Woody Allen

Rifkin’s Festival

Ankunft auf dem roten Teppich in San Sebatian: Mort Rifkin (Wallace Shawn) mit seiner Frau Sue (Gina Gershon). Foto: © 2020 The Media Pro Studio, Gravier Production, Inc, and Wildside S. L. R.
(Kinostart: 7.7.) San Sebastian sehen und zugrunde gehen: Auf dem spanischen Filmfestival zerfällt das Leben eines alternden Cineasten, dessen Frau eine Affäre hat. Kaum verhohlenes Selbstporträt von Regisseur Woody Allen, der es mit liebevoll inszenierten Filmklassiker-Reminiszenzen schmückt.

Das Filmemachen bereite ihm nicht mehr so viel Spaß wie früher, ließ Woody Allen unlängst in einem Interview wissen. Was Wunder: Seit einem halben Jahrhundert dreht er jedes Jahr einen neuen, mehr oder weniger komödiantischen Film. Manche davon wurden Klassiker wie „Manhattan“ (1979), „Hannah und ihre Schwestern“ (1985) und „Match Point“ (2005) oder hübsche kleine Spielereien mit Freunden wie „Whatever Works – Liebe sich wer kann“ (2009).

 

Info

 

Rifkin's Festival

 

Regie: Woody Allen,

92 Min., Spanien/ USA/ Italien 2020;

mit: Wallace Shawn, Gina Gershon, Louis Garrel

 

Weitere Informationen zum Film

 

Dass ihm der Spaß abhanden gekommen ist, liegt nicht nur an seinem Alter von 86 Jahren. Ein Rechtsstreit mit dem Streamingdienst von Amazon nach Missbrauchs-Vorwürfen dürfte eine Rolle spielen – ebenso pandemiebedingte Einschränkungen, die seinen Produktionsrhythmus störten. Wegen der Vorwürfe stehen Schauspieler auch nicht mehr wie früher Schlange, um einmal durchs Bild zu laufen.

 

Festival-Zirkus im Vor-Pandemie-Zustand

 

So erstaunt es nicht, dass Allens letzter Film „Rifkin’s Festival“, der bereits 2020 fertig gestellt wurde, nicht das gewohnte Starensemble aufbietet, sondern altbewährte Mitstreiter und Darsteller, die wirklich mit ihm arbeiten wollen. Dass dieser Film mit zwei Jahren Verspätung in die hiesigen Kinos kommt, ist inhaltlich stimmig: Er zeigt den Filmfestival-Zirkus im Vor-Pandemie-Zustand, in den er in diesem Jahr mühsam zurückzukehren versucht.

Offizieller Filmtrailer


 

Früher war alles besser

 

Als Schauplatz hat Allen San Sebastian ausgesucht, wo alljährlich Spaniens prestigeträchtigstes Festival stattfindet. Die baskische Hafenstadt kann mit ebenso schönen Kulissen und sonnensattem mediterranem Licht wie in Cannes aufwarten. Dafür hat aber seine Hauptfigur Mort Rifkin (Wallace Shawn), Filmdozent und dilettierender Romancier, kaum Augen. Unwillig begleitet der angejahrte Misanthrop seine schöne Frau Sue (Gina Gerschon), eine New Yorker Filmpresseagentin, zum Festival.

 

Er vermutet, dass sie an ihrem neuen Klienten zuviel Gefallen findet; einem jungen französischen Autorenfilmer namens Philippe (Louis Garrell, herrlich selbstironisch) mit Riesenego. Für dessen Filme hat Mort ebenso wenig übrig wie für alle aktuellen Filme, was er bei jeder Gelegenheit kundtut. Er bewundert die französischen Nouvelle-Vague-Regisseure der 1960er Jahre, dazu Autorenfilm-Giganten wie Federico Fellini, Ingmar Bergman und Akira Kurosawa.

