Alba Rohrwacher

Das Pfauenparadies

Alma (Carolina Michelangeli) und Caterina (Maya Sansa). Foto: © Copyright: Vivo Film / Match Factory
(Kinostart: 7.7.) Wenn jeder sein Gefieder spreizt: Regisseurin Laura Bispuri porträtiert eine Familie, in der alle die anderen ausstechen wollen. Als Reflexion über Rollenerwartungen und individuelles Freiheitsstreben – und Mix aus Drama, Komödie und Posse, leicht mit Symbolen überfrachtet.

Passender könnte der Titel dieses Kammerspiels kaum sein: Es ist ein Spektakel der Eitelkeiten. Mal sehr unterhaltsam, mal eher befremdlich, schon fast abstoßend. Einer nach dem anderen treten die verschiedenen Protagonisten auf: erst zögerlich, dann entschlossen, sich so viel Raum wie nur möglich zu sichern – natürlich auf Kosten der anderen. Wie ein Pfau plustert sich jeder auf und tritt in einen Wettbewerb um das schönste aller Federkleider; ganz offensichtlich nicht zum ersten Mal und daher ziemlich routiniert.

 

Info

 

Das Pfauenparadies 

 

Regie: Laura Bispuri,

89 Min., Italien/ Deutschland 2021;

mit: Dominique Sanda,
 Alba Rohrwacher, Maya Sansa

 

Weitere Informationen zum Film

 

Beeindrucken wollen alle insbesondere die Grande Dame des Hauses, Nena (Dominique Sanda). Zur Feier ihres runden Geburtstages hat sie die ganze Familie eingeladen. Dazu zählen ihr Sohn Vito (Leonardo Lidi) und dessen Partnerin Adelina (Alba Rohrwacher) mit ihrer kleinen Tochter Alma (Carolina Michelangeli). Die hat auch ihr Haustier mitgebracht: einen echten Pfau, der nicht zu lange allein zu Hause bleiben soll, da er sonst traurig wird. Nena hat sich zwar damit einverstanden erklärt, dass der Pfau mitkommt, doch verhehlt sie nicht, dass er ihr zuwider ist.

 

Pullover-Geschenk kommt nicht an

 

Ihre stärkste Abneigung gilt aber einer anderen Person, wie schnell klar wird: ihrer Schwiegertochter in spe Adelina. Je verzweifelter letztere versucht, Nenas Zuneigung zu gewinnen, desto barscher fährt diese ihr über den Mund. Adelinas Geschenk, einen selbstgestrickten Pullover, lässt sie lustlos liegen. Vitos Vermittlungsversuche können ebenfalls nichts ausrichten; ihn nimmt seine Mutter genauso wenig ernst.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Vier Frauen-Generationen beisammen

 

Bald wird klar, weswegen Nena ihre ältere Tochter Caterina (Maya Sansa) und deren Partner Manfredi (Fabrizio Ferracane) vorzieht: Sie bewundert vermeintliche Stärke, während sie vermeintliche Schwäche verachtet. Was unter beidem jeweils zu verstehen sei, thematisiert der dritte Spielfilm der italienischen Regisseurin Laura Bispuri.

 

Wie in den Vorläufern spielt auch in „Das Pfauenparadies“ die Familie eine zentrale Rolle als Hort konservativer Wertevorstellungen – im Gegensatz zu alternativen Lebensentwürfen und neu definierten Geschlechterrollen. Im neuen Film, der sich einer klaren Genre-Zuordnung entzieht, kommen vier Frauen-Generationen zusammen: Bispuri betrachtet ihren jeweiligen Umgang mit der Liebe, dem Wunsch nach Unabhängigkeit und dem Druck, als Mutter zu bestehen.

 

Alba Rohrwacher ist stets überfordert

 

In der Figur der Adelina konzentrieren sich alle Unsicherheiten. Sie wird von Alba Rohrwacher gespielt, die in allen Spielfilmen von Bispuri mitgewirkt hat. Nicht nur von ihr wird Rohrwacher stets für ähnliche Rollen engagiert: sei es als paranoide Mutter in „Drei Etagen“ (2021) von Nanni Moretti, als suizidgefährdete Mutter und betrogene Ehefrau in „Lacci“ (2020) von Daniele Lucchetti oder als verwirrte Hippie-Braut in „Frau im Dunkeln“ (2021) von Maggie Gyllenhaal.

 

Stets spielt Rohrwacher vom Leben überforderte junge Frauen, die sich meist in verschiedenen Neurosen verlieren und deren Verhalten schwer zu begreifen ist. Auch im Fall der Adelina, die sie mit kindlich-unterwürfiger Art verkörpert, möchte man sie am liebsten an den Schultern packen, durchschütteln und sie auffordern, endlich auf eigenen Beinen zu stehen.

 

Mädchen-Lied lässt alle verstummen

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Meine Tochter – Figlia Mia" – provokantes italienisches Familien-Drama von Laura Bispuri mit Alba Rohrwacher

 

und hier eine Besprechung des Films "Drei Etagen"italienisches Episoden-Drama von Nanna Moretti mit Alba Rohrwacher

 

und hier einen Beitrag über den Film "Glücklich wie Lazzaro" – fantastische Ausbeutungs-Parabel von Alice Rohrwacher mit Alba Rohrwacher

 

und hier einen Bericht über den Film "Missverstanden – Incompresa" – Künstlerfamilien-Drama eines vernachlässigten Mädchens in Rom von Asia Argento mit Charlotte Gainsbourg.

 

Allerdings versucht sie im Lauf des Films, wie alle Protagonisten, sich aus ihrem inneren wie äußeren moralischen Korsett zu befreien. Ihr Wunsch, als Individuen mit eigenen Bedürfnissen respektiert zu werden, steht in Konflikt mit den Erwartungen, die sie glauben, erfüllen zu müssen. Diese Spannung ist kontinuierlich zu spüren. Formal wird an der ziemlich wilden Handkameraführung deutlich, untermalt durch dissonante Streichermusik. Alles bereitet das explosive Finale vor, in dem der unterschwellige Familienstreit unweigerlich enden muss.

 

Bevor es so weit ist, ereignet sich ein fast herzzerreißender Höhepunkt: Vito und Adelina kündigen ihre Hochzeit an. Die Begeisterung der anderen hält sich in Grenzen, schnell wird vom Thema wieder abgelenkt. Im verzweifelten Versuch, nicht wieder unbemerkt im chaotischen Stimmengewirr unterzugehen, fordert Adelina ihre Tochter Alma auf, ein Lied zu singen. Sofort sind alle still: Mit blassem Teint und dünnem, hellen Stimmchen wirkt das Mädchen unglaublich zerbrechlich.

 

Erzählerische Dichte

 

Dabei beweist die Regisseurin einen guten Sinn für Rhythmus. Überhaupt ist die große Stärke ihres Films, der zwischen Drama, klassischer Komödie und grotesker Posse oszilliert, seine ungewöhnliche erzählerische Dichte, welche die Einheit von Raum und Zeit wahrt. Gleichzeitig neigt Bispuri aber auch zu parabelhaften Elementen, womit sie riskiert, den Film mit Symbolen zu überfrachten.