Berlin

Louise Bourgeois – The Woven Child

Louise Bourgeois: The Good Mother (Detail), 2003; Stoff, Faden, rostfreier Stahl, Holz und Glas, 109,2x 45,7 x 38,1cm. Foto: © The Easton Foundation/VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Foto: Christopher Burke
Drastisch surrealistische Skulpturen und Installationen voller expliziter Symbolik machten die französisch-amerikanische Bildhauerin weltberühmt. Der Gropius Bau stellt die textilen Arbeiten ihres Spätwerks aus – in der sterilen Inszenierung geht viel von ihrer verstörenden Wucht verloren.

Fürsorge, Reparatur und Heilung sind die neuesten Schlagworte im Kunstbetrieb. Künstler wollen nicht nur Probleme und Missstände dokumentieren und anprangern – ihre Werke sollen direkt zur Besserung beitragen. Unter dieses Motto stellt auch die scheidende Direktorin des Gropius Baus, Stephanie Rosenthal, ihre beiden Abschieds-Ausstellungen: explizit bei der Gruppenschau „Yoy! Care, Repair, Heal“, implizit bei der Retrospektive „The Woven Child“ mit textilen Arbeiten aus den letzten Lebensjahrzehnten von Louise Bourgeois (1911-2010).

 

Info

 

Louise Bourgeois – The Woven Child

 

22.07.2022 - 23.10.2022

täglich außer dienstags

10 bis 18 Uhr

im Martin Gropius Bau, Niederkirchnerstr. 7, Berlin

 

Katalog 34 €

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Zu reparieren gibt es in der Tat einiges, vor allem die Attraktivität des Standorts. Rosenthals Versuch, ab 2018 das größte deutsche Ausstellungshaus in eine avantgardistische Kunsthalle mit politisch korrektem Programm umzuwandeln, stieß beim Publikum auf wenig Gegenliebe. Die meisten Ausstellungen zu zeitgeistigen Themen mit kaum bekannten Künstlern wurden spärlich besucht. Das kann bei einer Werkschau von Louise Bourgeois nicht passieren – sie ist längst ein zugkräftiger Star der Gegenwartskunst.

 

Späte, aber gewaltige Anerkennung

 

Jahrzehntelang arbeitete die Französin, die 1938 mit ihrem Mann in die USA ausgewandert war und seither in New York lebte, weitgehend im Verborgenen. Die Anerkennung für ihr ungemein vielgestaltiges Werk aus allen möglichen Materialien kam spät, aber gewaltig: Nach einer ersten Retrospektive 1982 im Museum of Modern Art hatte sie rasch Einzelausstellungen auf allen Kontinenten, nahm an der documenta und Biennale teil und wurde 1999 mit dem japanischen Praemium Imperiale für ihr Lebenswerk geehrt.

Feature zur Ausstellung; © Kunstleben Berlin


 

Eltern handelten mit historischen Textilien

 

Die letzte große ihr gewidmete Ausstellung in Deutschland war 2015 die Präsentation ihrer monumentalen „Cell“-Installationen; davon hatte sie seit 1989 rund 60 angefertigt. Mehr als die Hälfte zeigte das Haus der Kunst in München samt etlicher Vorläufer-Arbeiten; anschließend wanderte die Mammutschau nach Moskau, Bilbao und Kopenhagen. Dagegen konzentriert sich die Werkschau im Gropius Bau, die in Kooperation mit der Londoner Hayward Gallery entstanden ist, auf einen beschränkten Aspekt ihres Spätwerks: 89 Objekte mit textilem Bezug.

 

Was sich biographisch begründen lässt: Stoffe und ihre Verarbeitung spielten im Leben der gebürtigen Pariserin eine wichtige Rolle. Ihre Eltern betrieben eine Galerie samt Reparaturwerkstatt für historische Textilien. Nähen, Flicken, Weben und ähnliche Schneiderinnen-Tätigkeiten waren ihr seit Kindertagen vertraut. Als sie in die USA emigrierte, nahm sie ihre Aussteuer und die Kleidung ihrer 1932 gestorbenen Mutter mit. Diesen Wäsche-Fundus benutzte sie bis ins hohe Alter als Material für ihre Kreationen.

 

Alles dreht sich um die Familie

 

Sie sind meist ebenso biographisch grundiert. Ihr verhasster Vater, der sie demütigte und ihre Gouvernante zu seiner langjährigen Geliebten machte; ihre geliebte Mutter, die das duldete; ihr umnachteter Bruder Pierre, der ab 1945 bis zu seinem Tod in der Psychiatrie lebte; aber auch ihre eigene Ehe mit drei Söhnen, die sie großzog – all diese Familienmitglieder beschäftigten sie künstlerisch unaufhörlich. Heftige und widersprüchliche Emotionen setzte sie in intensive, vieldeutige Werke um. Darin gehen Gefühle und Ängste, Sex und surrealistische Sinn-Kurzschlüsse schillernde Verbindungen ein.

