Joscha Bongard

Pornfluencer

Andreea alias Jamie Young und Nico alias Nico Nice bei der Arbeit. Foto: Salzgeber & Co. Medien GmbH
(Kinostart: 14.7.) Reich im Handumdrehen dank Heimpornos: Daran glaubt ein junges deutsches Paar auf Zypern. Ihr Treiben beobachtet Regisseur Joscha Bongard – er bietet kaum Einblicke in Geschäftspraktiken der Sexfilm-Branche, sondern das Psychogramm einer ungesunden Beziehung.

Du bist Influenza? Nein, Influencer! Was noch vor wenigen Jahren potenziell für Verwirrung sorgte, ist – vor allem für die mit dem Internet aufgewachsene Generation – zur Karriereoption geworden. Influencer leben auf Online-Plattformen wie YouTube, Instagram oder TikTok ein neues Berufsbild vor.

 

Info

 

Pornfluencer

 

Regie: Joscha Bongard,

74 Min., Deutschland 2022;

mit: Andreea, Nico

 

Weitere Informationen zum Film

 

Haben sie eine hohe Zahl an Followern, nutzen sie ihren Einfluss für Marketing, für das sie sich bezahlen lassen. Das lukrativste Internet-Geschäft ist jedoch nach wie vor Pornographie; es liegt also nahe, beides zusammen zu führen. Willkommen in der Welt der „Pornfluencer“ – so das Kofferwort von Regisseur Joscha Bongard für seine Recherche in der Welt der Amateur-Pornofilmer.

 

Schwankende Jahresumsatz-Schätzungen

 

Zwar sind zahllose solcher Filme heutzutage über so genannte Tube-Seiten wie etwa „YouPorn“ oder „MyDirtyHobby“ kostenlos abrufbar. Sie haben der herkömmlichen Pornoindustrie sehr geschadet; dennoch werden weiter viele kommerzielle Sexfilme produziert. Der Umfang der Branche ist schwer zu bestimmen. Schätzungen ihres Jahresumsatzes reichen von etwa 20 bis knapp 100 Milliarden US-Dollar weltweit. Laut Statistiken sollen ein Viertel aller Suchanfragen und rund 35 Prozent des Datenverkehrs pornografische Inhalte betreffen.

Offizieller Filmtrailer


 

60 Darstellerinnen, kaum soziale Kontakte

 

Was sich daraus machen lässt, will Regisseur Bongard am Beispiel von Andreea und Nico zeigen. Das junge Paar aus Deutschland hat die Schule beziehungsweise Ausbildung abgebrochen. Nun leben sie in einer gemieteten Villa auf Zypern; auf Instagram präsentieren sie sich als „Youngcouple9598“. Unter diesem Namen vermarkten beide auch ihren eigenen Internet-Auftritt.

 

Mal filmen sie sich als Paar, mal mit anderen Darstellerinnen; mehr als 60 listet ihre Website auf. Davon abgesehen haben die beiden auf Zypern kaum soziale Kontakte. Dass mediterraner Sonnenschein zum Flanieren unter Palmen einlädt, ist sicher ein guter Grund, dort zu leben. Dass die Insel eine Steueroase ist, ein noch besserer. Vor allem Nico hält sich für einen gewieften Geschäftsmann; seine Vorbilder heißen Elon Musk und Mark Zuckerberg.

 

Zum Auftakt 10.000 Euro verdient?

 

Um die „PorNO“-Initiative, die „Emma“-Chefredakteurin Alice Schwarzer 1987 startete, und ihre Kritiker in dieser Debatte geht es hier nicht. Als sein Langfilmdebüt wollte Bongard „eine sex-positive, einfühlsame und ehrliche Doku über verified couples drehen“; mit diesem Konzept wandte er sich an Jamie Young und Nico Nice, so ihre Online-Pseudonyme.

