Olivia Newman

Der Gesang der Flusskrebse

Kya Clark (Daisy Edgar-Jones) interessiert sich sehr für die Natur. Foto © 2021 Sony Pictures Deutschland GmbH
(Kinostart: 18.8.) Erst Robinsonade, dann Mordverdacht: Dagegen wehrt sich ein Mädchen, das isoliert im Sumpf lebt. Die Verfilmung des Weltbestsellers von Delia Owens ertränkt Regisseurin Olivia Newman im Kitsch – trotz malerischer Naturaufnahmen und überzeugend agierender Hauptdarsteller.

Eine Sumpflandschaft an der Küste des US-Bundesstaats North Carolina: weit und breit nur Gewässer, Inseln, Bäume, Schilf und typisch sommerliche Klänge. Das Wasser plätschert, Zikaden zirpen, ab und zu krächzen Vögel. Dann dröhnt ein heran nahender Bootsmotor, gefolgt vom Brüllen einiger Polizisten. Sie suchen eine Mordverdächtige. Regisseurin Olivia Newman lässt ihren Film mit einem bekannten Motiv beginnen: In die Idylle bricht eine Bedrohung von außen ein.

 

Info

 

Der Gesang der Flusskrebse 

 

Regie: Olivia Newman,

125 Min., USA 2022;

mit: Daisy Edgar-Jones, Taylor John Smith, Harris Dickinson

 

Website zum Film

 

Leider wird dieses Motiv fortan ausgequetscht wie eine Zahnpasta-Tube. Die Störung der Naturklänge durch die Polizei hätte als Untermalung ausgereicht. Doch dann passiert, was sich dauernd wiederholen wird: Melancholische Musik wie aus der Standard-Schublade für Melodramen setzt ein. Die akustische Verdopplung des Gezeigten wirkt, als würde Regisseurin Newman dem Publikum nicht zutrauen, Offensichtliches zu begreifen. Stattdessen greift sie ständig zu Kitsch – verstanden als Wiederholung dessen, was den Zuschauern  bereits geläufig ist.

 

Als „Marschmädchen“ geschmäht

 

Dabei sind sowohl Ort als auch Handlung des Welt-Bestsellers von Delia Owens originell: Erzählt wird die Biographie von Catherine Clark, genannt Kya (Daisy Edgar-Jones). Sie lebt in den späten 1950er Jahren allein und ohne Familie in einem isolierten Holzhaus in den Sümpfen. Nahe der Kleinstadt Barkley Cove, dessen Einwohner sie abfällig als „Marschmädchen“ bezeichnen.

Offizieller Filmtrailer


 

Naturliebhaber alphabetisiert Kya

 

Eines Tages gerät sie unter Verdacht, den gleichaltrigen Chase Andrews (Harris Dickinson) ermordet zu haben – deshalb setzt der Film mit einer Verfolgungsjagd im Sumpfgewässer zwischen Ordnungshütern und Kya ein. Im Ruderboot hat sie keine Chance; kurz darauf wird sie in der örtlichen Polizeistation als Untersuchungshäftling eingesperrt. Dort besucht sie der Rechtsanwalt Tom Milton (David Strathairn), der sich der Endzwanzigerin als Verteidiger anbietet.

 

Kya Milton erzählt ihm ihr Leben, das in Rückblenden zu sehen ist. In ihrer Kindheit verließen ihre Mutter und später ihre drei Geschwister den gewalttätigen Vater. Als der auch abhaute, fristete sie jahrelang ein isoliertes und bescheidenes, aber friedliches Dasein. Dann begegnete sie dem gleichaltrigen Tate Walker (Taylor John Smith), der ebenfalls die Natur liebt. Er brachte Kya, die nie eine Schule besucht hat, Lesen und Schreiben bei.

 

Zweiter Verehrer will vergewaltigen

 

Die Einstellungen, die beide lesend in einer Lichtung zeigen, könnten rührend sein. Doch Kya sagt vor Bedeutung triefende Sätze auf wie „Ich wusste gar nicht, dass Worte soviel Bedeutung haben können“, bevor sie schmachtend ihre Lippen für den ersten Kuss schürzt. Ihre anbahnende Romanze wird optisch völlig überzuckert – beide müssen durch Herbstblätter tollen, die eine Bö aufgewirbelt hat, um sich danach in die Arme zu fallen. Klebrige Klänge geben der Szene den Rest.

 

In der zweiten Filmhälfte legt Regisseurin Newman die rosarote Brille zeitweise ab. Tate ist fort, um das College zu besuchen. Kya lernt Chase kennen, der erst ihr Vertrauen schwer erkämpft – und es bald wieder verspielt, als Kya ihn bei einem ihrer seltenen Besuchen in der Stadt mit seiner Verlobten beobachtet, die er ihr verheimlichte. Als sie sich von ihm trennen will, schlägt er sie und versucht, sie zu vergewaltigen. Doch Kya gelingt die Flucht.

 

Suggestive Sumpflandschafts-Aufnahmen

 

Hintergrund

 

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Als Kya danach einem Einzelhändler anvertraut, woher ihre Wunde im Gesicht stammt, erklärt sie zugleich, es würde nichts bringen, zur Polizei zu gehen. Die Männer auf der Wache würden ihr ohnehin nicht glauben. Jahre später wird Chase tot am Strand von Barkley Cove gefunden; Kya kann ein Alibi vorweisen. Ob man ihr glauben darf, Chase nicht getötet zu haben, bleibt ungeklärt – und rettet den Film ausnahmsweise vor dem Zwang zur Eindeutigkeit, der ihn ansonsten dominiert.

 

Handwerklich macht Regisseurin Newman in ihrem zweiten Film vieles richtig: Die Aufnahmen der fast unberührten Sumpflandschaft, etwa durch Kameras sehr nahe an der Wasseroberfläche, ziehen den Betrachter quasi in diese Feuchtgebiete hinein. Während die Hauptdarsteller Daisy Edgar-Jones und ihr sanftmütiger Partner Taylor John Smith selbst in den kitschigsten Momenten glaubhaft spielen, kontrastiert das onkelhafte Auftreten von David Strathairn als Anwalt angenehm mit den gehässigen Städtern, die Kya wie eine Aussätzige behandeln.

 

Kitschige Negativ-Klischees

 

Ohnehin überzeugt der Film, solange er starke Kontraste ausreizt, etwa böse Kleinstadtbewohner gegen heroische Einzelgängerin, oder bunte Natur gegen graue Gefängniszellen. Doch Regisseurin Newman treibt damit dem Film auch jede Ambivalenz aus. Zwar stellt Kya gegen Ende fest: „Die einzige Konstante der Natur ist Veränderung“. Die Akteure dieses Films, so scheint es, ändern sich jedoch nie: Sie sind stets dazu verdammt, auf ihren Haltungen und Handlungen zu beharren. Doch auch eine unrealistische Anhäufung von negativen Klischees, auch das ein Merkmal von Kitsch, schafft keine Empathie, sondern ermüdet nur.