Berlin

Komplett-Eröffnung Museum für Asiatische Kunst + Ethnologisches Museum im Humboldt Forum

Blick in das Kulthaus der Abelam (Papua-Neuguinea) im Ausstellungsbereich „Bauwerke aus Ozeanien. Mehr als ein Dach über dem Kopf“ des Ethnologischen Museums im Humboldt Forum . Foto: Staatliche Museen zu Berlin / Giuliani von Giese
Mit der Eröffnung der Ostflügel von Asien- und Ethnologie-Museum ist das Humboldt Forum vollständig zugänglich. Als Flickenteppich von politkorrekter Publikums-Brüskierung bis zu exzellenter Vermittlung – über das Wechselbad der Eindrücke trösten lang vermisste Spitzenwerke hinweg.

Als erstes fällt der Mut zur Lücke auf. In der Ostecke des dritten Obergeschosses stehen zwei riesige Säle gänzlich leer, was von einer Handvoll historischer Expeditions-Fotos an den Wänden nur schlecht kaschiert wird. Eine Etage tiefer sind von der angekündigten Sonderausstellung über kanadische Küstenwälder und ihre Bewohner bislang nur zwei Pfähle und zwei Videos zu sehen.

 

Info

 

Museum für Asiatische Kunst + Ethnologisches Museum im
Humboldt Forum

 

ab 17.09.2022

täglich außer dienstags 10 bis 20 Uhr,

freitags + samstags bis 22 Uhr

im Humboldt Forum, Schlossplatz, Berlin

 

Website des Humboldt Forum

 

Im gegenüberliegenden Flügel heißt es programmatisch: „Leerstellen. Ausstellen“. Vitrinen und Raumteiler für Zeugnisse aus dem kolonialen Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Tansania, bleiben größtenteils blank und kahl. Das Kuratorenteam wolle keine Objekte zeigen, für die nicht eine ausdrückliche Billigung der zuständigen tansanischen Stellen vorlägen, sagt ein Mitglied – da will jemand offenbar aktivistische Kulturaußenpolitik betreiben. Solche Arbeitsverweigerung wäre in kommerziellen Unternehmen ein Entlassungsgrund.

 

Monitor-Sprüche ersetzen Benin-Bronzen

 

Andernorts sorgt die offizielle Außenpolitik für Fehlstellen. Zwei Säle sollten die rund 500 Benin-Bronzen, berühmte Prunkstücke des Ethnologischen Museums, beherbergen. Dann entschied die Bundesregierung, sie an Nigeria zurückzugeben, was im August 2022 geschah. Ein Drittel davon bleibt zunächst für zehn Jahre als Dauerleihgabe im Humboldt Forum; etwa 40 werden derzeit ausgestellt. Also ist der zweite Saal überflüssig geworden: Dort hängen nun zehn Monitore, auf denen deutsche und nigerianische Offizielle beteuern, wie glatt und einvernehmlich die Restitution ablaufe. Während einer redet, hören die neun anderen ergriffen zu – much ado about very little.

Impressionen der Ausstellung im Ethnologischen Museum


 

Wie Hehlerware beim Zoll

 

Was von den Benin-Bronzen übrig bleibt, zeigt der erste Saal. Eiskalt beleuchtet auf grellweißen Podesten, als könnten es die Verantwortlichen gar nicht erwarten, die verbliebenen Stücke auch noch loszuwerden. Mancher Betrachter fühlt sich an die Zurschaustellung von Hehlerware bei der Polizei oder dem Zoll erinnert. Wurden die Metall-Büsten und -Platten am alten Museumsstandort in Dahlem gedrängt aneinander gereiht, wirken sie nun – in großen Abständen auf hellem Grund platziert – recht verloren.

 

Zumal Herkunft und Bedeutung dieser Gussobjekte kaum erklärt wird: Es handelt sich um reine Hofkunst. Die Könige von Benin im heutigen Nigeria ließen sie zur Verehrung ihrer Vorfahren herstellen und schmückten damit ihren Palast. 1897 wurden sie von britischen Truppen geraubt, als die den Palast niederbrannten, und später bei Auktionen versteigert. Diese Untaten samt Verschleppung des letzten Königs werden ausführlich dokumentiert: Wer wollte da nicht zustimmen, sie durch Rückgabe an die Nachfahren zu sühnen?

