Berlin

Hollywood

Larry Sultan: Sharon Wild, 2001, from the series „The Valley“, ® The Estate of Larry Sultan, courtesy Galerie Thomas Zander, Cologne
Als die Filmbilder stehen lernten: Ohne Set- und Werbe-Fotografie ist Kino nicht denkbar. Ihre Entwicklung zeichnet das Museum für Fotografie in einer kompakten Ausstellung mustergültig nach – von glamourösen Star-Porträts bis zur Demontage des Mythos durch Freaks am Straßenrand.

Fotografie ist zwar deutlich älter als Film, doch ohne erstere wäre aus letzterem wenig geworden: Das Kino benötigte von Anfang an die Fotokamera, um seine Produkte zu bewerben, ja überhaupt erst bekannt zu machen. Ohne Szenenbilder und Starporträts auf Plakaten und in Illustrierten hätte sich für die Erzeugnisse der Traumfabriken kaum jemand interessiert. Dieser Zusammenhang wird nirgends deutlicher als bei der Fotografie in und über Hollywood.

 

 

Hollywood

 

03.06.2022 - 20.11.2022

täglich außer montags 11 bis 19 Uhr,

donnerstags bis 20 Uhr

in der Helmut Newton Foundation, Museum für Fotografie, Jebenstr. 2, Berlin

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Dass die Helmut Newton Stiftung das Thema aufgreift, liegt nahe: Ihr Namenspatron inszenierte seine Aufnahmen so kinematografisch wie kaum ein anderer – „Der Regisseur unter den Fotografen“ nannte ihn einst das „F.A.Z. Magazin“. Seine Bilder bettet sie aber klugerweise in Arbeiten von einem Dutzend Kollegen seit den 1920er Jahren bis heute ein. So entsteht eine kleine Sittengeschichte der Selbstdarstellung und Fremdwahrnehmung der Filmindustrie.

 

Erfinder der Glamour-Fotografie

 

Angefangen mit Ruth Harriet Louise: Ab 1925 fotografierte sie sämtliche Schauspieler, die bei Metro-Goldwyn-Mayer unter Vertrag standen. Ihre Porträts – etwa von Greta Garbo – waren konsequent artifiziell, oft in gezierten Posen, als wohnten die Stars in den Filmkulissen, in denen sie spielten. Noch stärker idealisierte George Hurrell in den 1930er Jahren seine Modelle: Mit viel Schminke, Weichzeichner und dramatischer Lichtführung ließ er ihre Gesichter wie Ikonen wirken, die über dieser Welt schwebten – Hurrell gilt als Erfinder der Glamour-Fotografie.

Interview mit Direktor Matthias Harder + Impressionen der Ausstellung


 

Fotografin heiratet Monroes Ex

 

Etwas mehr Bodenhaftung gewann der Starkult in den 1940er Jahren bei George Hoyningen-Huene: Auf seinen Porträts durften Ginger Rogers, Judy Garland oder Marlene Dietrich nachdenklich oder schelmisch lächeln. Frank Capra, den Großmeister humanistischer Sozialdramen, lichtete Hoyningen-Huene geradezu realistisch beim Blättern im Drehbuch ab.

 

Sozialer Realismus prägte die Set-Fotografie in der Nachkriegszeit: Die Österreicherin Inge Morath begleitete 1961 die Dreharbeiten zu „The Misfits“ von John Huston nach einem Drehbuch von Arthur Miller. Mit Clark Gable und Marilyn Monroe in den Hauptrollen; dieser Western sollte ihr letzter Film werden. Die gezeigten Aufnahmen scheinen die Spannung zwischen allen Beteiligten zu spiegeln – während des Drehs zerbrach die Ehe von Monroe und Miller, danach heiratete der Dramatiker Morath. Sie blieben 40 Jahre lang ein Paar.

 

Newton rekombiniert Versatzstücke

 

Haus- und Hoffotografin von Monroe war allerdings Eve Arnold, die als Vertreterin der Magnum-Agentur ebenfalls bei den Misfits-Dreharbeiten zugegen war. Arnold lichtete die Schauspielerin vorzugsweise in vermeintlich privaten Momenten ab, zeigte sie verspielt oder verträumt – und holte sie damit gewissermaßen vom Sockel. Dem Starkult den Garaus machte dann New Hollywood in den 1970er Jahren: Die Standfotos, die Steve Schapiro 1973 bei den Dreharbeiten zum Krimi „Chinatown“ von Roman Polanski aufnahm, erscheinen trotz der Präsenz von Jack Nicholson und Faye Dunaway wie Schnappschüsse aus der Nachbarschaft.

 

Im Grunde war damit die Entwicklung der klassischen Hollywood-Set-Fotografie abgeschlossen – Auftritt Helmut Newton! In den 1970/80er Jahren klaubte er ihre Versatzstücke zusammen und kombinierte sie, postmodern avant la lettre, zu etwas Neuem. Bei diesem Sujet konnte er seine Qualitäten voll ausspielen: Wirken andere Aufnahmen von Newton häufig leicht manieriert, überdreht und affektiert, sind diese Eigenschaften im Kino-Kontext genau richtig – bigger than life, baby!

