Federico Fellini

La Dolce Vita – Das süße Leben (WA)

Marcello (Marcello Mastroianni) und die männermordende Maddalena (Anouk Aimée) fahren spazieren. Foto: © 2013 Universum Film GmbH
(Kinostart: 14.7.) Kaum ein Kinoklassiker fasziniert bis heute so sehr wie „La Dolce Vita“ von 1960 – obwohl oder gerade weil der Episoden-Reigen durch Roms High Society eigentlich ein Tanz in den Abgrund ist. Nun kommt der Geniestreich von Regisseur Federico Fellini restauriert wieder auf die Leinwand.

Ein Klassiker kommt ins Rentenalter: Die Premiere von „Das süße Leben“ ist 62 Jahre her. Beim Wiedersehen der restaurierten Fassung zeigt Fellinis Meisterwerk schon in den ersten Einstellungen etwas, das es heute nicht mehr gibt: ganz großes Kino – kühne Fabulierkunst mit Welterklärungsanspruch, Weltstars und weitreichendem Einfluss auf die Pop-Kultur der kommenden Jahrzehnte.

 

Info

 

La Dolce Vita - Das süße Leben (WA)

 

Regie: Federico Fellini,

169 Min., Italien 1960;

mit: Marcello Mastroianni, Anita Ekberg, Anouk Aimèe

 

Weitere Informationen zum Film

 

Dieser Film ist Fellinis Vision für das italienische Kino, das 1960 gerade den Niedergang vom Neo-Realismus zum Sandalenfilm durchmachte. Dagegen setzt der Regisseur seine Idee, die römischen Cinecittà-Studios in eine Traumfabrik zu verwandeln. Bereits der Anfang ist buchstäblich abgehoben: Ein Hubschrauber fliegt eine Christus-Statue in Richtung Petersdom. Er schwebt über Arbeiterviertel, Neubaugebiete, Baustellen und schließlich ein mondänes Penthouse.

 

Freudlos immer auf Achse

 

Mit dabei: Der Boulevard-Journalist Marcello Rubini (Marcello Mastroianni), dem der Film durch seine Tage und Nächte folgt. Marcello ist immer dort, wo etwas los ist, umringt von schönen Frauen und einer Phalanx von Fotografen auf der ständigen Jagd nach einem exklusiven Foto. Ohne rechte Freude an der Sache treibt er sich in Nachtclubs herum, auf Gesellschaften und Partys.

Offizieller Filmtrailer


 

Stern des Partydiktators sinkt

 

Er begleitet und umwirbt erfolglos einen US-Filmstar (Anita Ekberg), erhält Besuch von seinem Vater, macht einen Ausflug, um über eine inszenierte Marienerscheinung zu berichten, und trifft seinen alten Freund Steiner (Alain Cuny), einen feingeistigen Deutschen. Steiner ist der einzige, der einen Ausweg aus dem hedonistischen Hamsterrad aufzeigt, das Marcello zunehmend zermürbt.

 

Vielleicht sollte er dem ganzen Zirkus den Rücken kehren und seiner intellektuellen Berufung folgen? Doch nach dem Selbstmord des scheinbar so lebensklugen Freundes weitet sich Marcellos Melancholie zur existentiellen Krise aus. Nach einigen Wochen ist er zu einer Art Partydiktator mutiert, dessen Stern schon im Sinken ist. Dennoch bleibt er weiter in der Gesellschaft seiner falschen High-Society-Freunde, über die es an einer Stelle so schön heißt: „Wenn sie auch sonst nichts können, sie verstehen jedenfalls, das Leben zu genießen.“

 

Verspottetes erscheint begehrenswert

 

„Das süße Leben“ ist Fellinis Abrechnung mit dem Lotterleben der Reichen und Schönen, die 15 Jahre nach Kriegsende die Früchte von Kapitalismus und Amerikanisierung ernten. Es gehört zur Janusköpfigkeit des Films, dass er das, was er verhöhnen will, zugleich als besonders begehrenswert darstellt. Etliche Szenen wirken ebenso entlarvend wie affirmativ: schnittige Sportwagen, Anita Ekberg in der Fontana di Trevi, Cocktails zwischen Ruinen, Cha-Cha-Cha, Jazz und Rock’n’Roll zur mitreißenden Filmmusik von Nino Rota – all das ging in die Bildsprache der Upper-Class-Kultur ein.

