
Ein Klassiker kommt ins Rentenalter: Die Premiere von „Das süße Leben“ ist 62 Jahre her. Beim Wiedersehen der restaurierten Fassung zeigt Fellinis Meisterwerk schon in den ersten Einstellungen etwas, das es heute nicht mehr gibt: ganz großes Kino – kühne Fabulierkunst mit Welterklärungsanspruch, Weltstars und weitreichendem Einfluss auf die Pop-Kultur der kommenden Jahrzehnte.
Info
La Dolce Vita - Das süße Leben (WA)
Regie: Federico Fellini,
169 Min., Italien 1960;
mit: Marcello Mastroianni, Anita Ekberg, Anouk Aimèe
Weitere Informationen zum Film
Freudlos immer auf Achse
Mit dabei: Der Boulevard-Journalist Marcello Rubini (Marcello Mastroianni), dem der Film durch seine Tage und Nächte folgt. Marcello ist immer dort, wo etwas los ist, umringt von schönen Frauen und einer Phalanx von Fotografen auf der ständigen Jagd nach einem exklusiven Foto. Ohne rechte Freude an der Sache treibt er sich in Nachtclubs herum, auf Gesellschaften und Partys.
Offizieller Filmtrailer
Stern des Partydiktators sinkt
Er begleitet und umwirbt erfolglos einen US-Filmstar (Anita Ekberg), erhält Besuch von seinem Vater, macht einen Ausflug, um über eine inszenierte Marienerscheinung zu berichten, und trifft seinen alten Freund Steiner (Alain Cuny), einen feingeistigen Deutschen. Steiner ist der einzige, der einen Ausweg aus dem hedonistischen Hamsterrad aufzeigt, das Marcello zunehmend zermürbt.
Vielleicht sollte er dem ganzen Zirkus den Rücken kehren und seiner intellektuellen Berufung folgen? Doch nach dem Selbstmord des scheinbar so lebensklugen Freundes weitet sich Marcellos Melancholie zur existentiellen Krise aus. Nach einigen Wochen ist er zu einer Art Partydiktator mutiert, dessen Stern schon im Sinken ist. Dennoch bleibt er weiter in der Gesellschaft seiner falschen High-Society-Freunde, über die es an einer Stelle so schön heißt: „Wenn sie auch sonst nichts können, sie verstehen jedenfalls, das Leben zu genießen.“
Verspottetes erscheint begehrenswert
„Das süße Leben“ ist Fellinis Abrechnung mit dem Lotterleben der Reichen und Schönen, die 15 Jahre nach Kriegsende die Früchte von Kapitalismus und Amerikanisierung ernten. Es gehört zur Janusköpfigkeit des Films, dass er das, was er verhöhnen will, zugleich als besonders begehrenswert darstellt. Etliche Szenen wirken ebenso entlarvend wie affirmativ: schnittige Sportwagen, Anita Ekberg in der Fontana di Trevi, Cocktails zwischen Ruinen, Cha-Cha-Cha, Jazz und Rock’n’Roll zur mitreißenden Filmmusik von Nino Rota – all das ging in die Bildsprache der Upper-Class-Kultur ein.
Sogar die Berufsbezeichnung „Paparazzi“ für jene Promi-Fotoknipser ohne Skrupel, die Marcello ständig begleiten, stammt aus diesem Film. Um der ganzen Hipness die Krone aufzusetzen: Adriano Celentano, der Elvis Italiens, hat im Film einen seiner ersten Kino-Auftritte, ebenso wie Ex-Fotomodell Nico (alias Christa Päffgen), die ein paar Jahre später in New York eine zweite Karriere als Sängerin von „The Velvet Underground“ starten sollte.
Unsympathen mit starker Strahlkraft
All das hat den Umstand, dass „Das süße Leben“ kein liebevolles Porträt einer Generation, sondern ein Zerrbild einer dekadenten Klasse sein sollte, etwas verblassen lassen. Dass keine der Hauptfiguren sympathisch wirkt, schien ihre Strahlkraft nur zu verstärken. Speziell Marcello ist ein Windbeutel ohne Prinzipien oder Mumm – gerade klug genug, um sich mit mildem Entsetzen in seinem provinziellen Vater wiederzuerkennen.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Federico Fellini - Von der Zeichnung zum Film" - Retrospektive über Fellinis graphisches Werk im Museum Folkwang, Essen
und hier eine Besprechung des Films "La Grande Bellezza - Die große Schönheit" – herrliche Hommage an Fellinis "La Dolce Vita" von Paolo Sorrentino, prämiert mit dem Auslands-Oscar 2014
und hier einen Beitrag über den Film "Ewige Jugend" – wunderbare Tragikomödie übers Altern von Paolo Sorrentino.
Sich demütigen lassen, um mitzuspielen
Dabei stellen sich neben Höhepunkten auch gewisse Längen ein; zudem hat der Film nicht wenige bittere Momente. Misogynie, Homophobie, Rassismus, Orientalismus, Voyeurismus sind nur einige der Makel, die Fellini seinem großbürgerlichen Personal attestiert – es ist keine Freude, dabei zuzusehen. Vor allem die Frauen müssen sich immer wieder demütigen lassen, um mitspielen zu dürfen, etwa Marcellos depressive Verlobte (Yvonne Furneaux).
Auch die – neben Steiner – zweite Figur mit positivem Einfluss auf den abwärts taumelnden Klatschreporter, die jugendliche Kellnerin Paola, muss sich vom ihm erst zurechtweisen, dann onkelhaft anflirten lassen. Sie nimmt ihm das aber nicht krumm und versinnbildlicht unbekümmert Jugend und Unschuld, die Marcello nun für immer verloren gehen. Als sie sich am Ende am Strand wieder begegnen, ruft sie ihm etwas zu, was er nicht verstehen kann – das Meer rauscht zu laut in seinen Ohren. Dann trennen sich ihre Wege für immer.