 

Liz Taylor mit Papagei im Pool

 

Wobei es Newton unterlässt, die Protagonisten seiner Bilder zu überhöhen. Im Gegenteil: Er behandelt sie eher wie ein Regisseur seine Akteure, die alle seine Einfälle umsetzen müssen, so schräg sie auch sein mögen. Ohne sie dabei bloßzustellen: Die toughe Grace Jones wird vom Bodybuilder Dolph Lundgren schützend umarmt. Regie-Legende Billy Wilder hält sich hilfesuchend an der Perlenkette seiner Frau Audrey fest. Dennis Hopper stützt ratlos sein Kinn auf gefaltete Hände. Francis Ford Coppola hockt als pummeliger Kino-Nerd in seinem privaten Projektionsraum. Liz Taylor steht als has been mit Papagei auf der Hand im Pool.

 

Ihre Haut vor seiner Linse entblößen lässt Newton eher diejenigen, die sie ohnehin als Komparsen in der Filmindustrie zu Markte tragen. Nach mehr als einem Vierteljahrhundert Abstand überrascht, wie viele dieser Szenen immer noch knisternde Erotik verströmen – mit oder ohne nackte Tatsachen. Ihr ungebrochener Reiz dürfte auch darin bestehen, dass viele kunstvoll Alltagssituationen simulieren; Räkeln auf der Liege, Necken mit Hund oder Ärger mit Waschmaschine und Kühlschrank.

 

Schwacher Abgesang auf Traumfabrik

 

Jedenfalls bieten diese Motive der Schaulust mehr als die überlebensgroßen Porträts von Anton Corbijn. Seine kargen Schwarzweiß-Tableaus lassen Marianne Faithfull, Clint Eastwood oder Tom Waits wie ausgedörrte Gebirgslandschaften erscheinen – monumental, aber unzugänglich. Von hier aus ist es nur ein Wimpernschlag bis zur Architektur-Fotografie eines Julius Shulman, die praktisch ohne Menschen auskommt. Seine Aufnahmen sind kunstlos geometrisch; die überkandidelten Neureichen-Villen in Malibu, Beverly Hills und Pacific Palisades sprechen für sich.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Body Performance"  – guter Querschnitt durch Tanz- + Theater-Fotografie im Museum für Fotografie, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Saul Leiter, David Lynch, Helmut Newton: Nudes"zeitgenössische Aktfotografie im Museum für Fotografie, Berlin

 

und hier einen Bericht über den Film "Helmut Newton – The Bad and the Beautiful" – Dokumentation über den Modefotografen von Gero von Boehm

 

und hier eine Kritik des Films "3 Tage in Quiberon" – Dokudrama über Romy Schneiders letztes Foto-Interview von Emily Atef

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Ein Leben für die Architektur" – Werkschau des Hollywood-Fotografen Julius Shulman im Architekturmuseum Schwaben, Augsburg

 

und hier einen Artikel über die Ausstellung "Am Set: Paris - Babelsberg - Hollywood" über Standfotografie seit der Stummfilm-Zeit im Museum für Film und Fernsehen, Berlin

 

Das letzte Drittel der Ausstellung ist eine einzige Demontage des Mythos Traumfabrik – und daher das schwächste. Schon die Aufnahmen, die Newtons Frau Alice Springs 1984 von Rockern, Punks, Skatern und Hiphoppern machte, hätten überall in der westlichen Welt entstehen können – solche Jugendkulturen kommen ohne Hollywood-Bezug aus. Philip-Lorca di Corcia porträtierte in den 1990er Jahren Stricher rund um den Santa Monica Boulevard; als besonders anschauliches Beispiel für allgegenwärtige Prostitution als Erwerbsquelle.

 

Selfies mit den Comicfiguren

 

Ihre Aufstiegswünsche begraben haben dagegen die Obdachlosen, die Fotografien von Jens Liebchen bevölkern: als einzige lebendige Wesen in Straßenschluchten aus fensterlosen Studiogebäuden. Seine Riesenformate denunzieren die ach so unwirtliche Stadtlandschaft – doch Gewerbegebiete in Castrop-Rauxel sähen kaum anders aus. Dass selbst legendäre Adressen zunächst nur Serien nichtssagender Fassaden sind, hat Konzeptkünstler Ed Ruscha bereits 1966 mit seinem epochalen Leporello „Every Building on the Sunset Strip“ vorgeführt.

 

Dass es auch unter Paradiesvögeln und Gescheiterten am Straßenrand quicklebendig zugeht, zeigen die Schnappschüsse von Michael Dressel: Er nimmt Freaks und Spinner ebenso auf wie mit Americana behängte Touristen oder in Comicfiguren-Kostümen posierende Modelle, mit denen man für ein paar Dollar ein Selfie knipsen kann – die letzte Schwundstufe von Hollywood-Glitzer. Noch prosaischer agiert nur die Pornofilm-Industrie, die Larry Sultan bei der Arbeit beobachtet hat. Hinten geht es zur Sache, von Kameras gleich Wespen umschwärmt, vorne dösen oder entspannen die Darsteller – banaler geht es kaum.

 

Augenpulver-Ausstoß geht weiter

 

Doch es wäre verfehlt, das als Schlusswort für eine Branche im unaufhaltsamen Niedergang zu begreifen. Denn sie dreht mehr als je zuvor – allerdings weniger fürs Kino als vielmehr für TV und Streaming-Dienste. Neben dieser low cost production entstehen weiterhin Blockbuster mit riesigen Budgets – allerdings weniger vor laufenden Kameras als vielmehr am Computer. Dreharbeiten mit Greenscreen-Technik mögen unsinnlich erscheinen, doch die Resultate lassen Milliarden Zuschauer von Superhelden schwärmen. Der Augenpulver-Ausstoß der Traumfabrik ist ungebrochen.