Berlin

No Master Territories: Feminist Worldmaking and the Moving Image

Robin Laurie & Margot Nash: We Aim to Please (1976), Filmstill, Copyright Robin Laurie & Margot Nash. Fotoquelle: Haus der Kulturen der Welt (HKW) 2022
Emanzipation frauenbewegter Bilder: Das Haus der Kulturen der Welt stellt feministische Filmemacherinnen mit Werken aus den 1970er bis 1990er Jahren vor. Beim Rückblick fällt auf: Trotz ähnlicher Themen waren die Pionierinnen origineller und experimentierfreudiger als ihre Nachfolgerinnen.

Rückblick auf eine verflossene Epoche: Die meisten der rund 50 Filme, die in der Ausstellung vorgestellt werden, plus etwa 35 im Kino-Begleitprogramm, sind zwischen 30 und 50 Jahre alt. Doch sie wirken wie verstaubte Ausgrabungen: Viele sind grobkörnig oder kontrastarm, ausgeblichen oder rotstichig. So schlecht altern also Super-Acht- und Video-Filme. Ob das mittelfristig auch für heutige Hochglanz-Digitalbilder gelten wird?

 

Info

 

No Master Territories: Feminist Worldmaking and the Moving Image

 

19.06.2022 - 28.08.2022

täglich außer dienstags 12 bis 20 Uhr

im Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, Berlin

 

Katalog 34 €, Begleitheft gratis

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Dabei sind fast alle behandelten Themen unvermindert aktuell. Sie passen in das vierteilige Programmschema für das „1. Frauenfilm-Seminar“, das Claudia von Alemann und Heike Sander 1973 in Westberlin organisierten: Arbeit, Repräsentation in den Medien, Sexualität und Geschlechterrollen sowie die Frauenrechtsbewegung. Nichts davon hat sich erledigt; selbst das gesichert geglaubte Recht auf Abtreibung wird mancherorts wieder bestritten. Oder Rechte stehen nur auf dem Papier: Hunderte Millionen Frauen weltweit haben keinen Zugang zu Verhütungsmitteln.

 

Unterdrückung vs. Luxusprobleme

 

Geändert hat sich dagegen der gesellschaftliche Umgang damit, je nach kulturellem Kontext. Ein großer Vorzug dieser Retrospektive ist ihr weiter Horizont: Gezeigt werden nicht nur Filme aus den geläufigen feministischen Hochburgen, sondern auch aus Regionen, deren Geschlechterverhältnisse hierzulande wenig bekannt sind: etwa aus Algerien, Senegal, Indien, Mexiko, Peru, Chile, Iran, China, Korea und Japan, aber auch der First Nations in Kanada und der Aborigines in Australien. Im Vergleich zur Benachteiligung und Unterdrückung dortiger Frauen erscheinen etliche hiesige Diskriminierungs-Debatten als Luxusprobleme.

Impressionen der Ausstellung


 

Bei Heirat klicken die Handschellen

 

Dagegen beeindruckt, wie erfinderisch feministische Filmpionierinnen weltweit waren. K(l)eine Budgets und technische Unzulänglichkeiten machten sie mit originellen Einfällen wett. Ob Reihen-Interviews, Selbstbeobachtung, Direct Cinema, Langzeit-Dokus, Animationen, Essay-Filme bis hin zu wilden Collagen und Experimenten: Fast jede nichtfiktionale Form zwischen wenigen Minuten und mehreren Stunden wurde von den Filmemacherinnen ausprobiert, um Emanzipations-Anliegen in Bilder zu fassen.

 

Wie das alle Zeiten und Völker umgreifende Phänomen häuslichen Paschatums. Schon in einem sowjetischen Zeichentrickfilm von 1928 schreit der schreckliche Vavila, wo seine Kohlsuppe bleibt, wenn am Internationalen Frauentag Tantchen Arina mal nicht am Herd steht. Heiraten stellt die Polin Helena Admiradżibi 1967 sarkastisch als Verhaftung dar: Sobald vor dem Altar die Braut „Ja“ sagt, klicken die Handschellen – der Bräutigam steckt die Schlüssel ein und drückt ihr einen Besen in die Hand.

 

Film ist aus Abwasch geboren

 

Für Zwangsarbeit rund um die Uhr, wie ihre Landsmännin Krystyna Gryczełwoska in „Die 24 Stunden der Jadwiga L.“ dokumentiert: Nachts malocht Jadwiga in einer Drahtfabrik, tagsüber kümmert sie sich um Kind und Küche. Was mancher Gatte seiner Frau dankt, indem er sie nach einigen Jahren Ehe für eine jüngere verlässt, wie in Interviews zur Sprache kommt.

 

Die Doppelbelastung durch Job und Haushalt war im Sozialismus stärker als im Westen, dort hingegen das Schönheitsdiktat übermächtiger. Das zeigt einer der originellsten Beiträge: In „Schmeeguntz“ reihen Gunvor Nelson und Dorothy Wiley 1965 makellose Gesichter aus TV und Werbung zum nervtötenden Bildergewitter aneinander – das durch subliminale Szenen von Erbrechen, Tamponwechsel und Schleim im Küchenspülen-Abfluss unterbrochen wird. „Der Film ist aus dem Abwasch geboren“, erklärte Nelson zum krassen Kontrast zwischen Sollen und Sein.

