Viola Davis

The Woman King

Nanisca (Viola Davis) ist die Anführerin. Foto: Sony Pictures
(Kinostart: 6.10.) Frauenpower mit Schwertern und Speeren: Im afrikanischen Königreich Dahomey, dem heutigen Benin, kämpften weibliche Krieger gegen Feinde und Sklavenhändler. Über dieses einzigartige Phänomen macht Regisseurin Gina Prince-Bythewood einen mitreißenden Amazonen-Actionfilm.

Das wurde aber auch Zeit: Ein Film, der das dunkle Kapitel des Sklavenhandels in Afrika mit den Stilmitteln des Kommerzkinos beleuchtet und damit für ein Massenpublikum goutierbar macht – ohne unzulässig zu vereinfachen. Aufgehängt an einem Phänomen, das perfekt zum feministischen Selbstermächtigungs-Zeitgeist passt – ohne die Fakten zu verfälschen: dem Amazonen-Heer im westafrikanischen Königreich Dahomey, auf dem Gebiet des heutigen Benin.

 

Info

 

The Woman King

 

Regie: Gina Prince-Bythewood 

126 Min.,

mit: Viola Davis, Thuso Mbedu, John Boyega

 

Weitere Informationen zum Film

 

Die Ursprünge dieser rein weiblichen Armee aus Angehörigen des Fon-Volks reichen bis ins 17. Jahrhundert zurück. Im 18. Jahrhundert wurden die Agoji („Frauen des Königs“ in der Fon-Sprache) zu regulären Einheiten, die an Kriegszügen gegen Nachbarvölker teilnahmen. Anfang des 19. Jahrhunderts – der Film spielt 1823 – waren sie eine Elitetruppe von mehreren tausend Soldatinnen, die bis zu einem Drittel der Streitkräfte von Dahomey ausmachten.

 

Frauen-Krieger wegen Männer-Mangel

 

Der Grund, warum diese Frauen-Regimenter aufgestellt wurden, war einfach: Häufige Kriege und gewaltsame Konflikte mit benachbarten Reichen hatten die männliche Bevölkerung dezimiert – es gab nicht mehr genug Männer für den Militärdienst. Dazu kam der ständige Aderlass durch Versklavung; diese Gewaltspirale setzt auch die Filmhandlung in Gang.

Offizieller Filmtrailer


 

Konkurrenten im Sklavenhandel mit Europäern

 

Mit einem Gemetzel: Agoji-Kämpferinnen unter dem Kommando von Generalin Nalisca (Viola Davis) machen eine Kohorte von Oyo-Kriegern nieder. Sie hatten zuvor ein Dorf in Dahomey überfallen und die Einwohner gefesselt, um sie in die Sklaverei zu treiben. Das östlich angrenzende Oyo-Reich des Yoruba-Volks auf dem Gebiet des heutigen Nigeria war damals eine regionale Großmacht, dem Dahomey tributpflichtig war. Beide Reiche lebten – als  Konkurrenten – von Sklaven-Lieferungen an europäische Händler, die an der Küste Stützpunkte unterhielten.

 

Währenddessen wird die junge Nawi (Thuso Mbedu), die sich gegen eine arrangierte Ehe wehrt, von ihrem Stiefvater an der Palast-Pforte in der Hauptstadt Abomey dem König ‚geschenkt’. Nun wird sie zur Nachwuchs-Agoji ausgebildet und muss sich im harten Training bewähren – die Methoden ähneln einem boot camp. Nawi beißt sich durch; Nalisca und ihre Vertrauten Izogie und Amenza werden auf das schlaue und eigensinnige Mädchen aufmerksam.

 

Action-Historienepos mit Testosteron-Tugenden

 

Bei einem Ausflug in den Dschungel trifft Nawi auf Malik; der Mulatte ist vor kurzem mit einem brasilianischen Sklavenhändlerschiff im Seehafen Ouidah angelandet. Er verrät ihr, dass die Oyo einen Rachefeldzug gegen Dahomey planen, weil dessen König Ghezo (John Boyega) die alljährlichen Tributzahlungen verweigert. Nawi informiert ihre Generalin, die den König. Nun mobilisieren beide Reiche; bei der entscheidenden Schlacht rächt sich Nalisca an einem Oyo-General für einst erlittene Demütigungen.

