Frances O'Connor

Emily

Emily (Emma Mackey) und ihr rebellischer Bruder Branwell Brontë (Fionn Whitehead) verstehen sich blendend. Foto: © Wild Bunch Germany 2022
(Kinostart: 24.11.) Ein Romandebüt schreiben und sterben: „Wuthering Heights“ sicherte Emily Brontë ihren Platz in der englischen Literaturgeschichte – ein Jahr vor dem frühen Tod 1848. In ihrem Porträt gibt sich Regisseurin Frances O'Connor wilden Spekulationen hin, was dem Film durchaus gut tut.

1847 publizierte Emily Brontë (1818-1848) unter dem männlichen Pseudonym Ellis Bell ihren einzigen Roman „Wuthering Heights“ (dt.: „Sturmhöhe“); im Jahr darauf raffte eine Lungenentzündung sie dahin. 1850 enthüllte ihre ältere Schwester Charlotte (1816-1855), dass Emily die Autorin des Aufsehen erregenden Skandalromans war, und beschrieb ihr Naturell als eine Art Naturgewalt.

 

Info

 

Emily

 

Regie: Frances O'Connor,

130 Min., Großbritannien 2022;

mit: Emma Mackey, Alexandra Dowling, Amelia Gething, Fionn Whitehead

 

Weitere Informationen zum Film

 

„A native and nursling of the moors”, also eine „Eingeborene und ein Säugling des Moors“ sei Emily gewesen, so Charlotte. Dieser Charakterisierung würde sich vermutlich auch Regisseurin Frances O’Connor anschließen: Ihr atmosphärisch stimmiger Film, eher eine imaginierte Biographie als ein klassisches Biopic, atmet exakt diesen Geist. Darin erscheint Emily (Emma Mackey) als junge Eigenbrötlerin, die sich lieber durch Yorkshires windgepeitschte Landschaften treiben lässt als den sozialen Pflichten einer Pfarrerstochter nachzukommen.

 

Mit Schwester nach Brüssel geschickt

 

Ihr Mutter ist früh gestorben, der Vater Patrick Gemeindepfarrer. Wie Charlotte (Alexandra Dowling) soll auch Emily als Gouvernante zum Familienunterhalt beitragen; dazu werden beide zur Ausbildung nach Brüssel geschickt. Emily will allerdings lieber in ihrer Heimat bleiben – gemeinsam mit ihrem geliebten Bruder Branwell (Fionn Whitehead), mit dem sie nachts heimlich durch die Fenster der Nachbarn späht und sich abenteuerliche Geschichten ausdenkt.

Impressionen der Ausstellung


 

Bruder als Romanfigur-Vorbild

 

Branwell ist Alkohol und Opium übermäßig zugetan; außerdem hat er gerade sein Studium an der Londoner „Royal Academy of Arts“ in den Sand gesetzt. Nichtsdestoweniger ist er der engste Verbündete von Emily, dem schwarzen Schaf der Brontë-Familie – und in diesem Film offenkundig als reales Vorbild für die Romanfigur Heathcliff angelegt, dessen überschäumendes, aber auch destruktives Wesen viktorianische Leser von „Wuthering Heights“ verstörte.

 

Von den zusammen mit ihren Schwestern verfassten Gedichtbänden abgesehen sollte der Roman Emilys einzige Veröffentlichung bleiben. Das Wenige, was über ihr Leben bekannt ist, erfuhr die Nachwelt durch den Filter ihrer Schwester Charlotte. Ihr zufolge war Emily schüchtern und schwierig, aber auch mit außergewöhnlicher Kreativität begabt, die sich schwer einhegen ließ.

 

Etliche dramaturgische Freiheiten

 

Kein Wunde also, dass Frances O’Connor als Drehbuchautorin und Regisseurin der älteren Schwester Charlotte als Quelle misstraut – und sich stattdessen wilden Spekulationen darüber hingibt, wie Emily ihre jungen Erwachsenenjahre erlebt haben könnte. Dabei erlaubt sie sich einige dramaturgische Freiheiten – durchaus mit Gewinn, obwohl manche Winkelzüge nicht nötig gewesen wären, um die Zuschauer bei der Stange zu halten.

 

Hintergrund

 

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Einiges wirkt doch sehr am Reißbrett entworfen: eine tragische Romanze, die Emily ausgerechnet mit dem Assistenten ihres Vaters gehabt haben soll. Oder auch das spannungsreiche, bisweilen antagonistische Verhältnis zu ihren Schwestern; vor allem zu Charlotte, die hier als vernünftiger Gegenpol eingeführt wird – und sich nach der ersten Lektüre von „Wuthering Heights“ sehr abfällig äußert.

 

Weiterleben in der Popkultur

 

Alles in allem funktioniert dieses spekulative Film-Porträt jedoch erstaunlich gut. Anders als in „Little Women“ (2019) von Greta Gerwig, einer ebenfalls um 1850 angesiedelten Geschichte über vier Schwestern mit literarischen Ambitionen, ist „Emily“ keineswegs ein Feelgood-Kostümfilm, sondern blickt mit heutigem Verständnis auf die inneren und äußeren Kämpfe einer freigeistigen, aber psychisch fragilen Frau, die um ihre Handlungsspielräume ringt. Gut vorstellbar, dass die historische Emily tatsächlich der Filmfigur ähnelte.

 

„Wuthering Heights“ ist zugleich derjenige Roman der Brontë-Schwestern, der in der Populärkultur das stärkste Echo fand. Wohl nicht nur wegen Kate Bushs gleichnamigem Nummer-Eins-Hit von 1978, sondern auch, weil dieses Buch das düsterste, wüsteste und leidenschaftlichste der phantasiebegabten Schwestern ist – und damit das am meisten pathetische.