 

Schaf als Schönheitskönigin

 

Er wurde besonders augenfällig bei den damals allgegenwärtigen Miss-Wahlen. Darüber mokierten sich US-Frauen 1968, indem sie ein Schaf zur Schönheitskönigin kürten. Am wortmächtigsten protestierte 1982 eine Sprecherin von peruanischen Bäuerinnen gegen Shows, die Frauen zu „Juwelen“ degradieren. Nicht ohne Erfolg: Die Beliebtheit solcher Wettbewerbe ist stark gesunken – wer wüsste die amtierende Miss World zu nennen?

 

Wobei weibliche Körper systemübergreifend zum Objekt gemacht und instrumentalisiert wurden. Heike Misselwitz zitiert in ihrem Porträt der ostdeutschen Fotografin Gundula Schulze-Eldowy das DDR-Standardwerk zu „Aktfotografie“: Das Modell solle sich nach hinten beugen, damit störende Fettpolster an den Hüften verschwänden. Um solche Beauty-Tipps scherten sich feministische Filmemacherinnen nicht. Ihre Einstellungen sind meist betont naturalistisch; sie verweigern jede artifizielle Ästhetik.

 

38 Vulven von Drei- bis 63-Jähriger

 

Hunger nach ungeschminkten Körper-Bildern machten „Near the Big Chakra“ 1971 zum Underground-Hit: Dafür hatte Alice Anne Parker einfach 38 Vulven in Großaufnahmen abgelichtet, von einer Drei- bis zur 63-Jährigen. Diese Leinwand-Version von Gustave Courbets „L’Origine du Monde“ war offenbar so populär, dass die Organisatorin eines „Women’s Lib Congress“ 1972 in Amsterdam per Rundbrief nach einer Kopie des „cunt-film“ fahndete, um ihn den Teilnehmerinnen vorzuführen.

 

Mit Punks in Amsterdam und Berlin drehte Angelika Levi 15 Jahre später einen lesbischen „Sex Party“-Film; er fällt so rührend dilettantisch aus, als hätten alle Beteiligten nie zuvor eine Kamera in den Händen gehabt. Dabei hatte die Szene keine Berührungsängste vor nackten Tatsachen: Die Australierinnen Robin Laurie und Margot Nash schrieben sich 1976 Botschaften auf die Leiber. Claudia Schillinger bebilderte 1989 Masturbations-Fantasien mit drastischen Details. Bereits 1969 hatte die bekannte indische Künstlerin Nalini Malani vier Minuten lang eine Freundin beim Onanieren gefilmt – sie blieb allerdings bekleidet.

 

Claims waren noch nicht abgesteckt

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension die Ausstellung "Starke Stücke - Feminismen und Geographien" – facettenreiche Themen-Schau in der Stadtgalerie Saarbrücken

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Feministische Avantgarde der 1970er Jahre aus der Sammlung VERBUND, Wien" – hervorragender Epochen-Überblick im ZKM, Karlsruhe

 

und hier einen Bericht über den Film "Die Misswahl – Der Beginn einer Revolution" über Proteste gegen die Miss-World-Wahlen 1970 von Philippa Lowthorpe

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Gundula Schulze Endowy: Fotografien 1977 - 1990" – Werkschau der feministischen DDR-Fotografin in der Galerie C/O Berlin + dem Kunst-Raum des Bundestags.

 

Auch Sexarbeit bleibt nicht ausgeklammert. In „Prowling by Night“ (1990) lässt die kanadische Prostituierte Gwendolyn zu fantasievollen Stopptrick-Szenen ihre Kolleginnen berichten, wie sie von Polizisten gedemütigt werden. Drei Jahre zuvor hatte die ebenfalls etablierte australische Künstlerin Tracey Moffat eine Art Dokudrama gedreht, wie „Nice Coloured Girls“ mit weißen Männern die Nächte durchmachen und ihnen dabei Geld aus der Tasche ziehen – sehr zum Unwillen älterer Aboriginal-Frauen.

 

Beim Rundgang von Video-Station zu -Station, gesäumt von etlichen Fotoserien, gewinnt man den Eindruck: Die erste Generation feministischer Filmemacherinnen ging mit vielem noch unbefangener und spielerischer um. Claims waren noch nicht abgesteckt, Diskurse noch nicht durchdekliniert – etwa im Dauerstreit von Sexpositivistinnen gegen Porno-Feindinnen wie Alice Schwarzer.

 

Selbstvermarktung statt -befreiung

 

Zudem einte alle Akteurinnen neben Engagement für konkrete Verbesserungen auch ihre Hoffnungen auf eine bessere Welt nach dem Ende des Patriarchats. Daran knüpfen die Kuratorinnen Erika Balsom und Hila Peleg mit dem Titel der Schau an: „Eine Welt ohne master territories würde ein Ende von Herrschaft jeglicher Form bedeuten, nicht nur der genderspezifischen.“ Unzeitgemäßer könnte diese Utopie kaum sein.

 

Heutigen Lifestyle-Feministinnen wie Sophie Passmann, Margarete Stokowski oder Hengameh Yaghoobifarah geht es nicht um Selbstbefreiung, sondern -vermarktung. Und sei es, wie bei Yaghoobifarah, als Blow-Up-Poster am KaDeWe. Dafür unterwerfen sich Frauen – Diversität hin, Body Positivity her – weiterhin freiwillig der Kosmetikindustrie: langes Haar, falsche Wimpern und Botox-Lippen für mehr Sozialprestige und höhere Einkommen.