Bayreuth

Kunst aus Nigeria: Uche Okeke + Nsukka School

Uche Okeke: Primeval Beast (Fabled Brute; Detail), Öl auf Leinwand, 1961; (c) Asele Institute. Foto: ohe
Biafra in Bayreuth: Uche Okeke war einer der bedeutendsten Künstler im entkolonialisierten Schwarzafrika. Was er und seine Mitstreiter der Nsukka School schufen, präsentiert eine Retrospektive im Iwalewahaus – in afrikanischer Manier: mit wenig Informationen, aber blumiger Poesie.

Der heute fast vergessene Biafra-Krieg war einer der blutigsten Konflikte in Schwarzafrika seit der Kolonialzeit. 1967 spalteten sich die vorwiegend von Igbo besiedelte Südostregion als „Republik von Biafra“ von Nigeria ab. Aus zwei Gründen: Die Igbo fürchteten, auf Dauer von den beiden anderen großen Völkern Haussa und Yoruba dominiert zu werden, und sie beanspruchten mehr Einnahmen aus der Ölproduktion im Nigerdelta.

 

Info

 

We will now go to Kpaaza: Transitions and journeys through Uche Okeke's work

 

29.04.2022 - 15.10.2022

 

mittwochs bis sonntags 13 bis 17 Uhr

nach telefon. Anmeldung: 0921 / 55-0

im Iwalewahaus, Wölfelstraße 2, Bayreuth

 

Engl. Website zur Ausstellung

 

Nigerias Armee isolierte die Region; eine Handelsblockade löste eine Hungersnot aus. Als Biafra 1970 kapitulierte, waren zwischen 500.000 und zwei Millionen Einwohnern an Unterernährung gestorben. Diese Katastrophe hatte nicht nur schwerwiegende politische – Nigeria blieb lange unter Militärherrschaft –, sondern auch kulturelle Konsequenzen: Die kreative Aufbruchstimmung nach der Unabhängigkeit 1960 war unwiederbringlich dahin.

 

Künstler-Rebellen aus Zaria

 

Zu deren Führungsfiguren zählte neben den Literaten Chinua Achebe und Wole Soyinka, Nobelpreisträger von 1986, auch Uche Okeke (1933-2016). Als Student im nordnigerianischen Zaria gründete er 1958 die „Zaria Art Society“. Dieser Verein wurde zur Keimzelle für die „Zaria Rebells“ – junge Künstler, die nach neuen Wegen zu einer genuin modernen nigerianischen Kunst suchten. Manche von ihnen wie Bruce Onobrakpeya, Demas Nwoko oder Oseloka Osadebe sind ebenfalls in dieser Ausstellung vertreten.

Impressionen der Ausstellung


 

Rückgriff auf Uli-Muster

 

Paradoxerweise sind während des Biafra-Kriegs entstandene Arbeiten am leichtesten für hiesige Betrachter zugänglich. Etwa zwei Plakate von 1968, die zur Flüchtlingshilfe aufrufen: Okeke reduzierte die Silhouetten ausgezehrter Gestalten auf ihre Konturen, als universell verständliche Chiffren des Leids. Ebenso eine unbetitelte Tuschezeichnung von Rückkehrern: Mit wenigen Strichen und Tupfern skizziert er Menschenmassen in chaotischer Bewegung.

 

Dagegen wirken die meisten anderen Werke in westlichen Augen so suggestiv wie verstörend, weil sie auf einem fremdartigen Formenkanon beruhen. Okeke, von 1971 bis 1985 Kunstprofessor der Universität im südnigerianischen Nsukka, und seine Mitstreiter griffen auf Uli-Zeichnungen zurück. Damit schmücken Igbo-Frauen traditionell Körperhaut oder Hausmauern. Kurvige Linien schwellen an oder laufen spitz zu; die Zwischenräume werden mit geometrischen Mustern ausgefüllt.

 

Figurenarsenal aus Volksmärchen

 

Diese Uli-Grundlagen setzte Okeke bei allen möglichen Sujets ein. Mit Bleistift oder Feder gezeichnete Fabelwesen erscheinen beschwingt-burlesk, ein gelb-rotes Urmonster in Öl auf Pappe von 1961 dagegen abstoßend bedrohlich. Wie überhaupt das Figurenarsenal aus Volksmärchen für ihn ein unerschöpfliches Repertoire seiner Kunst darstellte; er gab 1971 eine Anthologie solcher Fabeln heraus.

