen Unversehrtheit abzuwenden – solange, bis Kathrin dankend ablehnt und sämtliche Auftritte in Gesellschaft mit ihrem Befinden sprengt. Dieser Ausnahmezustand wird auch zum Stresstest für ihre besten Freunde, das Paar Diana (Pia Herzegger) und Götz, denn er fördert noch einige Geheimnisse zutage.

 

Seitensprünge aus Langeweile

 

Organspenden sind zweifellos ein ernstes Thema. Hier fungiert die böse Diagnose aber als Katalysator für ein Geschehen, das Regisseur Kreihsl mit der gebotenen Ernsthaftigkeit erzählt und eher zurückhaltend inszeniert. Er hebt nur die Absurdität der Situation hervor. Anders als in deutschen Durchschnittskomödien werden keine krachledernen Witze gerissen, sondern eher die makabren Umstände seziert.

 

Dabei kann sich Kreihsl auf seine versierten Schauspieler verlassen. Keiner der Protagonisten ist wirklich sympathisch; bis auf die Niere haben diese gesetzten, wohlhabenden Mittelklasse-Gestalten nur kleine, selbstgemachte Probleme, etwa Seitensprünge aus Langeweile. Mit keinem möchte man einen Kaffee trinken, geschweige denn in einem der schicken Restaurants tafeln, in denen sie sich stilvoll anöden.

 

Bauprojekt ist phallischer Riese

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Die Lebenden reparieren"Familien-Drama über Organspende von Katell Quillévéré

 

und hier eine Besprechung des Films "Arthur & Claire" – schön makaber-skurrile Selbstmord-Dramödie von Miguel Alexandre mit Josef Hader nach einem Stück von Stefan Vögel

 

und hier einen Beitrag über den Film "Die Frau, die sich traut" – pointiertes Porträt einer Familienmutter im Kampf gegen Krebs von Marc Rensing mit Steffi Kühnert

 

Genauer charakterisiert Kreihsl seine Protagonisten nicht. Der Film bleibt an der schönen, gutsituierten Oberfläche; die Handlung ist vorhersehbar, ihre Wendungen eingeschlossen. Vielleicht geben die Figuren auch nicht mehr her; jedenfalls scheint Kathrin ihr Schicksal zunächst stoisch anzunehmen, um später die Situation für ihre Ziele auszunutzen.

 

Die Psychoanalyse darf als Stilmittel in ihrem Herkunftsland natürlich nicht fehlen. Arnolds Bauprojekt ist ein riesiges phallisches Gebilde, was eine Computeranimation als running gag hervorhebt; später löst es sogar eine Kneipenschlägerei aus. Mehr physische Gewalt gibt es nicht: Alle anderen Verletzungen fügen sich die Protagonisten verbal mit teils pointierten Dialogen zu.

 

Metaphorischer Berg-Abstieg

 

Natur kommt nur am Anfang vor, als die Familie gemeinsam einen Berg besteigt, vielleicht zum letzten Mal. Danach folgt der auch metaphorische Abstieg. Kathrin und Arnold sind sich abhanden gekommen, was sie gar nicht richtig verzweifeln lässt; sie wollen den Riss nur irgendwie kitten.

 

Obwohl Kathrins Organversagen lebensbedrohlich ist, dreht sich der Film vorwiegend um Arnolds Befindlichkeiten, bis sie mit einer Finte dem Egomanen den Spiegel vorhält. In dem sind Entfremdung und Umgang mit Leistungsdruck zu sehen; da ist ein unperfektes Happy End erlaubt.