
Bei Epochen-Ausstellungen zur Kunst der Zwischenkriegszeit werden meist auch ein oder zwei Hauptwerke von Christian Schad (1894-1982) gezeigt. Seine distanziert präzisen Porträts mondäner Gestalten gelten als Musterbeispiele für Neue Sachlichkeit in der Malerei. Doch sie bilden nur einen kleinen Ausschnitt seines vielgestaltigen Werks – komplett ist es nun im Schad gewidmeten Museum zu entdecken, das nach sieben Jahren Bauzeit in Aschaffenburg eröffnet worden ist.
Info
Christian Schad Museum – Neueröffnung
ab 03.06.2022
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr,
donnerstags bis 21 Uhr
im Christian Schad Museum, Pfaffengasse 26, Aschaffenburg
Kurzführer 9,90 €
Nachlass mit rund 3200 Werken
Nun würdigt Aschaffenburg Schad so aufwändig, wie es seine anderen Wohnorte wohl kaum getan hätten; so wird ihm posthum die Anerkennung zuteil, die er zu Lebzeiten oft vermisste. Das dreistöckige Museum im einstigen Jesuitenkolleg – die benachbarte Kirche wird als Kunsthalle genutzt – schöpft aus dem Vollen: Schads Nachlass, den seine Witwe im Jahr 2000 der Stadt schenkte, wurde in eine Stiftung überführt. Sie umfasst mehr als 3200 Arbeiten aus allen Schaffensperioden; ein üppiger Grundstock für allerlei Themen-Schauen.
Feature über das Christian Schad Museum; © Alludra Tarazed
Weder Abitur noch Studienabschluss
Die neue Dauerausstellung ist auf drei Etagen aufgeteilt. Nach einer Einführung in Schads Biographie konzentriert sich das Erdgeschoss auf seine Verbindung mit Aschaffenburg: Neben Porträts war es der öffentliche Auftrag, das Altarbild der „Stuppacher Madonna“ von Matthias Grünwald zu kopieren, der ihn ab 1943 an die Stadt band. Die erste Etage behandelt seine unsteten Lehr- und Wanderjahre bis etwa 1930; im zweiten Stock sind Arbeiten aus der NS- und der Nachkriegszeit bis in die 1970er Jahre zu sehen.
Als Sohn aus vermögendem Hause konnte Christian Schad seinen künstlerischen Neigungen unbeschwert folgen: Sein Vater finanzierte ihm lange einen gehobenen Lebensstil, obwohl Schad wenige Bilder verkaufte. Er brach das Gymnasium ebenso ab wie ein Akademie-Studium; dem Militärdienst im Ersten Weltkrieg entzog er sich durch gefälschte Atteste. Im Züricher Exil war Schad eng mit dem Schriftsteller Walter Serner befreundet, dessen Publikationen er illustrierte; beide spielten eine führende Rolle im Dada-Zirkel des Cabaret Voltaire.
Tragische Ehe + Selbstmord der Gattin
Vor und nach Kriegsende versuchte sich Schad an Kubismus, Expressionismus und Fotografie. Mit seinen „Schadografien“ – abstrakte Direktbelichtungen von Fotopapier ohne Kamera – wurde er Experimental-Pionier. Einzelne Exemplare, die 1936 vom New Yorker Museum of Modern Art in einer Schau über Dada und Surrealismus ausgestellt wurden, sorgten dafür, dass sein Name auch in der US-Kunstwelt gewisse Bekanntheit erlangte.
1923 heiratete Schad die römische Großbürgertochter Marcella Arcangeli. Ihre Ehe verlief stürmisch und endete tragisch: Nach der Trennung 1927 landete Marcella in der Psychiatrie und beging vier Jahre darauf Selbstmord. Um den gemeinsamen Sohn Nikolaus kümmerte sich sein Vater selten; er wuchs bei seiner Schwester und den Großeltern auf.
Misserfolg trotz Sendungsbewusstsein
Derweil bemühte sich Schad in Rom um Zugang zu Papst Pius XI.: Er wollte sein Bildnis malen, um mit Reproduktionen viel Geld zu verdienen. Mithilfe eines Paters bekam er die Erlaubnis und fertigte Zeichnungen bei Petersdom-Messen an – doch der erhoffte Geschäftserfolg blieb aus. Ähnlich erging es Schad an seiner nächsten Station Wien, wo er sich eine repräsentative Atelier-Wohnung direkt in der Innenstadt am Graben einrichten ließ.
