Fatih Akin

Rheingold

Für einen Türsteher-Job riskiert Giwar/ Xatar (Emilio Sakraya) in Amsterdam alles. Foto: © 2021 Warner Bros. Ent. / Gordon Timpen
(Kinostart: 27.10.) Expedition ins Paralleluniversum der Gangsta-Rapper: 2009 erbeutete der Deutschkurde Xatar 1,7 Millionen Euro in Gold. Sein zweites, in der Haft aufgenommenes Album machte ihn zum Star – sein Leben verfilmt Regisseur Fatih Akin als rasante Räuberpistole zwischen Irak und Bonn.

Das Rheingold, also der sagenhafte Nibelungenschatz, den Hagen von Tronje im Strom versenkte, hat im 21. Jahrhundert ein Update bekommen. Im Gegensatz zum legendären Sagen-Hort, der Lieder, Opern und Filme inspirierte, aber selbst bei Rekordtief-Wasserstand nie im Flussbett entdeckt wurde, ist dieses Rheingold sehr real.

 

Info

 

Rheingold

 

Regie: Fatih Akin,

140 Min., Deutschland/ Italien/ Niederlande 2022;

mit: Emilio Sakraya, Mona Pirzad, Ilyes Raoul, Sogol Faghani

 

Weitere Informationen zum Film

 

Und die Geschichte dahinter ist kaum weniger abenteuerlich als das Mittelalter-Epos: Ende 2009 überfiel Giwar Hajabi, Sohn kurdischer Musiker-Eltern aus dem Iran, mit ein paar Kumpanen einen Goldtransport. Mit ihrer Beute im Wert von 1,7 Millionen Euro setzte sich die Bande ins Ausland ab; bald darauf wurde Hajabi im Irak festgenommen und nach Deutschland abgeschoben.

 

Gefangenen-Nummer als Album-Titel

 

Zu acht Jahren Haft verurteilt, nahm er mit einem in seine Gefängniszelle geschmuggelten Mobiltelefon sein zweites Album auf. Es erschien 2012 unter seinem Künstlernamen Xatar mit dem Titel „Nr. 415“, was seiner Gefangenen-Nummer entsprach. Nach seiner vorzeitigen Entlassung 2014 wurde Xatar – der kurdische Begriff für „Gefahr“ – wie geplant Rap-Mogul und zur urbanen Legende des deutschen Gangsta-Rap.

Offizieller Filmtrailer


 

Hommage an „GoodFellas“

 

Seine Lebensgeschichte hat er mittlerweile in einem 2015 veröffentlichten Buch aufgeschrieben; es ist nach seinem Plattenlabel „Alles oder nix“ mit dem Zusatz „Bei uns sagt man, die Welt gehört dir“ benannt. Diesen Stoff hat nun Regisseur Fatih Akin verfilmt – er läuft dabei wie erwartet zu Hochform auf.

 

Die Bausteine seiner Filmsprache sind Hip-Hop-Kultur, migrantische Milieus, Straßencodes und flotte Dialoge. War Fatih Akins Debütfilm „Kurz und schmerzlos“ (1998) eine kaum verhohlene Hommage an Martin Scorseses „Mean Streets – Hexenkessel“ (1973), ist „Rheingold“ nun Akins „GoodFellas“, Scorseses Mafia-Saga von 1990: episch, kriminell und unglaublich, aber dabei ziemlich wahr.

 

Gewaltloser Transporter-Überfall

 

Akin hat den Film in enger Zusammenarbeit mit Xatar produziert, der darin natürlich gut wegkommen will. Zudem sieht sein Darsteller Emilio Sakraya viel besser aus als sein reales Vorbild; so ist der Film eine Art Gangster-Schelmenstück geworden. Tatsächlich war der hier vergnüglich nachinszenierte Überfall eine meisterhafte Köpenickiade und verlief völlig gewaltlos: Als Steuerfahnder verkleidet, lotsten die Täter einen Werttransporter von der Autobahn, leerten ihn und verschwanden mit 250 Kilo Schmuck und Zahngold.

