Blerta Basholli

Hive

Existenzgründer-Treffen: Lume (Adriana Matoshi, stehend) umgeben von anderen Frauen, die mit Fahrijes Geschäftsidee Geld verdienen wollen. Foto: jip film verleih
(Kinostart: 8.9.) Paprika-Püree als Emanzipations-Vehikel: Damit befreit sich eine junge Witwe im Kosovo aus der Bevormundung der patriarchalischen Dorfgemeinschaft. Ihre Selbstermächtigung begleitet Regisseurin Blerta Basholli mit Bildern, die lange nachhallen.

Ein Film aus dem Kosovo kommt hierzulande selten in die Kinos – und noch seltener auf die Shortlist mit 15 Kandidaten für den Auslands-Oscar für den besten nicht englischsprachigen Film. Regisseurin Blerta Basholli ist das mit ihrem Spielfilmdebüt gelungen; eine kleine Sensation. Zehn Jahre hat die Kosovarin daran gearbeitet; die Handlung folgt dem realen Vorbild einer Frau, die sich gegen viele Widerstände durchzusetzen weiß.

 

Info

 

Hive

 

Regie: Blerta Basholli,

84 Min., Schweiz/ Albanien/ Nordmazedonien/ Kosovo 2021;

mit: Yllka Gashi, Çun Lajçi, Aurita Agushi, Kumrije Hoxha

 

Weitere Informationen zum Film

 

Nach dem Kosovo-Krieg 1998/99 müssen viele der in den Dörfern lebenden Frauen ohne ihre vermissten Männer zurechtkommen, deren Schicksal oft ungeklärt ist. Wie die zweifache Mutter Fahrije (großartig: Yllka Gashi), die eher erfolglos versucht, die zuvor florierende Bienenzucht ihres Mannes weiterzuführen. Zum Imkern würde sie ruhige Hände benötigen – doch die hat sie nicht, weil zuviel auf ihren Schultern lastet. Daher reagieren die empfindlichen Insekten aggressiv, und der Honig-Ertrag bleibt unter der Menge, die bisher zum Leben ausreichte.

 

Schwiegerpapa sein dagegen sehr

 

Staatliche Finanzhilfen stopfen nur die größten Löcher. Den Führerschein zu machen, bringt Farhije weiter; das wird zudem von einer Fraueninitiative unterstützt. Doch ihrer Familie und vor allem dem Schwiegervater erzählt sie davon lieber nichts: Er ist wie die meisten Dorfbewohner der Ansicht, dass eine Witwe nur im Haus arbeiten und ihre Schwiegereltern ehren – also mit durchbringen solle.

Offizieller Filmtrailer


 

Autofahrerin führt Übles im Schilde

 

Farhije schmiedet aber große Pläne: Sie will ihren selbstgemachten, allseits gelobten Ajvar – ein Würzpüree aus Paprika und Auberginen – in großem Stil in der Stadt verkaufen. Einen Supermarktbetreiber konnte sie bereits überzeugen, ihre Einweckgläser ins Sortiment aufzunehmen. Doch erwartungsgemäß versuchen vor allem die alten Herren im Dorf, ihr Vorhaben mit allen Mitteln zu torpedieren: Sie halten Farhijes Initiative für unehrenhaft.

 

Dass eine Frau eigene Interessen oder Talente hat, ist in ihrer patriarchalisch-muslimischen Vorstellungswelt nicht vorgesehen. Überdies kann eine Frau, die allein mit dem Auto in die sündige Stadt fährt, nur Schlechtes im Schilde führen. Vom Alleingang ihrer Mutter sind auch ihre Kinder nicht begeistert. Aber Farhijes Beharrlichkeit beschert ihr immer mehr Unterstützung, vorwiegend bei den Frauen im Dorf.

 

Suche nach Gefallenen-Gebeinen

 

Filme über die Jugoslawienkriege in den 1990er Jahren und deren Folgen gibt es einige; auch aus Frauenperspektive, wie zuletzt „Quo Vadis, Aida?“ von der bosnischen Regisseurin Jasmila Žbanić. Meist sind sie aber sehr dramatisch oder reißerisch angelegt. Die Herangehensweise von Regisseurin Basholli ist anders: Fast dokumentarisch verfolgt sie den Weg ihrer anfangs verhärmten Hauptfigur, die Leichensäcke mit exhumierten Gebeinen öffnet, um darin Überreste ihres Mannes zu suchen, hin zur selbstbewussten Kleinunternehmerin. Als universelle Parabel über den Umgang mit Schicksalsschlägen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Quo vadis, Aida?" - aufwühlender Bosnienkriegsfilm über das Massaker von Srebrenica 1995 von Jasmila Žbanić, prämiert als bester Film mit dem Europäischen Filmpreis 2021

 

und hier eine Besprechung des Films "Vater - Otac" - ergreifendes serbisches Familiendrama von Srdan Golubović

 

und hier einen Beitrag über den Film "Enklave" – Drama über Jungen im serbisch-albanischen Kosovo-Konflikt von Goran Radovanović

 

und hier einen Bericht über den Film "Babai – Mein Vater" – bewegend kühles Drama über einen jungen Kosovo-Emigranten von Visar Morina.

 

Dabei sympathisiert Basholli offenkundig mit ihrer Heldin und deren Mitstreiterinnen, die sich nach anfänglichen Querelen zusammenfinden, um miteinander etwas aufzubauen und damit einen eigenen Freiraum zu schaffen. Die Kamera bleibt sehr nah bei ihrer Protagonistin und verfolgt sie in ihrem engen Aktionsradius zwischen Haus und Bienenstöcken, der sich zunehmend erweitert. Verstärkt durch das schmale, strenge 4:3-Bildformat, das gleichzeitig eine gewisse Nähe und Intimität suggeriert. Da wirkt nichts überzeichnet inszeniert.

 

Erfolgreiche Agrar-Managerin

 

Behutsam begleitet Basholli ihre Hauptfigur bei ihrer Identitätsfindung, während sie allmählich ihre eigenen Stärken entdeckt. Beiläufig beschreibt sie aber auch die Probleme der bisher tonangebenden Herren, die sich damit abfinden müssen, etwas von ihrer für sicher gehaltenen ökonomischen Macht zu verlieren.

 

Dabei setzt die Regisseurin alle Facetten von tiefer Verzweiflung über Trotz bis zu ausgelassener Freude glaubhaft in Bilder um, die beim Betrachter nachhallen – wenn etwa alle Dorffrauen nach etlichen Stunden Ajvar-Kochen gemeinsam tanzen und feiern. Wie man im Abspann erfährt, leitet das reale Vorbild Farhije inzwischen einen gutgehenden Agrarbetrieb, der vorrangig Frauen beschäftigt.