Vicky Krieps

Corsage

Kaiserin Elisabeth (Vicky Krieps) mit ihrem geliebten Cousin König Ludwig II. von Bayern (Manuel Ruby). Foto: © Robert Brandstätter, Fotoquelle: Alamode Film
(Kino-Start: 7.7.) Schluss mit Sissi: Regisseurin Marie Kreutzer porträtiert Kaiserin Elisabeth von Österreich als eigenwillige, widerspenstige Persönlichkeit, die an den erstickenden Zwängen des Hoflebens verzweifelt – atemberaubend verkörpert von Vicky Krieps.

Elisabeth von Österreich ist abgetaucht. Sie liegt in der Badewanne und hält die Luft an, die Augen weit offen. Das Wasser ist klar, ihr Wille ist stark. Die Kaiserin trainiert ihren Körper. Sie wappnet sich für den Kampf, den ihr Leben fortan bedeuten wird. Immerhin hat sie gerade die durchschnittliche Lebenserwartung von Frauen überschritten – mehr als vier Jahrzehnte haben im 19. Jahrhundert auch viele Adlige nicht erreicht. Trotzdem zwängt sie sich jeden Tag aufs Neue in ein enges Korsett, dass sie von ihren Zofen möglichst fest schnüren lässt.

 

Info

 

Corsage 

 

Regie: Marie Kreutzer,

113 Min., Österreich/ Luxemburg/ Deutschland/ Frankreich 2022;

mit: Vicky Krieps, Florian Teichtmeister, Manuel Rubey, Katharina Lorenz

 

Weitere Informationen zum Film

 

Der Film setzt am 24. Dezember 1877 ein, Elisabeths 40. Geburtstag. In ihrem Tagebuch notiert sie: «Ein Mensch von vierzig Jahren löst sich auf, verfärbt sich, verdunkelt sich, wie eine Wolke.» Passend dazu steckt Regisseurin Marie Kreutzer die reife Elisabeth in eine Garderobe, die weitgehend in verschiedenen Lilatönen gehalten ist: Kleider, Hüte und Handfächer sind dunkelviolett, manchmal graublau oder ganz schwarz – alles Farben, die im harschen Kontrast stehen zum wilden Gebaren der Monarchin, der unterdrückten Wut im Bauch und dem Feuer in ihrem Herzen.

 

Anders als Kostümfilm-Trilogie

 

Die Frau, die Kreutzer porträtiert, hat rein gar nichts mit der niedlichen Sissi aus der Kostümfilm-Trilogie (1955/57) von Ernst Marischka gemeinsam. Diese Elisabeth ist keine Kindsfrau in weißen Kleidern mit unschuldigem Lächeln und zartem Teint; Romy Schneider, damals gerade einmal siebzehn Jahre alt, wurde als jungfräuliche Kaiserin auf der Leinwand zum Weltstar.

Offizieller Filmtrailer


 

Kriegerin in eigener Mission

 

Stattdessen streift jetzt Vicky Krieps kratzbürstig durch die muffige Wiener Hofburg; sie begehrt gegen ihre Rolle auf, in der sie gefangen ist. Eine Rebellin, die sich wehrt, indem sie rauchend und turnend und hungernd gegen jedes Gramm zu viel und um jeden Millimeter Hüftumfang weniger kämpft. Die mal als Provokateurin auftritt, mal als Draufgängerin oder Liebhaberin – meistens aber als einsame Monarchin voller Sehnsüchte.

 

Krieps‘ Elisabeth ist eine Kriegerin in eigener Mission; ruhelos, rau und ungehorsam. Damit macht sie sich weder bei ihrem Gatten, Kaiser Franz Joseph I. (Florian Teichtmeister), noch in der breiten Öffentlichkeit beliebt. Ihre Dienstmädchen fürchten sich vor ihr, ihre kleine Tochter Valerie wundert sich. Kurzum: Elisabeth hat als Rollenmodell ausgedient, gibt man ihr von allen Seiten zu verstehen. Als Vorzeigedame, als Mutter und als Ehefrau ihres untreuen Gatten sowieso.

 

Verfalls-Patina + Habsburger-Untergang

 

Doch die Geringschätzung ist wechselseitig. Empfänge, Abendessen, das ganze höfische Zeremoniell: All das ist ihr schon lange lästig, weshalb sie gerne mittendrin aufsteht, mit der Faust auf den Tisch schlägt oder zum Ärger ihres Mannes erst gar nicht zum Bankett erscheint. Insgeheim scheint Elisabeth zu ahnen, dass auch die Habsburger Dynastie und ihr gesamtes Reich vom Untergang bedroht sind. Diesen Eindruck vermittelt Kreutzer, indem sie der gesamten Ausstattung viel Patina und ein Flair von Verfall gibt: Von den Wänden der Paläste blättert die Farbe ab, das Holz ist wurmstichig, die Zimmerecken sind staubig.

 

Hintergrund

 

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Marie Noëlle mit Hannah Herzsprung als Kaiserin Sisi

 

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Dabei zeichnet die österreichische Regisseurin ein strenges, kantiges Bild von der Kaiserin. Belebt wird die Handlung, die sich über wenige Jahre erstreckt, durch die betörende Musik mit Ohrwurm-Qualitäten der französischen Vokalistin und Pop-Musikerin Camille. Aber auch die aufmerksame Kamera von Judith Kaufmann, die jeden gespreizten Finger und bebende Lippe, jede noch so unmerkliche Geste ihrer Majestät einfängt, trägt dazu bei, dass der Zuschauer bald von diesem Filmporträt in Bann geschlagen wird.

 

Psychogramm wachsender Verzweifelung

 

Elisabeth treibt Sport, reitet aus, macht Besuche, verreist – etwa zu ihrem geliebten Cousin König Ludwig II. von Bayern (Manuel Rubey) – und erfüllt ihre ungeliebten gesellschaftlichen Pflichten; viel mehr passiert nicht. Doch das Drehbuch verleiht kleinen, alltäglichen Vorkommnissen mit subtilem Humor in den Dialogen starke Aussagekraft. Wobei „Corsage“ weder ein Biopic noch ein Historienfilm im herkömmlichen Sinn ist. Sondern eher das Psychogramm einer wachsenden Verzweifelung, getragen von der ungenierten und zugleich extrem kontrollierten Darbietung von Vicky Krieps.

 

In einem der hellsten, am meisten unbeschwerten Momente der Handlung – der Kreutzers Fantasie entspringt – trifft Elisabeth auf den Kinopionier Louis Le Prince, der ihre Bewegungen auf Film festhalten will. Sie läuft über eine Wiese, albert herum und lacht: Krieps‘ Auftritt ist so überraschend und atemberaubend wie der ganze Film. Er haucht einer Frauenfigur, die längst von ihrer eigenen Legende erdrückt schien, mit einer aufregenden und komplexen Interpretation neues Leben ein.