Elizabeth Banks + Sigourney Weaver

Call Jane

Joy (Elizabeth Banks) und Virginia (Sigourney Weaver), die zu der geheimen Frauen-Organisation gehört. Foto: DCM/ Wilson Webb
(Kinostart: 1.12.) Mein Bauch gehört Jane: Ein Untergrund-Netzwerk in Chicago half Frauen, die abtreiben wollten, bevor Schwangerschaftsabbrüche legalisiert wurden. Das Thema ist wieder aktuell – doch der Historienfilm von Regisseurin Phyllis Nagy gerät zum arg optimistischen Feelgood-Beitrag.

„Die ganze Welt sieht zu!“, ruft eine Gruppe aufgebrachter Demonstranten in der Eröffnungsszene aus dem Off. Es ist das Jahr 1968 am Schauplatz Chicago. Die „Yippies“, der linksradikale Flügel der US-Studentenbewegung, protestieren gegen den Vietnam-Krieg, gegen die Regierung und gegen das System insgesamt – dazu zählt auch das damalige Verbot der Abtreibung.

 

Info

 

Call Jane

 

Regie: Phyllis Nagy,

121 Min., USA 2022;

mit: Elizabeth Banks, Sigourney Weaver, Kate Mara, Chris Messina

 

Weitere Informationen zum Film

 

„Call Jane“ wirft einen Blick auf die Zeit vor dem Grundsatzurteil „Roe v. Wade“, in dem der Oberste Gerichtshof 1973 Frauen das Recht gab, selbst über einen Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden. Im Juni diesen Jahres hob der Supreme Court dieses Urteil auf – fortan bleibt es den einzelnen US-Bundesstaaten überlassen, wie sie das Abtreibungsrecht regeln. Das Thema ist also wieder brisant, zumindest in den Vereinigten Staaten; Regisseurin Phyllis Nagy trifft mit ihrem Film gewissermaßen einen Nerv.

 

Männerrunde entscheidet

 

Elisabeth Banks spielt die Hausfrau Joy, die sich nach der Diagnose eines Herzleidens in einer Zwangslage befindet: Sie ist mit ihrem zweiten Kind schwanger – und ihr Risiko ist hoch, dass sie bei der Geburt ihr Leben riskiert. Ihre Überlebenschancen betragen 50 Prozent. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Will (Chris Messina) entscheidet sie sich für eine Abtreibung. Aber 1968 muss der Krankenhaus-Vorstand beurteilen, ob in Joys Fall ein „therapeutischer Abbruch“ infrage kommt. Die Männerrunde entscheidet zu Gunsten des Kindes – Joy wird der Eingriff verwehrt.

Offizieller Filmtrailer


 

Die Janes für besorgte Schwangere

 

Will findet sich mit der Entscheidung ab. Joy überlegt kurz, sich eine Treppe hinunterzustürzen – ein Tipp, den sie von einer Bekannten bekommen hat, die vor dem gleichen Problem stand. Nach einem weiteren missglückten Versuch der Selbsthilfe greift sie in ihrer Verzweiflung schließlich zum Telefonhörer: Sie ruft „Jane“ an, einen Anschluss für schwangere Frauen, die „besorgt“ sind, wie es verklausuliert heißt. Den Zettel mit der Nummer hat sie zufällig auf der Straße entdeckt.

 

So gerät Joy an ein Kollektiv von Frauen, die unter diesem Decknamen in den 1960er Jahren in Chicago ein Netzwerk aufbauen, um Schwangere bei illegalen Abtreibungen zu unterstützen. Hier ist das Drehbuch nah an der Realität: Die „Janes“ hat es tatsächlich gegeben. Eine ihrer damaligen Mitstreiterinnen, Judith Arcana, war auch als Beraterin an der Entstehung des Films beteiligt.

 

Optimismus mit Schwächen

 

Richtig in Schwung kommt die Geschichte, als Joy von Virginia (Sigourney Weaver), der Gründerin der verdeckt arbeitenden Gruppe, in die organisatorischen Einzelheiten eingeweiht wird. Ein junger angehender Arzt namens Dean nimmt die Abtreibungen für eine Gebühr von 600 Dollar vor. Doch Joy glaubt, dass es auch günstiger geht – und bietet sich an, sich die nötigen Kenntnisse selbst anzueignen. Schließlich suchten überwiegend Frauen ohne finanzielle Mittel medizinische Hilfe bei „Jane“.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Niemals Selten Manchmal Immer" – einfühlsames US-Abtreibungs-Drama von Eliza Hittmann

 

und hier eine Besprechung des Films "Das Ereignis" – kühl drastisches Abtreibungs-Drama aus Frankreich von Audrey Diwan

 

und hier einen Beitrag über den Film "24 Wochen"ergreifendes Abtreibungsdrama von Anne Zohra Berrached

 

und hier einen Bericht über den Film "Carol" - ergreifendes lesbisches Liebesdrama in den 1950er Jahren von Todd Haynes nach einem Drehbuch von Phyllis Nagy.

 

Elizabeth Banks gelingt es, ihrer Figur sanfte Züge und zugleich die nötige Entschiedenheit zu verleihen, während Weaver mit der Wucht einer unbeugsamen Aktivistin agiert – so können beide streckenweise manche Schwächen des Films überspielen. Dennoch leidet „Call Jane“ zunehmend unter seiner überschwänglich-euphorischen Inszenierung. Das nostalgische Flair der Bilder, die historisch genaue Ausstattung und ein – gelegentlich sehr aufdringlicher – 1960er-Jahre-Soundtrack betonen die optimistische Grundstimmung.

 

Ehrenwerte Ambitionen

 

Feingefühl zeigt Regisseurin Phyllis Nagy, wenn es schmerzlich wird. Ein Schwenk über gynäkologische Instrumente und die verängstigten Gesichter der Frauen kurz vor dem Eingriff genügt, um die einschneidende Erfahrung des Abtreibungsvorgangs zum Ausdruck zu bringen. Ähnlich wie in ihrem Drehbuch zum lesbischen Liebesdrama „Carol“ (2015) von Todd Haynes versteht es Nagy auch als Regisseurin, die angespannte Atmosphäre in jener Epoche einzufangen. Wirklich bewegende Szenen gibt es allerdings wenige – wie jene im Sitzungszimmer der Klinik, als Joy miterleben muss, wie in ihrem Beisein über ihr Schicksal entschieden wird, als wäre sie unsichtbar.

 

Mit „Call Jane“ will Regisseurin Nagy offenbar mit einem kalkuliert überzeichneten Feelgood-Beitrag auf die US-Abtreibungsdebatte einwirken: Es geht um weibliche Selbstbestimmung, Zivilcourage und eine bessere Zukunft. Auch wenn diese Absicht ehrbar und der Film durchaus ansehnlich ist – eine komplexere Entwicklung der Charaktere wünschenswert gewesen.