Das Filmemachen bereite ihm nicht mehr so viel Spaß wie früher, ließ Woody Allen unlängst in einem Interview wissen. Was Wunder: Seit einem halben Jahrhundert dreht er jedes Jahr einen neuen, mehr oder weniger komödiantischen Film. Manche davon wurden Klassiker wie „Manhattan“ (1979), „Hannah und ihre Schwestern“ (1985) und „Match Point“ (2005) oder hübsche kleine Spielereien mit Freunden wie „Whatever Works – Liebe sich wer kann“ (2009).
Info
Rifkin's Festival
Regie: Woody Allen,
92 Min., Spanien/ USA/ Italien 2020;
mit: Wallace Shawn, Gina Gershon, Louis Garrel
Weitere Informationen zum Film
Festival-Zirkus im Vor-Pandemie-Zustand
So erstaunt es nicht, dass Allens letzter Film „Rifkin’s Festival“, der bereits 2020 fertig gestellt wurde, nicht das gewohnte Starensemble aufbietet, sondern altbewährte Mitstreiter und Darsteller, die wirklich mit ihm arbeiten wollen. Dass dieser Film mit zwei Jahren Verspätung in die hiesigen Kinos kommt, ist inhaltlich stimmig: Er zeigt den Filmfestival-Zirkus im Vor-Pandemie-Zustand, in den er in diesem Jahr mühsam zurückzukehren versucht.
Offizieller Filmtrailer
Früher war alles besser
Als Schauplatz hat Allen San Sebastian ausgesucht, wo alljährlich Spaniens prestigeträchtigstes Festival stattfindet. Die baskische Hafenstadt kann mit ebenso schönen Kulissen und sonnensattem mediterranem Licht wie in Cannes aufwarten. Dafür hat aber seine Hauptfigur Mort Rifkin (Wallace Shawn), Filmdozent und dilettierender Romancier, kaum Augen. Unwillig begleitet der angejahrte Misanthrop seine schöne Frau Sue (Gina Gerschon), eine New Yorker Filmpresseagentin, zum Festival.
Er vermutet, dass sie an ihrem neuen Klienten zuviel Gefallen findet; einem jungen französischen Autorenfilmer namens Philippe (Louis Garrell, herrlich selbstironisch) mit Riesenego. Für dessen Filme hat Mort ebenso wenig übrig wie für alle aktuellen Filme, was er bei jeder Gelegenheit kundtut. Er bewundert die französischen Nouvelle-Vague-Regisseure der 1960er Jahre, dazu Autorenfilm-Giganten wie Federico Fellini, Ingmar Bergman und Akira Kurosawa.
Straßen werden Lieblingsfilm-Szenen
Kurzum: Mort hängt wehmütig den vermeintlich guten alten Zeiten nach; bereits seit Jahren versucht er erfolglos, ein großes Meisterwerk über den Sinn des Lebens zu verfassen. Von der Auszeit in San Sebastian verspricht er sich auch neue Inspiration.
Stattdessen überkommt den schmächtigen Hypochonder plötzliches Unwohlsein. Dadurch lernt er die Kardiologin Joana (Elena Ayana) kennen, während seine Frau sich um den prätentiösen Philippe kümmert. Auf sich allein gestellt, schlurft Mort ziellos durch die pittoresken Straßen der Stadt, die sich unversehens in schwarzweiße Szenen seiner Lieblingsfilme verwandeln – er erlebt sein eigenes Festival mit ihm als Hauptdarsteller mittendrin.
Hommagen an Altmeister wie Allen
Diese liebevoll in die Handlung eingewobenen Reminiszenzen sind Hommagen an die Altmeister des Kinos, zu denen Allen inzwischen selbst zählt. Sie tragen unverkennbar seine Handschrift, wenn etwa eine echte Filmszene aus „Außer Atem“ (1960) von Jean-Luc Godard zu einem Streit zwischen Sue und Mort oder die Eingangssequenz aus „Citizen Kane“ (1941) von Orson Welles zu einer Erinnerung an Morts Kindheit wird.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "A Rainy Day in New York" – Komödie von Woody Allen mit Elle Fanning
und hier eine Besprechung des Films "Wonder Wheel" – Tragikomödie im New Yorker Vergnügungspark Coney Island von Woody Allen
und hier einen Bericht über den Film "Intrige (J'accuse)" – brillanter Historien-Thriller über die Dreyfus-Affäre in Frankreich von Roman Polanski mit Louis Garrel
und hier eine Kritik des Films "Café Society" – romantische Komödie über Hollywood + Jazz-Clubs der 1930er Jahre von Woody Allen
und hier einen Beitrag über den Film "Magic in the Moonlight" – 1920er-Jahre-Komödie von Woody Allen mit Colin Firth + Emma Stone.
Hauptfigur als Alter Ego
Der ansonsten wenig spektakuläre Festivalalltag zwischen Arbeits-Essen und Filmvorführungen tritt eher in den Hintergrund, um Raum für Morts neurotische Anfälle und konstante Nörgelei zu geben – als mondäne Kulisse für die nostalgische und etwas trübselige Lebensbilanz eines ergrauten Herrn.
Wie in allen Filmen von Woody Allen ist die Hauptfigur sein Alter Ego zu verstehen und nicht zufällig mit Wallace Shawn besetzt. Er drehte schon mehrfach mit Allen und hat entfernte Ähnlichkeit mit ihm. Dass der Regisseur diesmal wenig Elan beim Dreh verspürte, merkt man durchaus; die Handlung ist wenig konsistent und entfaltet ihren Charme vor allem in den Schwarzweiß-Filmsequenzen.
See you in Paris!
Derweil bricht Morts ohnehin fragiles Leben endgültig auseinander; auch seine Flirtversuche bei der Kardiologin bleiben erfolglos. So hat Morts Geschichte folgerichtig kein Happy End, wie die von ihm verehrten Kino-Klassiker. Mal sehen, ob sich Allen im nächsten Film dazu durchringt, der in Paris entstehen soll.