François Ozon

Peter von Kant

Peter von Kant (Denis Ménochet), Amir (Khalil Gharbia), Karl (Stefan Crépon). Foto: © Carole Bethuel, Foz / 2022 FOZ - France 2 Cinema - Playtime Production
(Kinostart: 22.9.) Porträt der Theaterfigur als gealterter Autor: Regisseur François Ozon verfilmt das Drama „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ seines Idols Rainer Werner Fassbinder neu. Präzise inszeniert und liebevoll ausgestattet – doch als Fan nimmt Ozon Fassbinders Nabelschau zu wörtlich.

1972 in Köln: In seinem mondänen Loft residiert der Filmemacher Peter von Kant (Dénis Menochet) und genießt die Früchte seines Erfolges. Es wird lange geschlafen, viel telefoniert, manchmal Besuch empfangen und ausgiebig Cognac und Sekt geschlürft. Die eigentliche Arbeit delegiert Peter an seinen devoten Assistenten Karl (Stéfan Crépon), der sich von ihm mit kaum verhohlenem Genuss erniedrigen lässt.

 

Info

 

Peter von Kant

 

Regie: François Ozon,

85 Min., Frankreich 2022;

mit: Denis Ménochet, Isabelle Adjani, Hanna Schygulla

 

Weitere Informationen zum Film

 

In diese Konstellation platzt eines Tages ein Außenseiter. Von Kants Freundin Sidonie (Isabelle Adjani) kommt zu Besuch und bringt den jungen Amir (Khalil Ben Garbia) mit. Der stammt aus einfachen Verhältnissen. Irgendwie hat es ihn zuerst nach Australien verschlagen und nun in die Bundesrepublik, direkt in Peters Wohnung. Der ist sofort hellwach: Hier ist einer, den es zu formen, zu manipulieren und zu besitzen gilt.

 

Liebhaber zieht weiter

 

Peter nennt das Liebe. Amir lässt sich darauf ein, von Peter „entdeckt“ zu werden und zieht bei ihm ein, entwickelt aber keine Neigung, seinem Entdecker zu verfallen. Berauscht vom frühen Ruhm und von Peters Nachstellungen bald genervt, lässt er sich bei der nächstbesten Gelegenheit weiter treiben. Peter ist am Boden zerstört, rappelt sich aber mithilfe seiner Mutter (Hanna Schygulla) wieder auf und gibt sich geläutert – woraufhin ihn auch Karl voller wortloser Verachtung verlässt.

Offizieller Filmtrailer


 

Geschlechterwechsel der Akteure

 

Das alles klingt vertraut. Der französische Regisseur François Ozon hat sich offenbar einen Traum erfüllt und „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ neu verfilmt. Das Kammerspiel stammt von einem seiner Idole, Rainer Werner Fassbinder; der inszenierte es zunächst im Frankfurter Theater am Turm und verfilmte es dann 1972 mit Margit Carstensen in der Hauptrolle.

 

Ozons Adaption ist eher ein Remix als ein Remake, denn Ozon wechselt die Geschlechter von Hauptrolle und Ensemble. Abgesehen davon hält er sich eng an den Originaltext und den Aufbau aus fünf Akten. Die Wohnung ist etwas weitläufiger, so dass der Kameramann Manuel Dacosse mehr Freiheit hat als einst Michael Ballhaus, der zu klaustrophobischer Hochform auflief. Wie damals hängt auch hier, wenngleich weniger prominent, eine Reproduktion von Nicolas Poussins Barock-Gemälde „Midas und Bacchus“ an der Wand.

 

Frauen-Ensemble der Scheusale

 

Aus Bremen wird Köln, zum Alkohol wird nun ehrlicherweise auch Kokain gereicht. Es sind aber nicht die vielen hübschen Produktionsdetails, die vom emotionalen Drama, das da stattfindet, empfindlich ablenken. Sondern etwas anderes: „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ ist einer von Fassbinders bekanntesten Filmen, aber er war nie einer seiner beliebtesten.