 

Sogar die Berufsbezeichnung „Paparazzi“ für jene Promi-Fotoknipser ohne Skrupel, die Marcello ständig begleiten, stammt aus diesem Film. Um der ganzen Hipness die Krone aufzusetzen: Adriano Celentano, der Elvis Italiens, hat im Film einen seiner ersten Kino-Auftritte, ebenso wie Ex-Fotomodell Nico (alias Christa Päffgen), die ein paar Jahre später in New York eine zweite Karriere als Sängerin von „The Velvet Underground“ starten sollte.

 

Unsympathen mit starker Strahlkraft

 

All das hat den Umstand, dass „Das süße Leben“ kein liebevolles Porträt einer Generation, sondern ein Zerrbild einer dekadenten Klasse sein sollte, etwas verblassen lassen. Dass keine der Hauptfiguren sympathisch wirkt, schien ihre Strahlkraft nur zu verstärken. Speziell Marcello ist ein Windbeutel ohne Prinzipien oder Mumm – gerade klug genug, um sich mit mildem Entsetzen in seinem provinziellen Vater wiederzuerkennen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Federico Fellini - Von der Zeichnung zum Film" - Retrospektive über Fellinis graphisches Werk im Museum Folkwang, Essen

 

und hier eine Besprechung des Films "La Grande Bellezza - Die große Schönheit" – herrliche Hommage an Fellinis "La Dolce Vita" von Paolo Sorrentino, prämiert mit dem Auslands-Oscar 2014

 

und hier einen Beitrag über den Film "Ewige Jugend" – wunderbare Tragikomödie übers Altern von Paolo Sorrentino.

 

Doch seine Intelligenz lässt ihn zuverlässig im Stich, sobald eine Frau im Raum ist. Mit diesem Image wurde Mastroianni zum Megastar, Inbegriff eines womanizers und Alter Ego seines Regisseurs in dessen späteren Filmen wie „Achteinhalb“ (1963) und „Stadt der Frauen“ (1980). Ebenfalls etwas in Vergessenheit ist geraten, dass Anita Ekberg nach knapp einer Stunde und einer Ohrfeige aus dem Film verschwindet, die Handlung aber noch zwei Stunden ohne sie weiterläuft.

 

Sich demütigen lassen, um mitzuspielen

 

Dabei stellen sich neben Höhepunkten auch gewisse Längen ein; zudem hat der Film nicht wenige bittere Momente. Misogynie, Homophobie, Rassismus, Orientalismus, Voyeurismus sind nur einige der Makel, die Fellini seinem großbürgerlichen Personal attestiert – es ist keine Freude, dabei zuzusehen. Vor allem die Frauen müssen sich immer wieder demütigen lassen, um mitspielen zu dürfen, etwa Marcellos depressive Verlobte (Yvonne Furneaux).

 

Auch die – neben Steiner – zweite Figur mit positivem Einfluss auf den abwärts taumelnden Klatschreporter, die jugendliche Kellnerin Paola, muss sich vom ihm erst zurechtweisen, dann onkelhaft anflirten lassen. Sie nimmt ihm das aber nicht krumm und versinnbildlicht unbekümmert Jugend und Unschuld, die Marcello nun für immer verloren gehen. Als sie sich am Ende am Strand wieder begegnen, ruft sie ihm etwas zu, was er nicht verstehen kann – das Meer rauscht zu laut in seinen Ohren. Dann trennen sich ihre Wege für immer.