 

Straßen werden Lieblingsfilm-Szenen

 

Kurzum: Mort hängt wehmütig den vermeintlich guten alten Zeiten nach; bereits seit Jahren versucht er erfolglos, ein großes Meisterwerk über den Sinn des Lebens zu verfassen. Von der Auszeit in San Sebastian verspricht er sich auch neue Inspiration.

 

Stattdessen überkommt den schmächtigen Hypochonder plötzliches Unwohlsein. Dadurch lernt er die Kardiologin Joana (Elena Ayana) kennen, während seine Frau sich um den prätentiösen Philippe kümmert. Auf sich allein gestellt, schlurft Mort ziellos durch die pittoresken Straßen der Stadt, die sich unversehens in schwarzweiße Szenen seiner Lieblingsfilme verwandeln – er erlebt sein eigenes Festival mit ihm als Hauptdarsteller mittendrin.

 

Hommagen an Altmeister wie Allen

 

Diese liebevoll in die Handlung eingewobenen Reminiszenzen sind Hommagen an die Altmeister des Kinos, zu denen Allen inzwischen selbst zählt. Sie tragen unverkennbar seine Handschrift, wenn etwa eine echte Filmszene aus „Außer Atem“ (1960) von Jean-Luc Godard zu einem Streit zwischen Sue und Mort oder die Eingangssequenz aus „Citizen Kane“ (1941) von Orson Welles zu einer Erinnerung an Morts Kindheit wird.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "A Rainy Day in New York" – Komödie von Woody Allen mit Elle Fanning

 

und hier eine Besprechung des Films "Wonder Wheel" – Tragikomödie im New Yorker Vergnügungspark Coney Island von Woody Allen

 

und hier einen Bericht über den Film "Intrige (J'accuse)" – brillanter Historien-Thriller über die Dreyfus-Affäre in Frankreich von Roman Polanski mit Louis Garrel

 

und hier eine Kritik des Films "Café Society" – romantische Komödie über Hollywood + Jazz-Clubs der 1930er Jahre von Woody Allen

 

und hier einen Beitrag über den Film "Magic in the Moonlight" – 1920er-Jahre-Komödie von Woody Allen mit Colin Firth + Emma Stone.

 

Die Filmklassiker-Halluzinationen kulminieren in einer Begegnung mit dem personifizierten Tod wie aus Bergmans „Das Siebente Siegel“ (1957), bei der Christoph Waltz einen unterhaltsamen Gastauftritt hat. Diese unvermittelt auftauchenden Sequenzen machen den Darstellern sichtlich großen Spaß; dabei wird auch manche Festivalabsurdität schön ausgespielt – etwa eine Party, bei der sich Philippe als Bongospieler produziert.

 

Hauptfigur als Alter Ego

 

Der ansonsten wenig spektakuläre Festivalalltag zwischen Arbeits-Essen und Filmvorführungen tritt eher in den Hintergrund, um Raum für Morts neurotische Anfälle und konstante Nörgelei zu geben – als mondäne Kulisse für die nostalgische und etwas trübselige Lebensbilanz eines ergrauten Herrn.

 

Wie in allen Filmen von Woody Allen ist die Hauptfigur sein Alter Ego zu verstehen und nicht zufällig mit Wallace Shawn besetzt. Er drehte schon mehrfach mit Allen und hat entfernte Ähnlichkeit mit ihm. Dass der Regisseur diesmal wenig Elan beim Dreh verspürte, merkt man durchaus; die Handlung ist wenig konsistent und entfaltet ihren Charme vor allem in den Schwarzweiß-Filmsequenzen.

 

See you in Paris!

 

Derweil bricht Morts ohnehin fragiles Leben endgültig auseinander; auch seine Flirtversuche bei der Kardiologin bleiben erfolglos. So hat Morts Geschichte folgerichtig kein Happy End, wie die von ihm verehrten Kino-Klassiker. Mal sehen, ob sich Allen im nächsten Film dazu durchringt, der in Paris entstehen soll.