 

Es dürfte einer der wenigen Kinofilme der frühen 1970er Jahre sein, in dem nur Frauen auftreten, doch Fassbinder versagte ihnen fast alle positiven Charaktereigenschaften. Diese Protagonistinnen waren – von der Mutter abgesehen – ziemlich abscheulich zueinander. Sie kämpften, sobald es ans Eingemachte ging, ohne Bandagen, was das Ensemble übrigens zu Spitzenleistungen anspornte.

 

„Dem, der hier Marlene wurde“

 

In der Originalfassung spielte Hannah Schygulla das Objekt der Begierde von Carstensen als Petra von Kant. Dazu traten Eva Mattes als Tochter und Irm Hermann als schweigende Assistentin Marlene auf, die am Ende ihre Koffer packt. Marlene wurde auch zum Schlüssel für die bald einsetzende Deutung des Werkes. Den Hinweis gab der Regisseur selbst, indem er dem Film eine Widmung voranstellte: „Dem, der hier Marlene wurde“.

 

Damit waren die bitteren Tränen enthüllt als die Tränen ihres Autors, der damit seine eigene zurückliegende Beziehungskiste mit dem Schauspieler Günther Kaufmann verarbeitet hat. Alle anderen Rollen ließen sich ebenso, dank Fassbinders auskunftsfreudiger Wahlfamilie, leicht entschlüsseln. Es waren fast alles Männer. Nur die Mutter war einfach die Mutter.

 

Biografische Kolportage zum Mythos

 

Ozon hat aber nicht nur an die Geschlechterverhältnissen verändert. Ein schwuler Künstlertyp und seine schillernde Entourage, ein bisexueller Twen, Mutter und Tochter – daraus hätte etwas Wunderbares werden können. Aber indem Ozon die Modedesignerin von Kant in den Filmemacher von Kant zurückverwandelt, entpuppt sich dieser Peter als ein Rainer Werner.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Alles ist gut gegangen" - eindringliche Reflexion über Sterbehilfe von François Ozon

 

und hier eine Besprechung des Films "Sommer 85" - tragische Romanze über erste Jugendliebe von François Ozon

 

und hier einen Beitrag über den Film "Der andere Liebhaber" - raffinierter Psychothriller von François Ozon

 

Schmerbäuchig, narzisstisch und geistig rege, ist er unschwer als Wiedergänger des 1982 verstorbenen Filmemachers zu erkennen. So wird aus dessen narzisstischem, aber eben auch verschmitzt experimentellem Drama eine biografische Fan-Kolportage. Ähnlich wie beim Romy-Schneider-Porträt „3 Tage in Quiberon“ (2018) von Regisseurin Emily Atef; sie ging dabei gleichfalls dem Mythos einer bundesdeutschen Kinogröße auf den Leim.

 

Parallelen zum eigenen Beziehungsleben

 

Es ist offensichtlich, was Ozon an den „Tränen der Petra von Kant“ interessiert. Fassbinder hat seine Nabelschau vom Privaten ins Vage hineinprojiziert, ein paar dramaturgische Nebelbomben geworfen und aus diesem Chaos eine melodramatische Gruppendynamik aus Abhängigkeiten, Begierden, Süchten, Verletzbarkeiten und Fiesheiten konstruiert. Wer da keine Ähnlichkeiten zum eigenen Beziehungsleben feststellen kann, hat noch keine Beziehung erlebt.

 

Von dort aus betrachtet ist Ozons ansonsten respektable Methode ein Schritt zurück ins Private, allzu Konkrete. Diese Regression ist aber auch alles, was man diesem Film bemängeln kann. Er wartet im Übrigen mit liebevoller Ausstattung, hervorragender Tonspur und einem spielfreudigen Ensemble auf, darunter Isabelle Adjani und Hanna Schygulla, die nun als Peters Mutter zurückkehrt. Denis Ménochet verleiht seiner Rolle etwas obelixhafte Züge. Den stärksten Eindruck hinterlässt jedoch der, der aus Marlene wurde: Stéfan Crépon in der Rolle des schweigenden Karl.