Dort fand er zum neusachlichen Malstil, für den er später berühmt werden sollte: Frontal-Porträts mit glatten Oberflächen in altmeisterlicher Lasurtechnik, die Makel der Dargestellten nicht kaschieren, sowie Gruppenbilder mit Halbakten voller unterkühlter Erotik. Was heute in bedeutenden Museen hängt, fand damals im konservativen Wien wenig Anklang. Dazu mag auch Schads sehr selbstbewusstes Auftreten beigetragen haben. „Noch heute weiß niemand, warum ich ein guter Maler bin. Ich hoffe aber, dass bald viele wissen werden, dass ich es bin“, schrieb er 1926 für den Katalog einer Galerieausstellung.
Kitsch-Produzent in der NS-Zeit
In Berlin hatte man für Schads frostige Sinnlichkeit mehr übrig. So lieferte er etwa Illustrationen für Curt Morecks „Führer durch das lasterhafte Berlin“ (1931) oder das „Bilder-Lexikon der Erotik“ (1928/31). Derart freizügigen Sujets machten die Nazis ein Ende – und Schad diente sich rasch den neuen Herren an: Am 1. Mai 1933 trat er in die NSDAP ein. Aus einer erhofften Parteikarriere oder zumindest Protektion wurde aber nichts. Stattdessen nahm er 1935 einen Posten als Geschäftsführer einer Brauereiniederlassung an, den sein Vater ihm verschafft hatte, um finanziell endlich auf eigenen Füßen zu stehen.
Gleichzeitig änderte sich Schads Malerei merklich: Fortan verwendete er Pastellfarben für Kulleraugen und rote Apfelbäckchen. Solcherart verniedlichte Frauengesichter ließen sich gut als Umschlagmotive an Illustrierte verkaufen. Sein größter Erfolg war ein süßliches Kleinkind-Antlitz, so niedlich wie ein Zwieback-Baby: Davon wurden 27.000 Bildpostkarten verkauft. Nur der Kriegsverlauf hinderte Schad daran, als reiner Kitsch-Lieferant zu enden.
Esoterischer Magischer Realismus
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Neueröffnung des "Kleinen Grosz Museum" mit Dada- und neusachlichen Werken von George Grosz in Berlin
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Jeanne Mammen: Die Beobachterin - Retrospektive 1910-1975" - über die Grande Dame der Neuen Sachlichkeit in der Berlinischen Galerie, Berlin
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Unheimlich real: Italienische Malerei der 1920er Jahre" – erste deutsche Schau über den Magischen Realismus in Italien im Museum Folkwang, Essen
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Wien – Berlin: Kunst zweier Metropolen von Schiele bis Grosz" - mit etlichen Werken der Neuen Sachlichkeit in Berlin + Wien.
So ist ein 1954 entstandenes Komposit-Porträt des Dichters Clemens Brentano, der 1842 in Aschaffenburg verstorben war, mit allerlei esoterischen Elementen und Symbolen übersät. Zudem malte Schad auf Resopalplatten Vexierbilder von Figuren, deren Sinn sich nur Eingeweihten erschließt. In den 1960/70er Jahren erweiterte er das zu seiner Spielart des Magischen Realismus: „Im Irisgarten“ (1968/69) wird ein nacktes Mädchen dutzendfach in einem Spiegelkabinett reflektiert. Eine schwarze „Lilith“ (1976) tanzt im Baströckchen zwischen Mann und Frau im Profil, die gefasst bis versteinert dreinblicken.
Hauptwerke auf Touchscreens
Öffentliche Wertschätzung dafür kam zuerst aus Italien, wo Magischer Realismus seit den 1920er Jahren populär war. Eine Retrospektive in Berlin erhob 1980 Schads Frühwerk in den Kanon der Klassischen Moderne. Dem Umstand, dass seine Hauptwerke der Neuen Sachlichkeit andernorts hängen, begegnet das Aschaffenburger Museum geschickt: mit Touchscreens, auf denen man sie nahezu in Originalgröße aufrufen und betrachten kann. Endlich einmal eine sinnvolle Verwendung von Digitaltechnik in einer Kunstausstellung!