
1847 publizierte Emily Brontë (1818-1848) unter dem männlichen Pseudonym Ellis Bell ihren einzigen Roman „Wuthering Heights“ (dt.: „Sturmhöhe“); im Jahr darauf raffte eine Lungenentzündung sie dahin. 1850 enthüllte ihre ältere Schwester Charlotte (1816-1855), dass Emily die Autorin des Aufsehen erregenden Skandalromans war, und beschrieb ihr Naturell als eine Art Naturgewalt.
Info
Emily
Regie: Frances O'Connor,
130 Min., Großbritannien 2022;
mit: Emma Mackey, Alexandra Dowling, Amelia Gething, Fionn Whitehead
Weitere Informationen zum Film
Mit Schwester nach Brüssel geschickt
Ihr Mutter ist früh gestorben, der Vater Patrick Gemeindepfarrer. Wie Charlotte (Alexandra Dowling) soll auch Emily als Gouvernante zum Familienunterhalt beitragen; dazu werden beide zur Ausbildung nach Brüssel geschickt. Emily will allerdings lieber in ihrer Heimat bleiben – gemeinsam mit ihrem geliebten Bruder Branwell (Fionn Whitehead), mit dem sie nachts heimlich durch die Fenster der Nachbarn späht und sich abenteuerliche Geschichten ausdenkt.
Impressionen der Ausstellung
Bruder als Romanfigur-Vorbild
Branwell ist Alkohol und Opium übermäßig zugetan; außerdem hat er gerade sein Studium an der Londoner „Royal Academy of Arts“ in den Sand gesetzt. Nichtsdestoweniger ist er der engste Verbündete von Emily, dem schwarzen Schaf der Brontë-Familie – und in diesem Film offenkundig als reales Vorbild für die Romanfigur Heathcliff angelegt, dessen überschäumendes, aber auch destruktives Wesen viktorianische Leser von „Wuthering Heights“ verstörte.
Von den zusammen mit ihren Schwestern verfassten Gedichtbänden abgesehen sollte der Roman Emilys einzige Veröffentlichung bleiben. Das Wenige, was über ihr Leben bekannt ist, erfuhr die Nachwelt durch den Filter ihrer Schwester Charlotte. Ihr zufolge war Emily schüchtern und schwierig, aber auch mit außergewöhnlicher Kreativität begabt, die sich schwer einhegen ließ.
Etliche dramaturgische Freiheiten
Kein Wunde also, dass Frances O’Connor als Drehbuchautorin und Regisseurin der älteren Schwester Charlotte als Quelle misstraut – und sich stattdessen wilden Spekulationen darüber hingibt, wie Emily ihre jungen Erwachsenenjahre erlebt haben könnte. Dabei erlaubt sie sich einige dramaturgische Freiheiten – durchaus mit Gewinn, obwohl manche Winkelzüge nicht nötig gewesen wären, um die Zuschauer bei der Stange zu halten.
Hintergrund
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Weiterleben in der Popkultur
Alles in allem funktioniert dieses spekulative Film-Porträt jedoch erstaunlich gut. Anders als in „Little Women“ (2019) von Greta Gerwig, einer ebenfalls um 1850 angesiedelten Geschichte über vier Schwestern mit literarischen Ambitionen, ist „Emily“ keineswegs ein Feelgood-Kostümfilm, sondern blickt mit heutigem Verständnis auf die inneren und äußeren Kämpfe einer freigeistigen, aber psychisch fragilen Frau, die um ihre Handlungsspielräume ringt. Gut vorstellbar, dass die historische Emily tatsächlich der Filmfigur ähnelte.
„Wuthering Heights“ ist zugleich derjenige Roman der Brontë-Schwestern, der in der Populärkultur das stärkste Echo fand. Wohl nicht nur wegen Kate Bushs gleichnamigem Nummer-Eins-Hit von 1978, sondern auch, weil dieses Buch das düsterste, wüsteste und leidenschaftlichste der phantasiebegabten Schwestern ist – und damit das am meisten pathetische.