 

Nur der Schuldkomplex zählt

 

Was die damit anfangen, wie es überhaupt im heutigen Nigeria zugeht, scheint nachrangig. Eine Vitrine mit Fotos und Memorabilia vom panafrikanischen FESTAC-Kulturfestival, das 1977 stattfand, wirkt wie eine lieblose Pflichtübung. Wäre sie nicht eher Anlass, darzustellen, was in den 45 Jahren seither aus afrikanischer Kulturpolitik wurde – nämlich herzlich wenig? Diese Ignoranz gegenüber dem Kontinent ist symptomatisch: Hauptsache, die Deutschen haben als versierte Vergangenheitsbewältiger mal wieder Schuld abgestreift und Buße getan.

 

Nun springt nicht jeder Bereich so eigenwillig mit seinen Schätzen um. In anderen Sektionen wird die Dahlemer Tradition fortgeführt, lange Folgen von Exponaten kleinteilig und kundig zu erläutern. So bietet die Mittel- und Südamerika-Abteilung eine kompakte Geschichte präkolumbischer Reiche von den Azteken über die Maya bis zu den Inka.

 

Ballspieler-Stelen + Buddhisten-Höhle

 

Allerdings kommt dem eine Ausstellungs-Architektur in die Quere, die mit Vorliebe Batterien wandhoher Vitrinen auftürmt. In diesen „Schaumagazinen“ lagern dicht an dicht Hunderte von Objekten, völlig kommentarlos – doch Anschauung ohne Begriffe bleibt blind. Ihre Aura können Spitzenwerke nur dort entfalten, wo sie genügend Platz erhalten und entsprechend über sie informiert wird. Etwa im Saal für acht massige Steinstelen der Cotzumalhuapa-Kultur in Guatemala aus dem 7. bis 10. Jahrhundert: mit gemeißelten Reliefs von Akteuren eines rituellen Ballspiels zu Ehren von Gottheiten, die über ihnen die Arme ausbreiten.

 

Auch die atemberaubende „Höhle der ringtragenden Tauben“ aus Zentralasien, schon in Dahlem eine Hauptattraktion, kann endlich wieder bewundert werden. Der begehbare Höhlentempel aus dem 6. Jahrhundert wurde nahe der Stadt Kucha im westchinesischen Xinjang entdeckt, seine buddhistischen Fresken demontiert und in Berlin rekonstruiert.

Impressionen der Ausstellung im Museum für Asiatische Kunst


 

Khmer-Kämpfe auf Reliefs + Teppiche auf Wellen

 

Ähnlich spektakulär sind zwei 23 Meter lange Wandreliefs vom weltberühmten Angkor-Wat-Tempel in Kambodscha voller Kampfszenen mit Hunderten von Figuren. Dass es sich um Abgüsse handelt, mindert nicht das Sehvergnügen, im Gegenteil: Diese Kopien von 1983 dürften mittlerweile besser erhalten sein als die Originale vor Ort unter freiem Himmel.

 

Mancherorts begeistert eine fantasievolle Präsentation mehr als die Exponate selbst. Etwa im Saal für Kunsthandwerk aus Zentralasien: Teppiche hängen nicht flach an den Wänden, sondern liegen auf wellenförmigen Einbauten aus. Davor wurden Sortimente aus Keramik oder Schmuckstücken arrangiert – das erinnert kongenial an die Ästhetik opulenter Fülle in Basaren.

 

Orient-Verwestlichung + Asien-Theater

 

Nebenan widmet sich ein Raum dem culture clash zwischen „Orient und Okzident“ – im 19. Jahrhundert. Rückständig und verschuldet, bemühten sich das Osmanische und Persische Reich darum, zu technisch überlegenen europäischen Mächten aufzuschließen. Diese von Sultan und Schah dekretierte Verwestlichung in Architektur, Infrastruktur, beim Militär, aber auch in der Mode dokumentieren ein paar Schautafeln und -kästen so bündig wie prägnant.

 

Es gibt weitere Beispiele für gelungene „temporäre Ausstellungen“. Wie der Saal für asiatisches Theater: Filigran verzierte Schattenspiel- (Wayang kulit) und Stabpuppen-Figuren (Wayang golek) aus Indonesien sowie farbenfrohe Gesichtsmasken aus Thailand und Sri Lanka lassen den Reichtum mythologischer Stoffe erahnen, die damit aufgeführt werden. In Hindu-Epen wie dem Ramayana tummeln sich Hunderte von Protagonisten in Dutzenden von Episoden. An die Wand projizierte Szenen mit realen Schauspielern machen anschaulich, wie stilisiert die Formen- und Körpersprache in südostasiatischen Inszenierungen ist.

