Florian Heinzen-Ziob

Dancing Pina

Tänzer am Strand. Foto: © mindjazz pictures
(Kinostart: 15.9.) Wie lässt sich Tanz-Geschichte lebendig halten? Die Wuppertaler Compagnie von Pina Bausch vermittelt ihre Choreographien zwei Ensembles in Dresden und Dakar – wie daraus neue Inszenierungen entstehen, zeichnet die Doku von Regisseur Florian Heinzen-Ziob schön anschaulich nach.

Als die Choreographin Pina Bausch 2009 starb, war sie eine weltbekannte Ikone des Modern Dance. Seitdem hält ihre Wuppertaler Compagnie ihren Namen in der Tanzwelt lebendig. Diese Doku zeigt an zwei Inszenierungen, wie Bauschs Eleven ihre Ideen an die nächste Generation weitergeben – und wie sich ihr Werk dabei weiterentwickelt.

 

Info

 

Dancing Pina

 

Regie: Florian Heinzen-Ziob,

111 Min., Deutschland 2022;

mit: Malou Airaudo, Clémentine Deluy, Josephine Ann Endicott

 

Weitere Informationen zum Film

 

Malou Airaudo und Clémentine Deluy, schon lange in Wuppertal dabei, studieren mit dem Ballett der Dresdner Semperoper Pina Bauschs Inszenierung von Glucks Oper „Iphigenie auf Tauris“ ein. Parallel dazu proben die Tänzerinnen und Tänzer der École des Sables im Senegal unter Anleitung von Josephine Ann Endicott die Choreographie von Bausch zu Strawinskis „Le Sacre du Printemps“.

 

Aus Ideen wird Tanz

 

Der Film beobachtet diskret die Proben, beginnend mit den kleinsten Bewegungen. Man sieht die Solistinnen beim Betrachten alter Inszenierungen, bei ihren Versuchen, Pina Bauschs Ideen nachzuvollziehen und in die eigene Körpersprache zu übersetzen – und erlebt, wie sich ihre Vorstellungen in Tanz verwandeln.

Offizieller Filmtrailer


 

Zu schwer + groß gibt’s nicht

 

Im Gegensatz zur fast militärisch normierten europäischen Tanztradition legte die Choreographin Wert auf Individualität. Deswegen war es in ihrer Kompanie auch nie ein Problem, „zu schwer“ oder, wie die Dresdner „Iphigenie“ Sangeun Lee, „zu groß“ zu sein. Der Ansatz von Pina Bausch ist nicht nur offen für menschliche Besonderheiten – er stellt sie in den Mittelpunkt. Das ist zeitgemäß: Mit ihrer Methode arbeiten heute Tänzerinnen und Tänzer, die zur Zeit von Pina Bauschs Triumphen noch gar nicht geboren waren.

 

In Einzelinterviews erzählen die Ensemble-Mitglieder in Deutschland und im Senegal von ihren persönlichen Erfahrungen: Der junge „Orest“ in Dresden muss sich erst daran gewöhnen, dass es in dieser Inszenierung nicht darum geht, der Beste zu sein. Ein Mitglied der École des Sables philosophiert darüber, dass die Menschen im Westen eine eher abstrakte Vorstellung von Strawinskis „Opfer“-Thema hätten; sie sei dagegen im afrikanischen Kontext sehr konkret.

 

Senegal-Streetdance + Semperoper-Klassik

 

Für viele in der École ist es der erste Kontakt mit europäischem Modernen Tanz. Ihre knapp erzählten Lebenswege sind vielfältig; sie führen von Benin über Nigeria und Ghana bis Madagaskar, von Street Dance zum traditionellen und zeitgenössischen afrikanischen Tanz. Das Ensemble der Semperoper dagegen ist im klassischen Ballett fest verwurzelt.

 

Schritt für Schritt zeichnet Regisseur Florian Heinze-Ziob in seinem Film nach, wie ein Tanzstück entsteht: aus Einzel- und Ensemble-Proben, aus Gesprächen und Rekursen auf legendäre Inszenierungen. Bauschs Bühnenmagie bestand in einer besonderen Verbindung von Individuum und Gruppe, dem Zusammenspiel von subjektiver Erfahrung und künstlerischen Universalismen. Immer wieder wird „Pina“ befragt: Wie hat sie das gemacht, wie hat sie das gemeint, und wie gehen wir heute damit um?

 

Kamera-Premiere auf Sandstrand

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Das Leben ein Tanz" - quicklebendiger Ensemblefilm über die Neuorientierung einer verletzten Ballett-Tänzerin von Cédric Klapisch

 

und hier eine Besprechung des Films "Cunningham" - Dokumentation über den Choreographen Merce Cunningham von Alla Kovgan

 

und hier einen Beitrag über den Film "Feuer bewahren - nicht Asche anbeten" - gelungene Tanz-Doku über den Choreographen Martin Schläpfer von Annette von Wangenheim

 

und hier einen Bericht über den Film "Original Copy - Verrückt nach Kino" - Doku über Filmplakatmaler in Indien von Florian Heinzen-Ziob und Georg Heinzen.

 

Um dem Film folgen zu können, müssen die Zuschauer keine Vorbildung zur Geschichte des Modern Dance mitbringen. Regie und Montage erlauben unmittelbaren Zugang zu den Vorgängen auf den Probebühnen. Dabei konzentriert sich der Regisseur auf ausgewählte Einzelmomente der Inszenierungen und kehrt immer wieder zu ihnen zurück, um Nuancen und Unterschiede sichtbar zu machen.

 

Für Abwechslung sorgen die Szenenwechsel zwischen Europa und Afrika, und zuletzt auch für etwas Drama: Während die Dresdner Inszenierung von 2019 eine erfolgreiche Premiere feiert, wartet auf die Ècole des Sables im Pandemie-Jahr 2020 eine herbe Enttäuschung. Nach der gelungenen Hauptprobe erfährt das Ensemble, dass die Uraufführung in Dakar ebenso ausfallen muss wie die geplante Europa-Tournee. So findet die Premiere nur für die Kamera statt – am Strand, unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

 

Als Bühne dient ein in den Sand geharktes Rechteck. Obwohl der Wechsel vom hölzernen Übungsboden auf den weichen Strand eine mörderische Belastung darstellt, trotzen Solistin und Ensemble der Schwerkraft und geben, wie in der Choreographie vorgeschrieben, ihr Äußerstes. So steht am Ende dieses schönen Tanzfilms ein hochverdienter Triumph.