 

Ähnlich virtuos handhabt Bruce Onobrakpeya (*1932) diese verschlungen tänzelnden Linien; mit ihnen strukturiert er auch die Räume zwischen Objekten und Gestalten. Beim Seidendruck „Jesus vor Pilatus“ (1969) scheinen sie beide Bildhälften zentrifugal auseinander zu treiben – links wird Christus fortgestoßen, rechts taucht sein Richter die Hände ins Becken.

 

Radierungen von El Anatsui

 

Auf einem unbetitelten Linolschnitt von 1970 gehen die Umrisse von sechs Würdenträgern völlig im sie umgebenden Liniengeflecht auf; ebenso bei einer „Christi Geburt“ (1980) in Gold auf Schwarz. Da verwundert kaum, dass Onobrakpeyas auch abstrakte Aquarelle schuf, auf denen er im Stil des Informel schrundig aufgeraute Farbflächen nebeneinander setzt.

 

Eine enorme stilistische Bandbreite kennzeichnet auch Okekes kaum überschaubares Werk, wie bei anderen Mitgliedern der Nsukka-Schule; als sei Lust am Experiment ihr gemeinsamer Nenner. Etwa El Anatsui aus Ghana, der mit gewaltigen Wandbehängen aus Kronenkorken und recycelten Blechstreifen international erfolgreich ist. Hier werden von ihm monochrome Radierungen gezeigt, die kleinteilige Schraffuren mit Zonen blanker Leere kombinieren.

 

Eine Schau für Eingeweihte

 

In unmittelbarer Nachbarschaft großformatiger Ölgemälde; mal in reinen, mal tonig stumpfen Farben. Was die rund 100 Arbeiten von mehr als einem Dutzend Künstler verbinden könnte, bleibt unklar. Außer Bildlegenden mit Namen und Werktiteln enthält sich die Ausstellung jedes Kommentars – als richte sie sich, ähnlich wie bei afrikanischen Geheimbünden, vor allem an Initiierte, die mit Okekes Vermächtnis vertraut sind und keine Zusatzinformationen benötigen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Gruppendynamik – Kollektive der Moderne" mit Werken der Nsukka School in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, München

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "EFIE: The Museum as Home – Kunst aus Ghana" im Dortmunder U - Zentrum für Kunst und Kreativität

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "El Anatsui - Triumphant Scale" – wundervolle Recyclingkunst-Retrospektive des Künstlers aus Ghana in München + Bern

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Megalopolis - Stimmen aus Kinshasa" im Grassi Museum für Völkerkunde, Leipzig

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Nok - Ein Ursprung afrikanischer Skulptur" über 2000 Jahre alte Werke aus Nigeria im Liebieghaus, Frankfurt am Main

 

Dass die Räume Malerinnen in seinem Umfeld, religiösen Motiven oder seinem zweijährigen Deutschland-Aufenthalt 1962/3 gewidmet sind, bei dem er sich mit Bleiglas- und Mosaiken-Herstellung vertraut machte, muss man sich sagen lassen – zu erkennen ist es nirgendwo.

 

Auf der Suche nach sich selbst

 

Stattdessen zieren die Wände Verse von Okeke oder blumige Erläuterungen des Titels der Schau: „Kpazaa, ein Begriff, den Uche verwendete, ist eine Metapher für spirituelle, intellektuelle und kreative Reisen auf der Suche nach sich selbst. (…) Etwas kann nur vollendet sein, wenn es fließend und beweglich ist – in Berührung mit neuen Energien, Synergien, Ideen und Einflüssen.“

 

Kuratorensprech trifft Spiritualität – Analyse und Vermittlung bleiben auf der Strecke. Damit passt sich die Ausstellung geschmeidig der Herkunft ihrer Exponate an. Genauer: In einer Art kultureller Aneignung wählt sie die Präsentationsform, die in zeitgenössischen Galerien in Afrika üblich ist. Die beschränken sich gleichfalls meist darauf, das Gezeigte als Meisterwerke von Genies zu feiern – ohne Erklärungen zum Kontext oder Katalog.

 

Vorgeschmack auf Raubkunst-Restitution

 

So gibt das 1981 eröffnete Iwalewahaus, das nach eigenen Angaben die größte Sammlung afrikanischer Gegenwartskunst in Europa mit 12.000 Werken besitzt, einen einprägsamen Vorgeschmack darauf, was passieren dürfte, wenn bald im großen Stil so genannte Raubkunst afrikanischen Ländern restituiert wird – ohne das nötige Know-how mitzuliefern. Derweil bleibt Besuchern von Ausstellungen wie dieser nur, sich von unbekannten Formensprachen faszinieren zu lassen: einer dunkel lockenden Bilderwelt.