 

Das Konzept bei diesem Porno-Subgenre: „Echte“ Paare filmen sich beim Sex – das macht die Filme für manche Zuschauer besonders attraktiv, verspricht der Paar-Status doch Authentizität. Gleich im ersten Monat ihrer Erotik-Karriere wollen beide mit ein paar selbst gedrehten Videos 10.000 Euro eingenommen haben; im kommenden Jahr soll es eine Million werden. Solche Zahlen klingen recht hochtrabend, denn dafür müssten sie sehr viele Fans gewinnen: Der Zugang zu ihrer Video-Datenbank kostet pauschal 20 Euro.

 

Manipulativer Macker

 

Wenn Nico und Andreea aus dem Nähkästchen plaudern, kichern sie viel. Überhaupt wird oft gelacht – was zunächst den Eindruck erweckt, die beiden führten eine Beziehung auf Augenhöhe. Ihr Umgang scheint einander zugewandt, doch bald schon entpuppt Nico sich als ziemlich manipulativer Typ. Während er gönnerhaft Komplimente ausspricht, treibt Andreea die Angst um, sie könne etwas sagen oder tun, was ihm missfällt.

 

Richtig gruselig wird es, als Nico davon schwärmt, wie so genannte pick-up artists sein Leben positiv verändert haben. Die verdienen ihr Geld damit, andere Möchtegern-Alphamänner darin zu schulen, Frauen mithilfe von psychologischem Tricks auf schnellstem Weg ins Bett zu bekommen – und sich von einem „Nein“ nicht aufhalten zu lassen.

 

Als Jungfrau in Porno-Karriere

 

Andreea hatte vor Nico noch nie einen Sexpartner. Sie kuschelt gerne mit Katzenbabys; eigentlich wollte sie Erzieherin oder Schauspielerin werden. Dass Nico mehr Spaß am gemeinsamen Job hat, wird schnell offenkundig – ebenso der Umstand, dass ihr Geschäftsmodell vor allem durch die Zurschaustellung von Andreas Körper funktioniert.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Pleasure" – aufschlussreiches Dokudrama über die US-Porno-Branche von Ninja Thyberg

 

und hier das Interview "Sex-Athleten bei Kampfsportarten" mit Regisseurin Ninja Thyberg + Hauptdarstellerin Sofia Kappel über den Film "Pleasure"

 

und hier einen Beitrag über den Film "Bad Luck Banging or Loony Porn" – Sittendrama über Folgen eines Privatpornos in Rumänien von Radu Jude, prämiert mit Goldenem Bären 2021

 

und hier einen Bericht über den Film "Sexarbeiterin" – Doku-Porträt einer Erotik-Masseurin von Sobo Swobodnik.

 

Letztlich verrät der Film weniger über Business-Praktiken der heutigen Pornoindustrie; statt dessen wird er zum Psychogramm einer ungesunden Beziehung. Dabei landet Regisseur Bongard in archaisch patriachialischen Untiefen – was er nicht direkt thematisiert, sondern allenfalls mit aufdringlich dräuender Musik illustriert. Kommentare einer Kulturwissenschaftlerin oder gelegentlich eingeblendete Infografiken wirken wie pflichtschuldige Einschübe.

 

Selbstoptimierung sorgt für Komik

 

Wobei sie durchaus einer Vorstellung von den Machtverhältnissen in der Branche geben. So kassieren Pornoplattform-Anbieter wie der Marktführer „Mindgeek“ zwischen 75 und 90 Prozent dessen, was die Internet-User ausgeben; bei den Produzenten der Sexfilme landet der mickrige Rest.

 

Im Stil einer desktop documentary geschnitten, also wie aus Internet-Inhalten kompiliert, wirkt der Film bisweilen wie eine Satire auf neoliberale Selbstoptimierungs-Verheißungen, denen Nico und Andreea anhängen. Da darf man ihnen zusehen, wie sie vor dem Spiegel „positive Affirmation“ üben – also schamloses Selbstlob so lange wiederholen, bis sie es selbst glauben. Das sorgt für etwas Komik in diesem Film, der reich an deprimierenden Fremdschäm-Momenten ist. Ansonsten steckt in ihm wenig Erkenntnisgewinn.