Berlin

Donatello – Erfinder der Renaissance

Donatello: Maria mit dem Kind, „Pazzi-Madonna“, ca. 1422, Marmor. © Staatliche Museen zu Berlin / Antje Voigt
Allein hat er diese Kunstepoche nicht erfunden, aber sie fortentwickelt wie kaum ein anderer: Donatello war der überragende Bildhauer der Frührenaissance. Ihn würdigt die Gemäldegalerie mit einer grandiosen Retrospektive seiner Meister-Skulpturen und -Reliefs – in der Altmeister-Ausstellung des Jahres.

Zuerst die schlechte Nachricht: Die berühmtesten Werke des Florentiner Bildhauers Donatello (1386-1466) sind nicht nach Berlin gekommen. Große Skulpturen sind eben nicht reisefreudig, trotz des weltumspannenden Leihverkehrs der Museen. Zu schwer und fest mit ihrem Ursprungsterrain verbunden, nötigen sie ihre Bewunderer, sich selbst auf den Weg zu machen. Im Fall von Donatello, den die Ausstellungsmacher vollmundig den „Erfinder der Renaissance“ nennen: nach Florenz.

 

Info

 

Donatello – Erfinder der Renaissance

 

02.09.2022 - 08.01.2023

täglich außer montags 10 bis 18 Uhr,

am Wochenende ab 11 Uhr

in der Gemäldegalerie, Matthäikirchplatz, Berlin

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

In der Hauptstadt der Toskana kam er in bescheidenen Verhältnissen zur Welt; seine Lehrjahre verbrachte er im Atelier von Lorenzo Ghiberti. Danach nahm er federführend am geistigen Abenteuer der Frührenaissance teil, indem er in freundschaftlicher Rivalität mit Kollegen wie dem Baumeister Filippo Brunelleschi und dem Maler Masaccio die Kunstentwicklung vorantrieb. Ein kreatives Geben und Nehmen: Stets hatte einer mit neuen Ideen die Nase vorn und forderte damit die anderen heraus.

 

Selten oder nie gezeigte Meisterwerke

 

Von dieser knisternden Atmosphäre permanenten Wettbewerbs ist in der Ausstellung am Kulturforum auf den ersten Blick nicht viel zu spüren. Sehr konservativ und gediegen erscheint die großzügige Hängung in gedämpft beleuchteten Sälen. Doch die Schau belohnt den Besucher mit dreidimensionalen Meisterwerken, die selten oder noch nie in Deutschland zu sehen waren; sie wurde zuvor leicht verändert in Florenz gezeigt und wandert anschließend nach London.

Impressionen der Ausstellung


 

Habachtstellung + lasziver Hüftschwung

 

Zarte Madonnen, ausgemergelte Büßergestalten und ausgelassen tanzende Putti geben sich ein Stelldichein. Die dezente Farbdramaturgie schlägt einen chronologischen Bogen vom matten Dunkelgrün für die Frühphase bis zum satten Rot für das Spätwerk. Dabei tritt deutlich zutage, was diesen Künstler so einzigartig macht. Der Berliner Kurator Neville Rowley holt die Skulpturen, anders als bei der ersten Ausstellungs-Station in Florenz, vom Sockel. Nun stehen sie auf Augenhöhe – es ist, als schaue man dem Bildhauer im Atelier über die Schulter.

 

Die Nahsicht hat es in sich. Noch vor dem Haupteingang bilden zwei jugendliche Helden den Auftakt zur Schau. Links steht, ganz in Habachtstellung, ein Heiliger Georg in körperbetonter Rüstung. Er runzelt die Stirn. Zürnt er? Jedenfalls ist er ein Mensch mit Gefühlen, nicht bloß frommes Andachtsobjekt. Gegenüber schiebt ein zart gebauter David – nur mit blumenbekränztem Hut und Stiefeln bekleidet – seine Hüfte lasziv zur Seite und blickt sanftmütig zu Boden. Dort liegt das abgeschlagene Haupt seines Feindes Goliath, auf das er anmutig einen Fuß setzt.