 

In den Kampfszenen bedient sich Regisseurin Gina Prince-Bythewood ungeniert bei Action-Historienepen wie „Braveheart“ (1995) von Mel Gibson oder „Gladiator“ (2000) von Ridley Scott. Solchen Vorbildern gleichen ebenso die Testosteron-Tugenden der Kriegerinnen – ihr ständiges Beschwören von Härte, Disziplin, Durchhaltevermögen und Opfergeist. Auch Frauen können Kampfmaschinen sein und Buddy-Ritualen frönen. Doch ansonsten zeichnet der Film ein erstaunlich akkurates Bild der realen historischen Verhältnisse.

 

Sklavenhandel oder Palmöl-Gewinnung

 

König Ghezo, der Dahomey von 1818 bis 1859 regierte, war ein bedeutender Herrscher. Ihm gelang es tatsächlich, 1823 die Oyo-Oberherrschaft abzuschütteln. Er erwog gleichfalls – von den Briten unter Druck gesetzt – wie im Film, den Sklavenhandel einzustellen und stattdessen Palmöl-Gewinnung zum Hauptwirtschaftszweig seines Reiches zu machen. Allerdings entschied er sich dagegen: Der Verkauf von Menschen, wiewohl langfristig selbstmörderisch, war wesentlich lukrativer. Nach diesem Prinzip handeln immer noch viele Staatenlenker.

 

Ebenso wird das Zeitkolorit präzise eingefangen. Abgesehen von Details: Nalisca badet gern in einem unterirdischen Bassin, dessen weitläufige Anlage mit türkis schimmerndem Wasser wie eine Kreuzung aus römischen Thermen und all-inclusive-Hotelpool aussieht. Doch im Übrigen rekonstruiert der Film die Palastanlage, das Sklavenhändler-Fort in Ouidah, das Waffenarsenal und die Ausstattung der Akteure in Westafrika recht genau, soweit es 200 Jahren später noch bekannt ist. Obwohl ausschließlich in Südafrika gedreht wurde.

 

Nuanciertes Denken + Handeln

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films “Twelve Years a Slave” – fesselnde Sklaverei-Saga von Steve McQueen, 2014 mit dem Oscar für den besten Film ausgezeichnet

 

und hier eine Besprechung des Films “Django Unchained” – Italo-Western über Südstaaten-Sklaverei von Quentin Tarantino

 

und hier einen Beitrag über den Film "The Birth of a Nation – Aufstand zur Freiheit" - Historienepos über einen US-Sklavenaufstand 1831 von Nate Parker.

 

Dass alle Protagonisten auf wundersame Weise durch Schuld und Sühne miteinander verbandelt sind, was in den Kastengesellschaften absolutistisch regierter afrikanischer Reiche höchst unwahrscheinlich war – geschenkt. Ein Hollywoodfilm muss auf Sympathieträger und geläufige Pathosformeln setzen. Aber alle Figuren dürfen bemerkenswert nuanciert denken und handeln; nie werden sie zu schematisch gezeichneten Sprechpuppen degradiert.

 

Damit wird „The Woman King“ den Agoji deutlich mehr gerecht als bei ihrem ersten Auftritt auf der Leinwand. In „Cobra Verde“ (1987) von Regisseur Werner Herzog hetzte Klaus Kinski in der Hauptrolle die Kämpferinnen zum Putsch gegen den König auf; das galt schon damals als miefige Männerphantasie. Dagegen entfaltet Gina Prince-Bythewood alle Facetten ihres Frau-Seins, ohne sie zu Lichtgestalten für politisch korrekte Erbauung zu stilisieren.

 

Filmfestival statt Sklavenhandel

 

Denn die Agoji sind fast 130 Jahren Geschichte: Als Frankreich 1894 Dahomey eroberte, löste die Kolonialmacht den Amazonen-Verband auf. Die Königspaläste von Abomey sind heute ein Museum. In der Hafenstadt Ouidah, in der Abertausende von Sklaven verschifft wurden, findet seit 2003 alljährlich ein Filmfestival statt, das zu den bedeutendsten in Westafrika zählt. Es gibt also Fortschritt.