 

Am deutlichsten wird das bei den „Cells“: Mit Drahtgeflecht umhüllte Boxen versinnbildlichen Bourgeois’ Privatkosmos, den sie mit allerlei Plastiken und objets trouvés ausstaffierte. Nur sieben dieser „Zellen“ sind in Berlin zu sehen, davon vier kleinformatige. Nur eine vermittelt die existentielle Wucht dieser Assemblagen: Bei „Spider“ von 1997 hockt eine riesige Bronze-Spinne über einem bestuhlten Käfig voller Tapisserie-Reste.

 

Bronze-Spinnen als Markenzeichen

 

Für Bourgeois waren Spinnen, die unermüdlich ihr Netz weben und ausbessern, positiv besetzt; sie identifizierte die Achtbeiner mit ihrer Mutter und stattete ihre Skulpturen mit Beuteln voller Marmor-Eier aus. Diese Deutung des Kriechtiers steht beispielhaft für die Ambivalenz, die Bourgeois Abseitigem verlieh – und für ihren größten Erfolg. Bronze-Spinnen wurden ihr Markenzeichen: Bis zu neun Meter hohe Kopien stellte man ab 2001 an Dutzenden Orten weltweit temporär oder dauerhaft auf.

 

Dagegen kommt Bourgois’ drastische Behandlung von Sexualität – ihr Jonglieren mit und Deformieren von Geschlechtsorganen – in dieser Schau nur in gezähmter Form vor. Etwa bei zwei kopflos kopulierenden Paaren aus schwarzem Stoff; die Frauen-Torsi haben eine Bein- bzw. Arm-Prothese. Nur scheinbar unterwürfig wirkt die gleichfalls schwarze „High Heels“-Frauenpuppe von 1998, die auf allen Vieren lasziv ihr Gesäß emporstreckt. Denn ihre stählernen Pfennigabsätze könnten jeden Liebhaber durchbohren.

 

Exhibitionismus sorgt für Popularität

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Louise Bourgeois – Strukturen des Daseins: Die Zellen" – großartige Retrospektive im Haus der Kunst, München

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Fantastische Frauen - Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo" mit Werken von Louise Bourgeois in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Happy Birthday! 20 Jahre Sammlung Goetz" mit zehn Arbeiten von Louise Bourgeois in der Sammlung Goetz, München

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Toyen" – hervorragende Würdigung der tschechischen Surrealistin in der Hamburger Kunsthalle

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Lee Bontecue – Insights" – beeindruckende Werkschau dreidimensional biomorpher Wandarbeiten der US-Künstlerin im ZKM, Karlsruhe.

 

Viel Raum nehmen dagegen Arbeiten zu Mutterschaft und Kindeswohl ein. Es wimmelt von Föten, Neugeborenen, Nabelschnüren und nährenden Fäden aus Mündern und Brustwarzen, ob als Aquarell, Kaltnadelradierung, Flechtwerk oder Stoffpuppen-Skulptur. Theatralisch ausgewalzt beim sechsteiligen, mit Spiegelfolie hinterfangenen Diorama „Das verschlossene Kind“: Sechs rosafarbene Puppen stellen je eine Phase von Schwangerschaft und Geburt ihres Sohnes Alain dar, der sich 1941 „einfach weigerte, zur Welt zu kommen“, so Bourgeois.

 

Der narzisstische Exhibitionismus solcher Sujets dürfte die Popularität ihrer Werke nur gesteigert haben. Zwar kreisen sie vorwiegend um den Werdegang der Künstlerin, ihre Angehörigen und andere private Obsessionen, doch setzte Bourgeois derlei immer wieder neu und überraschend um. In der einen oder anderen Darstellung können sich die meisten Betrachter wiederfinden – Eltern und ein vielschichtiges Verhältnis zu ihnen hat jeder, Geschwister haben fast alle.

 

Gremlins-Horrorshow der Hochkultur

 

Doch für solche Aha-Effekte bedarf es des Gesamtwerks von Bourgeois in seiner enormen Fülle und Bandbreite. Daran mangelt es dieser Auswahl, die sich auf Textiles beschränkt: All diese verspielt wirkenden Püppchen, Stoffköpfe und Stickerei-Deckchen verniedlichen die Thematik zu sehr. Sie mögen bewusst roh und unfertig hergestellt sein, mit bloß liegenden Nähten und Löchern – es sieht eher nach Verschleiß als nach Versehrungen aus. Wie eine putzige Gremlins-Horrorshow für Hochkultur-Tempel.

 

Dazu trägt die sterile Inszenierung bei: Die white cube-Ästhetik der Gropiusbau-Saalfluchten mit kantigen Vitrinen und grellweißen Podesten treibt den Exponaten jede Lebensnähe aus. Sie wirken präpariert wie für eine Asservatenkammer. Das im anregenden Sinne Monströse und Brachiale an Bourgeois’ Kunst geht dabei weitgehend verloren. Ob Kunst überhaupt Konflikte reparieren und Traumata heilen kann, bleibe dahingestellt – Begeisterung wecken kann sie, dergestalt ausgebreitet, jedenfalls nicht.