 

Zentralperspektive wird erfunden

 

Schönheit und Schrecken liegen im Werk Donatellos nah beieinander: Dass er Emotionen sichtbar machte, war damals neu. Zwar sind die beiden Hauptwerke nur als Gipsabgüsse vertreten, aber so kann man sie von allen Seiten betrachten. Nur auf diese Weise lassen sich Plastiken wirklich erfahren. Als Wilhelm von Bode vor 150 Jahren als junger Kunsthistoriker für die Berliner Museen zu arbeiten begann, ließ er Donatellos Hauptwerke in Gips abformen. Zudem erwarb Bode viele Originale der italienischen Frührenaissance, die ihn begeisterte. Das nach ihm benannte Skulpturen-Museum auf der Museumsinsel ist voll davon.

 

Wie Bode es schon damals tat, konfrontiert auch die Ausstellung Skulpturen mit Gemälden derselben Epoche. Denn was die Florentiner Bildhauer modellierten und meißelten, setzte sich stets auch mit der Malerei ihrer Zeit auseinander. Das kommt etwa bei einer bahnbrechenden Neuerfindung zum Ausdruck: der Zentralperspektive, die Architekt Brunelleschi dem Publikum erstmals anhand von Schaubildern erklärte.

 

Geburtsteller als Geschenk für Wöchnerin

 

Die Ausstellung präsentiert das erste erhaltene Gemälde, in dem diese neue Technik angewendet wurde – diesen Meilenstein der westlichen Kunst malte Masaccio um 1423. Es ist ein Rundbild; solche Geburtsteller wurden jungen Müttern im Wochenbett als Geschenke überreicht. Genau eine solche Szene hat Masaccio darauf dargestellt; in einem säulengegliederten Palazzo als eindrucksvollem Tiefenraum.

 

Daneben hängt Donatellos so genannte Pazzi-Madonna, nur ein Jahr zuvor entstanden. Das fein gemeißelte Marmorrelief verwendet die Zentralperspektive ebenfalls; der Bildhauer hatte als erster den neuen Kunstgriff begriffen und erprobt. Ihm ging es dabei vor allem um mehr Wirklichkeitsnähe: Das Relief rückt Maria, die zärtlich ihr Kind herzt, dem Betrachter ganz nah, emotional und intensiv.

 

Meister der gequetschten Reliefe

 

Stirn an Stirn berühren sich Mutter und Kind – ein Augenblick inniger Verbundenheit. Dabei ist das Marmorrelief nur wenige Zentimeter tief; hauchzart hat der Bildhauer die Gestalten aus der Fläche herausgearbeitet. Für seine Virtuosität beim rilievo stiacciato, dem extrem flachen, „zusammengedrückten“ oder „gequetschten“ Relief war Donatello berühmt. Manchmal heben sich die Konturen nur wenige Millimeter über dem Untergrund ab, so dass sie ohne Streiflicht fast unsichtbar sind.

 

Tatsächlich hat Donatello zahlreiche Madonnen geschaffen; die Nachfrage war enorm. Wer es sich leisten konnte, holte sich eine Muttergottes als Beschützerin ins private Schlafzimmer. Aber der Bildhauer wollte sich offenbar nicht wiederholen; keine zwei Fassungen gleichen einander. Der vor Ideen sprühende Bildhauer erfand immer neue Varianten: in Terrakotta, Bronze, Marmor oder aus Wachs.

 

Putten als Import aus der Antike

 

Die so genannte Mellon-Madonna aus Washington, ein Highlight der Schau, hält ihr nacktes Kind derart in den Händen, dass man spürt: Dieses pummelige Kerlchen ist wirklich schwer! Fast scheint es seiner Mutter zu entgleiten. Derweil schiebt sich der niedliche Erlöser seelenruhig ein Fingerchen in den Mund, ganz Daumen lutschender Säugling.

 

Donatellos Bilderfindungen machten Schule: er inspirierte Berühmtheiten wie Andrea Mantegna und Giovanni Bellini, aber auch weniger bekannte Maler wie Lazzaro Bastiani. Der Paduaner garnierte ein Madonnenbild am Rand mit munteren kleinen Nackedeis. Sie haben Flügelchen – aber mit den erwachsenen, würdevoll gekleideten Engelsfiguren der mittelalterlichen Kunst wenig gemein. „Putti“ nennt die Kunstgeschichte solche Kindergestalten; damals bezeichnete man sie als „Spiritelli“. Die kleinen Geister wurden aus der Antike in die Frührenaissance importiert, wo sie sich offenbar pudelwohl fühlten.

