Jean Dujardin

November

Fred (Jean Dujardin) mit seiner Kollegin Héloise (Sandrine Kiberlain) bei einem Verhör. Foto: Copyright: Studiocanal GmbH
(Kinostart: 20.10.) Sieben Jahre nach den Attentaten von Paris mit 130 Opfern kommt der erste Film über die Terroranschläge ins Kino: Regisseur Cédric Jimenez schildert sie ausschließlich aus Sicht der Ermittler. Sein temporeicher Action-Thriller ist detailgetreu inszeniert, blendet aber Täter-Motive aus.

Die Pariser Terroranschläge von Islamisten im November 2015, bei denen 130 Menschen ums Leben kamen, haben das Selbstverständnis der Franzosen nachhaltig erschüttert. Das kommt manchmal vage in Filmen wie „Mein Leben mit Amanda“ (2019) von Mikhaël Hers zum Vorschein, wo ein junger Mann die Vaterrolle für seine Nichte übernehmen muss – ihre Mutter starb bei einem Terrorakt.

 

Info

 

November

 

Regie: Cédric Jimenez,

100 Min., Frankreich 2022;

mit: Jean Dujardin, Anaïs Demoustier, Sandrine Kiberlain, Lyna Khoudri 

 

Weitere Informationen zum Film

 

Sieben Jahren nach den Attentaten scheint nun für das Kino die Zeit gekommen, sich explizit des Themas anzunehmen. Gleich drei Produktionen sehr unterschiedlicher Ausrichtung kommen dazu in den nächsten Monaten auf die Leinwand; sie beleuchten vor allem das Massaker im Konzertsaal Bataclan mit 89 Toten aus verschiedener Perspektive.

 

Zwei Opfer-, ein Ermittler-Porträt

 

In „Frieden, Liebe und Death Metal“ von Isaki Lacuesta muss ein Paar mit seinen Erlebnissen vor Ort fertig werden. Dagegen hat in „Meinen Hass bekommt ihr nicht“ von Kilian Riedhof ein plötzlich alleinerziehender Vater den Verlust seiner Frau zu verarbeiten. Den Auftakt in dieser zufälligen Trilogie macht jedoch „November“ von Cédric Jimenez; er schildert den Tag des Anschlags, die Suche und die Ergreifung der Täter ausschließlich aus Ermittlersicht.

Offizieller Filmtrailer


 

Agent der Antiterroreinheit SDAT

 

Jimenez ist ausgewiesener Genre-Regisseur; er hat bereits zwei Krimis über den Kampf der Polizei in Marseille gegen den Drogenhandel gedreht. Das empfiehlt ihn für einen True-Crime-Thriller, bei dem alle wichtigen Eckpunkte bekannt sind. Anfangs befindet sich Fred (Jean Dujardin), Agent der SDAT-Antiterroreinheit der Polizei, am 13. November 2015 in Griechenland – dort scheitert knapp die Verhaftung eines arabischstämmigen Terroristen aus Belgien.

 

Auf dem Rückflug klingelt sein Telefon ständig. Meldungen über mehrere Anschläge in Paris laufen ein, zuletzt über den auf das Bataclan. Während die Opferzahlen steigen, treffen die SDAT- Mitarbeiter in der Ermittlungszentrale ein: Sie wissen, dass nun Schnelligkeit und Durchhaltevermögen zählen, um jeden noch so kleinen Hinweis auf die Täter zu sammeln.

 

Datenanalyse + klassische Ermittlungen

 

Jimenez inszeniert das routiniert in der Manier des US-Actionkinos mit schnellen Schnitten und einer Kamera, die ständig in Bewegung ist. Die Ermittler versuchen mit allen modernen Fahndungstechniken, die Hintermänner der Attentate so schnell wie möglich zu lokalisieren. Jedes verschwommene Überwachungsbild, jeder zustimmende Social-Media-Post wird unter die Lupe genommen – heutige Polizeiarbeit stützt sich zum großen Teil auf die Expertise von Computerfachleuten.

 

Neben atemlosen Datenanalysen wird zugleich klassische Ermittlungsarbeit geleistet: Befragungen, Überwachung, auch Klinkenputzen in der Nachbarschaft der Wohnorte von Männern, die rasch als potentielle Täter identifiziert worden sind. Dabei will sich vor allem Neuling Ines (Anaïs Demoustier) hervortun; sie sieht ihre Chance zum schnellen Aufstieg in der Hierarchie gekommen.

 

Tod durch 50 Jahre falsche Politik?

 

Die Suche weitet sich währenddessen nach Belgien und Marokko aus; immer mehr Mitwisser- und täter werden dingfest gemacht und verhört. Auf der Strecke bleiben dabei leider Einblicke in die Psychologie der Attentäter, deren Hass sich seit langem aufgebaut hat. Diesen Aspekt fertigt der Film mit einem Satz ab – gesprochen von einem Waffenhändler, der die Terroristen mit Gewehren und Pistolen versorgt hat: „Nicht meine Waffen haben die Leute umgebracht, sondern 50 Jahre miese Politik“.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Bis an die Grenze (Police" - Psychodrama über Asylanten-Abschiebung von Anne Fontaine mit Virginie Efira + Omar Sy

 

und hier eine Besprechung des Films "Intrige (J'accuse)" - brillanter Historienfilm über die Dreyfus-Affäre von Roman Polanski mit Jean Dujardin

 

und hier einen Bericht über den Film "Mein Leben mit Amanda" - sensibles Porträt der Beziehung von Onkel und Nichte nach einem Terroranschlag von Mikhaël Hers

 

und hier einen Beitrag über den Film "Violette" - Biopic über die Schriftstellerin Violette Leduc von Martin Provost mit Sandrine Kiberlain.

 

Damit macht es sich Jimenez, der auch am Drehbuch mitschrieb, zu einfach – zumal all die Hatz nach weiteren Verdächtigen kaum Zeit zur Besinnung lässt. Deshalb bleibt außer den französischen Leinwandstars Jean Dujardin und Sandrine Kiberlain sowie Anaïs Demoustier als Sympathien heischende Anfängerin nur noch die Kronzeugin Samia (Lyna Khoudri) im Gedächtnis haften; diesem Quartett erlaubt das Skript, ansatzweise komplexe Charaktere zu entwickeln.

 

Action ohne Glorifizierung

 

Nur einmal ist es wirklich still: im Polizeiwagen nach der Befragung der Überlebenden im Krankenhaus. Nun ruht die Kamera auf den müden Gesichtern der Ermittler, bevor sie ihre Bemühungen zur Ergreifung der Täter intensivieren. Fünf Tage später folgt die Abrechnung:  Eine Spezialeinheit stürmt mit schwerem Gerät das Versteck der Terroristen.

 

Bei dieser Schlussszene demonstriert Jimenez seine Stärken als Action-Regisseur, der mit Dutzenden martialisch Uniformierter und viel Sprengstoff in die Vollen gehen kann. Ihm schwebt offensichtlich kein differenziertes Aufarbeiten der Ereignisse vor. Wer aber an gut gemachtem Actionkino auf der Basis zeitgeschichtlicher Fakten ohne Hollywood-Glorifizierung Spaß hat, kommt bei „November“ auf seine Kosten.