 

Erlaubt ist, was dem Kuratorenteam gefällt

 

Unaufwändig, aber sehr überzeugend ist auch der Raum zu „Ahnen, Göttinnen und Helden“ geraten. Je eine europäische, afrikanische und asiatische Figur mit religiöser Bedeutung werden verglichen: etwa ihr Helden-Status oder ihre Schutzfunktion für Gläubige. Hier wird in einem kleinen Kabinett erreicht, was in den meisten Sälen misslingt: interkulturelles Verständnis für gemeinsame Aspekte trotz völlig unterschiedlicher Erscheinungen zu befördern. Was letztlich die raison d’être des gesamten Humboldt Forums sein sollte.

 

Doch soweit ist das Haus noch lange nicht. Nachdem vor einem Jahr bei der Eröffnung des Westflügels Kritik an monotonen Saalfluchten mit nüchterner Ausstattung zwischen Kaufhaus und Büroklotz laut wurde, hat sich die Leitung ins andere Extrem geflüchtet. Jetzt darf offenbar jedes Kuratorenteam machen, was es will. Hauptsache, es zollt postkolonialer Politkorrektheit Tribut und kooperiert mit ausländischen Partnern weltweit; fast 30 listet das Presseheft stolz auf.

 

Flickenteppich für Desinteressierte

 

So entsteht ein Flickenteppich von exzellenter Vermittlung bis zu unsäglicher Eigenbrötelei. Wie etwa im Raum zu „Naga Land“: einem Irrgarten aus Stellwänden und Vitrinen für das Adivasi-Volk der Naga, das im bergigen Nordosten Indiens lebt. So stehen nur drei Millionen Ureinwohner stellvertretend für den gesamten indischen Subkontinent mit nahezu 1,8 Milliarden Menschen, der ansonsten im Humboldt Forum – abgesehen vom Saal mit Sakralkunst aus Südasien – nicht vorkommt. Einfach, weil es in Berlin einen alten Naga-Bestand und ein mitteilungsfreudiges Kooperationsprojekt gibt.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension über die "Neueröffnung Museum für Asiatische Kunst + Ethnologisches Museum im Humboldt Forum" im Humboldt Forum, Westflügel, Schlossplatz, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Schätze der Weltkulturen" mit Werken aus dem British Museum in der Bundeskunsthalle, Bonn

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Weltsichten– Blick über den Tellerrand!" - blendend inszenierte Best-of-Jubiläumsausstellung außereuropäischer Kunst des Lindenmuseums im Kunstgebäude, Stuttgart.

 

Dieses Laissez-faire dürfte einer hiesigen Eigenart geschuldet sein: Außer der Küche und idyllischen Urlaubszielen interessiert die Deutschen wenig an außereuropäischen Kulturen. Die Kolonialzeit des Reichs war kurz, endete desaströs und wurde bis vor kurzem verdrängt. Wenn Nationalmuseen aus Asien oder Lateinamerika hierzulande mit einem Best of ihrer Sammlungen gastieren, hält sich der Zuspruch sehr in Grenzen.

 

Möchtegern-Mix aus London + Paris

 

Auch beim Humboldt Forum ist noch Luft nach oben. Nach seinen Angaben besuchten zwar im ersten Jahr mehr als 800.000 Menschen die Ausstellungen und 1,5 Millionen Gäste alle Veranstaltungen zusammen. Das wirkt ansehnlich, relativiert sich aber angesichts der Top-Lage im Zentrum der Hauptstadt und den weitläufigen Flächen. Was der Augenschein bestätigt: An normalen Tagen kann von Andrang kaum die Rede sein.

 

Als 2002 der Bundestag beschloss, das Berliner Stadtschloss wiederaufzubauen, um dort die erstklassigen Kollektionen der Dahlemer Museen angemessen unterzubringen, schwebte den Verantwortlichen wohl eine Kreuzung aus British Museum und Centre Pompidou vor – so universell wie der Londoner Kunsttempel und so populär wie die Pariser Kulturmaschine. Bis das erreicht ist, dürften noch mindestens zwei Jahrzehnte vergehen; es dauerte schon 20 Jahre bis zur Komplett-Eröffnung des Humboldt Forums.