 

Liebesgott mit offenem Schritt

 

Ihre Popularität verdankten sie gleichfalls Donatello; daher widmet ihnen die Schau einen eigenen Abschnitt. Als junger Bildhauer hatte er in Rom antike Sarkophage studiert; die Lebensnähe ihrer Seitenreliefs erschien ihm vorbildlich. Für plastischen Schmuck aller Art: Auf der Außenkanzel des Doms in Prato tanzen Spiritelli, die Donatello mit seinem Kollegen Michelozzo 1434/8 meißelte, derart ausgelassen, dass kein Gedanke an eine christliche Botschaft aufkommt. Effektvoll heben sie sich vom goldenen Mosaik-Grund ab – erstmals hat dieses gewichtige Relief seinen Herkunftsort in der Kleinstadt nördlich von Florenz verlassen.

 

Der berühmteste Spiritello gibt Experten bis heute Rätsel auf: Die „Amor-Attis“ genannte Bronzefigur trägt große Flügel wie der Liebesgott Amor und kleine an den Fersen wie Merkur. Aber er hat auch ein Schwänzchen am Rücken wie ein Faun. Dazu trägt er eine Hose, die den Schritt freilässt und seine kindliches Gemächt bloßlegt – ein Attribut des phrygischen Fruchtbarkeitsgottes Attis. Zugleich hebt er lachend die Arme und zertritt eine Schlange. Was mag das bedeuten? Ist es eine Synkretismus-Schöpfung aus dem Geist der Antike oder ein übermütiger Künstler-Einfall? Donatello hatte nicht studiert, verkehrte aber mit belesenen Humanisten in Florenz. Sie dürften daran ihren Spaß gehabt haben.

 

Paduas Vater aller Reiterdenkmäler

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Mantegna und Bellini - Meister der Renaissance" in der Gemäldegalerie, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Florenz und seine Maler - Von Giotto bis Leonardo da Vinci" - großartige Überblicksschau über die italienische Renaissance in der Alten Pinakothek, München

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "The Botticelli Renaissance" - zwiespältige Retrospektive des Renaissance-Meisters in der Gemäldegalerie, Berlin

 

Seinen wohl größten Geniestreich schuf Donatello in Padua 1445/53. Dort steht vor der Basilica del Santo das Reiterstandbild des Söldnerführers Erasmo da Narni, genannt „Il Gattamelata“ („gefleckte Katze“). Es war eines der ersten frei stehenden Reiterdenkmäler seit der Antike; schon allein gusstechnisch ein Wagnis und Bravourstück – in Berlin kann nur ein Gipsabguss des Kopfes gezeigt werden.

 

Auf die Zeitgenossen machte das Standbild enormen Eindruck; bald wollte jeder Herrscher sich auf diese Weise verewigt sehen. Seither wurden unzählige Reiterdenkmäler in Europas Städten errichtet. Auch Donatello selbst legte nach, diesmal für Neapel: Ein überlebensgroßer Pferdekopf mit gebleckten Zähne dominiert als zentrales Exponat den letzten Raum. So hautnah, mit den Haarbüscheln der Mähne und unter der Haut hervortretenden Adern, wirkt seine animalische Kraft reichlich monströs; hier ist schon fast barockes Pathos zu spüren.

 

Lieber gleich in 3D formen

 

Doch der alternde Künstler ließ vieles unvollendet. Früh entdeckte Donatello die suggestive Wirkung des non finito, des nur Angedeuteten: Es wirkt oft lebendiger als exakt Ausgearbeitetes. Einige bozzetti – rasch und roh in weichem Ton angefertigte Entwurfsmodelle – veranschaulichen, wie der Bildhauer seine Ideen festhielt. Zeichnungen haben sich keine erhalten, nur eine umstrittene wird ausgestellt: Donatello dachte und formte offenbar lieber gleich in 3D.