 

So gewaltfrei verlief Xatars Vor- und Nachgeschichte nicht: Seinen Ruf als Drogendealer und Türsteher musste er sich erprügeln. Im Drehbuch distanziert er sich von Gewaltexzessen, aber er hat auch selbst zugelangt – auch gegen Frauen, was der Film nicht verschweigt. Auf diese Weise hat Xatar eine Menge Knäste von innen gesehen.

 

Verhöre mit der Zahnzange

 

Der deutsche war am besten zu ertragen: Hier lässt sich ein Vollzugsbeamter die vom Häftling heimlich in der Zelle aufgenommene CD signieren. Doch auch die Geheimpolizei im Irak wollte wissen, wo sich das beim Überfall erbeutete Gold befand; sie arbeitete bei Spurensuche und Verhören wohl mit der Zahnzange.

 

Mit diesen, vom Drehbuch nach Syrien verlegten Szenen, beginnt Akins Film; dann springt er zurück zu Xatars ersten Erinnerungen. Sie spielen sich ebenfalls in einem Gefängnis ab. Auf der Flucht vor den iranischen Revolutionsgarden verbrachten seine Eltern einst bange Wochen in einer irakischen Zelle. Ihren dreijährigen Sohn trugen sie dabei bei sich; später flüchteten sie mit ihm nach Westeuropa.

 

Vater lehrte Xatar Klavierspiel

 

Diese im Nahen Osten spielenden Passagen dürften zu den prächtigsten, aber auch gewalttätigsten in Fatih Akins Filmografie zählen. Der anschließende Teil der Geschichte in Europa windet sich als Stationendrama von Bonn nach Amsterdam und zurück, wo er schließlich seinen Höhepunkt erreicht. Das wird dank launiger Dialoge und filmischem Herzblut nicht langweilig.

 

Auch weil sich Fatih Akin sich viel Zeit nimmt, Xatars Beziehung zu seiner Mutter und seinem Vater – einem Musikprofessor und Komponisten – eingehend auszuleuchten. Er brachte seinem Sohn das Klavierspielen bei, was sich später bei dessen Rap-Produktionen auszahlen sollte. Damit tragen sie zu einer Charakterstudie bei, die weitaus komplexer ausfällt, als Xatars Image eines Gangsta-Rappers nahelegt.

 

Mix aus Faszination + Abscheu

 

Hintergrund

 

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und hier einen Beitrag über den Film "All Eyez on Me" – gelungenes Biopic über den Star-Rapper Tupac Shakur von Benny Boom.

 

Dabei wurde so weit wie möglich an den Originalschauplätzen gedreht, bei üppiger finanzieller Ausstattung: Sechs deutsche Filmförderanstalten steuerten allein mehr als fünf Millionen Euro zum Budget bei. Alle Nebenrollen sind glänzend besetzt; im babylonischen Sprachmix wird nicht nur auf Deutsch, Kurdisch und Arabisch geredet, sondern auch in der so genannten B-Sprache, die nur Bonner verstehen. Man lernt also immer noch dazu bei diesem Film.

 

Vor allem auch dies: Die beabsichtigte Mischung aus Faszination und Abscheu, mit der große Gangster wie Don Corleone oder Tony Soprano ihr Publikum um den Finger wickeln, funktioniert auch hier. Personifiziert wird sie im Film durch Xatars love interest Shirin von schräg gegenüber. Die nennt ihn erst  „Sheytan“ (also „Teufel“), aber am Ende lebt sie in einem schönen großen Haus am Rhein.

 

Fantastisch überflüssiger money shot

 

Wo genau das Gold geblieben ist, erfährt das Publikum selbstverständlich nicht. Vor Gericht gab Xatar an, er habe von der Beute nur einen Bruchteil bekommen. Der Film wird kaum präziser als in dieser erinnerungswürdigen Dialogzeile: „Ich kenne da einen Hurensohn, der kennt ein paar Hurensöhne.“ Schlussendlich gibt es noch einen fantastisch überflüssigen money shot, der auszudrücken scheint: Es ist genau da, wo es laut Plan hin sollte.